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Die Grenzboten. Jg. 41, 1882, Drittes Quartal.

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Der junge Schiller im Urteile seiner Zeitgenosse".

deren nähere Erörterung überflüßig wäre. . . Weit entfernt mich ans die lächer¬
lichen Leipziger Knabenseenen, welche den Carl Moor und seine Räuber nach¬
ahmen wollen, zu berufen, bin ich Augenzeuge gewesen, daß die Nachahmung
eiuer Amalia, einer Luise, häusliche Glückseligkeiten zernichtete, die die Ver¬
ehrung des Menschenfreunds verdienten. Wüste der edle Schiller, welche Wir¬
kung solche Trauerspiele aus die mittlere Classe der Zuschauer hervorbringen,
wie gefährlich diese Schwürmerey der Liebe, von warmen Blut angefeuert, bey
Mädchen ist, welche nicht Geisteskräfte genng besitzen, um die wirkliche von der
chimärischen Welt zu trennen; er würde Mitleiden mit den Opfern seiner Talente
haben. Ich selbst bin ein Weib, und weiß wie schwer es hält, die kalte Wahr¬
heit von der süßen Schwärmerei) zu unterscheiden." Trotzdem kann der Ferdinand
des Frankfurter Theaters jungen Mädchen nicht allzu gefährlich gewesen sein,
denn er wird sehr getadelt und namentlich wird rügend hervorgehoben, daß er
"bey der letzten Erzählung seiner theuern Luise sich etlichemal schneuzte!"

Den Don Carlos veröffentlichte Schiller anfangs bruchstückweise in den
Heften seiner Thalia, ein Verfahre!,, das er später selber umsomehr bereute, als
er im Laufe der Arbeit weiter fortgeschritten, weder von dem ursprünglichen
Plane des Stückes noch von vielen Ausführungen im einzelnen mehr befriedigt
war. Um so begreiflicher ist es, daß die Rezensenten der Thalia sich gerade
über diese Einzelheiten hermachen. Einer schreibt: "Hr. S. hat ohne Zweifel
viel poetisches Genie; ob er aber ein vorzügliches dramatisches Genie sey, daran
glauben wir mit Recht zweifeln zu dürfen. Er besitzt das Talent neue Gleich¬
nisse und Bilder zu schaffen und große wichtige Gedanken anf eine äußerst
poetische Art auszudrücken: aber nie wirft er tiefe Blicke ins menschliche Herz.
Wir lernen aus seinen Schilderungen nie etwas Neues von der Leidenschaft
selbst. Es fehlt ihm ganz an der dem dramatischen Dichter so unentbehrlichen
Leichtigkeit, uicht mir neue und interessante Situationen anzulegen, sondern sich
auch in jede derselben selbst zu versetzen, und sich durch den Mund seiner Per¬
sonen, mit Natur und Anstand, und eben so wenig gesucht und schwülstig als
glatt und frostig auszudrücken. . . Uns wenigstens ist der schwülstige, mit Tropen
überladene Styl dieses Schauspiels ganz unerträglich, und wir halten ihn für
den größten Fehler, bey dessen Rüge wir uns ant längsten verweilen werden.
Die sämtlichen Personen des Stücks sprechen, als wenn sie eben erst aus dem
Lande der Metaphern zurückgekommen wären: sie schwimmen (wie Haller sich
über Lobenstein ausdrückt) auf Metaphern wie auf leichten Blasen: sie häufen
Figur anf Figur, Bild auf Bild. Was sich von dein Gedanken, oder der Em-
pfindung, die dargestellt werden soll, damit verträgt, das vertrage sich: das
übrige mag sehen, wo es unterkomme. Das Bild schmiegt sich nie nach dem
Gedanken; der Gedanke muß sich immer nach dem Bilde bequemen. Eben so
wenig ist der Dichter bedacht gewesen, die Leidenschaften nur allmühlig auf ihre
Höhe zu führen und den ersten und schwachen Funken gleichsam vor den Augen


Der junge Schiller im Urteile seiner Zeitgenosse».

deren nähere Erörterung überflüßig wäre. . . Weit entfernt mich ans die lächer¬
lichen Leipziger Knabenseenen, welche den Carl Moor und seine Räuber nach¬
ahmen wollen, zu berufen, bin ich Augenzeuge gewesen, daß die Nachahmung
eiuer Amalia, einer Luise, häusliche Glückseligkeiten zernichtete, die die Ver¬
ehrung des Menschenfreunds verdienten. Wüste der edle Schiller, welche Wir¬
kung solche Trauerspiele aus die mittlere Classe der Zuschauer hervorbringen,
wie gefährlich diese Schwürmerey der Liebe, von warmen Blut angefeuert, bey
Mädchen ist, welche nicht Geisteskräfte genng besitzen, um die wirkliche von der
chimärischen Welt zu trennen; er würde Mitleiden mit den Opfern seiner Talente
haben. Ich selbst bin ein Weib, und weiß wie schwer es hält, die kalte Wahr¬
heit von der süßen Schwärmerei) zu unterscheiden." Trotzdem kann der Ferdinand
des Frankfurter Theaters jungen Mädchen nicht allzu gefährlich gewesen sein,
denn er wird sehr getadelt und namentlich wird rügend hervorgehoben, daß er
„bey der letzten Erzählung seiner theuern Luise sich etlichemal schneuzte!"

Den Don Carlos veröffentlichte Schiller anfangs bruchstückweise in den
Heften seiner Thalia, ein Verfahre!,, das er später selber umsomehr bereute, als
er im Laufe der Arbeit weiter fortgeschritten, weder von dem ursprünglichen
Plane des Stückes noch von vielen Ausführungen im einzelnen mehr befriedigt
war. Um so begreiflicher ist es, daß die Rezensenten der Thalia sich gerade
über diese Einzelheiten hermachen. Einer schreibt: „Hr. S. hat ohne Zweifel
viel poetisches Genie; ob er aber ein vorzügliches dramatisches Genie sey, daran
glauben wir mit Recht zweifeln zu dürfen. Er besitzt das Talent neue Gleich¬
nisse und Bilder zu schaffen und große wichtige Gedanken anf eine äußerst
poetische Art auszudrücken: aber nie wirft er tiefe Blicke ins menschliche Herz.
Wir lernen aus seinen Schilderungen nie etwas Neues von der Leidenschaft
selbst. Es fehlt ihm ganz an der dem dramatischen Dichter so unentbehrlichen
Leichtigkeit, uicht mir neue und interessante Situationen anzulegen, sondern sich
auch in jede derselben selbst zu versetzen, und sich durch den Mund seiner Per¬
sonen, mit Natur und Anstand, und eben so wenig gesucht und schwülstig als
glatt und frostig auszudrücken. . . Uns wenigstens ist der schwülstige, mit Tropen
überladene Styl dieses Schauspiels ganz unerträglich, und wir halten ihn für
den größten Fehler, bey dessen Rüge wir uns ant längsten verweilen werden.
Die sämtlichen Personen des Stücks sprechen, als wenn sie eben erst aus dem
Lande der Metaphern zurückgekommen wären: sie schwimmen (wie Haller sich
über Lobenstein ausdrückt) auf Metaphern wie auf leichten Blasen: sie häufen
Figur anf Figur, Bild auf Bild. Was sich von dein Gedanken, oder der Em-
pfindung, die dargestellt werden soll, damit verträgt, das vertrage sich: das
übrige mag sehen, wo es unterkomme. Das Bild schmiegt sich nie nach dem
Gedanken; der Gedanke muß sich immer nach dem Bilde bequemen. Eben so
wenig ist der Dichter bedacht gewesen, die Leidenschaften nur allmühlig auf ihre
Höhe zu führen und den ersten und schwachen Funken gleichsam vor den Augen


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[0318] Der junge Schiller im Urteile seiner Zeitgenosse». deren nähere Erörterung überflüßig wäre. . . Weit entfernt mich ans die lächer¬ lichen Leipziger Knabenseenen, welche den Carl Moor und seine Räuber nach¬ ahmen wollen, zu berufen, bin ich Augenzeuge gewesen, daß die Nachahmung eiuer Amalia, einer Luise, häusliche Glückseligkeiten zernichtete, die die Ver¬ ehrung des Menschenfreunds verdienten. Wüste der edle Schiller, welche Wir¬ kung solche Trauerspiele aus die mittlere Classe der Zuschauer hervorbringen, wie gefährlich diese Schwürmerey der Liebe, von warmen Blut angefeuert, bey Mädchen ist, welche nicht Geisteskräfte genng besitzen, um die wirkliche von der chimärischen Welt zu trennen; er würde Mitleiden mit den Opfern seiner Talente haben. Ich selbst bin ein Weib, und weiß wie schwer es hält, die kalte Wahr¬ heit von der süßen Schwärmerei) zu unterscheiden." Trotzdem kann der Ferdinand des Frankfurter Theaters jungen Mädchen nicht allzu gefährlich gewesen sein, denn er wird sehr getadelt und namentlich wird rügend hervorgehoben, daß er „bey der letzten Erzählung seiner theuern Luise sich etlichemal schneuzte!" Den Don Carlos veröffentlichte Schiller anfangs bruchstückweise in den Heften seiner Thalia, ein Verfahre!,, das er später selber umsomehr bereute, als er im Laufe der Arbeit weiter fortgeschritten, weder von dem ursprünglichen Plane des Stückes noch von vielen Ausführungen im einzelnen mehr befriedigt war. Um so begreiflicher ist es, daß die Rezensenten der Thalia sich gerade über diese Einzelheiten hermachen. Einer schreibt: „Hr. S. hat ohne Zweifel viel poetisches Genie; ob er aber ein vorzügliches dramatisches Genie sey, daran glauben wir mit Recht zweifeln zu dürfen. Er besitzt das Talent neue Gleich¬ nisse und Bilder zu schaffen und große wichtige Gedanken anf eine äußerst poetische Art auszudrücken: aber nie wirft er tiefe Blicke ins menschliche Herz. Wir lernen aus seinen Schilderungen nie etwas Neues von der Leidenschaft selbst. Es fehlt ihm ganz an der dem dramatischen Dichter so unentbehrlichen Leichtigkeit, uicht mir neue und interessante Situationen anzulegen, sondern sich auch in jede derselben selbst zu versetzen, und sich durch den Mund seiner Per¬ sonen, mit Natur und Anstand, und eben so wenig gesucht und schwülstig als glatt und frostig auszudrücken. . . Uns wenigstens ist der schwülstige, mit Tropen überladene Styl dieses Schauspiels ganz unerträglich, und wir halten ihn für den größten Fehler, bey dessen Rüge wir uns ant längsten verweilen werden. Die sämtlichen Personen des Stücks sprechen, als wenn sie eben erst aus dem Lande der Metaphern zurückgekommen wären: sie schwimmen (wie Haller sich über Lobenstein ausdrückt) auf Metaphern wie auf leichten Blasen: sie häufen Figur anf Figur, Bild auf Bild. Was sich von dein Gedanken, oder der Em- pfindung, die dargestellt werden soll, damit verträgt, das vertrage sich: das übrige mag sehen, wo es unterkomme. Das Bild schmiegt sich nie nach dem Gedanken; der Gedanke muß sich immer nach dem Bilde bequemen. Eben so wenig ist der Dichter bedacht gewesen, die Leidenschaften nur allmühlig auf ihre Höhe zu führen und den ersten und schwachen Funken gleichsam vor den Augen

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 41, 1882, Drittes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341835_193340/318>, abgerufen am 23.07.2024.