Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 41, 1882, Drittes Quartal.

Bild:
<< vorherige Seite

wir sehen, wie man in rührender Fürsorge für die Bequemlichkeit der Herren
"Kritiker" zum Buche auch gleich die Rezension in der Verlagshandlung mit
"fertig stellt," und wie nun letzterer das Malheur Passiren kann, in der Zu-
sammenstellung der lobenden Besprechungen ihres Verlagsartikels an zwei Stellen
aus verschiedenen Zeitungen wörtlich gleichlautende Zitate ihres eignen Elabo¬
rats dem erstaunten Publikum vorzuführen. Im allgemeinen gewinnen wir aus
dem Urteile der Zeitgenossen Schillers den Eindruck, daß man damals mit einem
gewissen Ernste zu Werke ging und sich bemühte, eine, wenn auch vielleicht un¬
richtige, aber doch wenigstens motivirte Kritik zu üben. Die schroff absprechender
Urteile werden uns in einem minder komischen Lichte erscheinen, wenn wir be¬
denken, daß sie sich nur auf die regellos überschäumenden, unreifen jugendlichen
Produkte des Dichters mit ihren wilden, vielfach später getilgten oder gemil¬
derten Auswüchsen gründen, die wir immer nur mit der Perspektive auf die
zu reiner Schönheit abgeklärten nachmalige" Meisterwerke des Schillerschen
Genius betrachten.

Hier ist noch eine derartige heitere Expeltoratiou über "Kabale und Liebe":
""Ein bürgerliches Trauerspiel!" Vielleicht weil der Sohn eines Präsidenten eines
Musikanten Tochter liebt, und mit Gift dieselbe hinrichtet? weil der Musikant
mit seiner unvergleichlichen Frau gleich im ersten Auftritte sich wie das niedrigste
Gesindel herumzankt? Die Szene komplet zu machen, so wäre nichts natür¬
licher gewesen, und würde die Zuschauer nichts mehr erfreut haben, als wenn
eben dieser Leiermann sein Vivlonschell an dem Kopfe seiner Xantippe entzwei¬
geschlagen hätte. Wenn die Ausdrücke gemildert, sittlicher gemacht, und die eines
feinen Publikums unwürdigen Wörter ausgestrichen würden, so könnte diese
Szene in einen, Lustspiele von der drolligsten Wirkung seyn. . . Schade ist es,
daß uuter diesen Absurditäten reelle Schönheiten hervorstechen, die ächt thea¬
tralisch sind, und gute Wirkung thun; große sentimens wechseln mit himmel-
anschlendernden Empfindungen ab, die uoch durch die Wahl der Wörter und
des Ausdruckes koutrcistiren... Eben diese Abwechselung des hohen Tragischen
mit dem niedrig Komischen ist es, die die Wirkung der Vorstellung noch un-
ausstehlicher und ekelhafter macht."

Auch der verderbliche Einfluß auf die Sitten wird wieder betont, diesmal
von einer Dame bei Gelegenheit einer Aufführung in Frankfurt: "Wenn der
gute Schiller in einer finstern Lanne seine Teufel zeichnete, so war es gewiß
seine Absicht nicht, böses damit zu stiften, oder Menschenhaß zu erzeugen. Daß
aber solche tolle Scenen der Liebe die ohnehin schwindelnde Köpfe junger
Müdchcn uoch mehr erhitzen, daß jedes Vürgcrmädchen eine Luise seyn und einen
Ferdinand haben will, ihre arme Phantasie martert, um Schillerische Bilder
zu erzeugen, ihr ganzes Glück, ihre ganze Zufriedenheit in Liebe sucht, daß alle
Ferdinande nicht Schillerische Ferdinande sind, souderu viele die Schwärmerei)
dieser unerfahrnen Mädchen zu benutzen wissen, siud lauter bekannte Dinge,


wir sehen, wie man in rührender Fürsorge für die Bequemlichkeit der Herren
„Kritiker" zum Buche auch gleich die Rezension in der Verlagshandlung mit
„fertig stellt," und wie nun letzterer das Malheur Passiren kann, in der Zu-
sammenstellung der lobenden Besprechungen ihres Verlagsartikels an zwei Stellen
aus verschiedenen Zeitungen wörtlich gleichlautende Zitate ihres eignen Elabo¬
rats dem erstaunten Publikum vorzuführen. Im allgemeinen gewinnen wir aus
dem Urteile der Zeitgenossen Schillers den Eindruck, daß man damals mit einem
gewissen Ernste zu Werke ging und sich bemühte, eine, wenn auch vielleicht un¬
richtige, aber doch wenigstens motivirte Kritik zu üben. Die schroff absprechender
Urteile werden uns in einem minder komischen Lichte erscheinen, wenn wir be¬
denken, daß sie sich nur auf die regellos überschäumenden, unreifen jugendlichen
Produkte des Dichters mit ihren wilden, vielfach später getilgten oder gemil¬
derten Auswüchsen gründen, die wir immer nur mit der Perspektive auf die
zu reiner Schönheit abgeklärten nachmalige» Meisterwerke des Schillerschen
Genius betrachten.

Hier ist noch eine derartige heitere Expeltoratiou über „Kabale und Liebe":
„»Ein bürgerliches Trauerspiel!« Vielleicht weil der Sohn eines Präsidenten eines
Musikanten Tochter liebt, und mit Gift dieselbe hinrichtet? weil der Musikant
mit seiner unvergleichlichen Frau gleich im ersten Auftritte sich wie das niedrigste
Gesindel herumzankt? Die Szene komplet zu machen, so wäre nichts natür¬
licher gewesen, und würde die Zuschauer nichts mehr erfreut haben, als wenn
eben dieser Leiermann sein Vivlonschell an dem Kopfe seiner Xantippe entzwei¬
geschlagen hätte. Wenn die Ausdrücke gemildert, sittlicher gemacht, und die eines
feinen Publikums unwürdigen Wörter ausgestrichen würden, so könnte diese
Szene in einen, Lustspiele von der drolligsten Wirkung seyn. . . Schade ist es,
daß uuter diesen Absurditäten reelle Schönheiten hervorstechen, die ächt thea¬
tralisch sind, und gute Wirkung thun; große sentimens wechseln mit himmel-
anschlendernden Empfindungen ab, die uoch durch die Wahl der Wörter und
des Ausdruckes koutrcistiren... Eben diese Abwechselung des hohen Tragischen
mit dem niedrig Komischen ist es, die die Wirkung der Vorstellung noch un-
ausstehlicher und ekelhafter macht."

Auch der verderbliche Einfluß auf die Sitten wird wieder betont, diesmal
von einer Dame bei Gelegenheit einer Aufführung in Frankfurt: „Wenn der
gute Schiller in einer finstern Lanne seine Teufel zeichnete, so war es gewiß
seine Absicht nicht, böses damit zu stiften, oder Menschenhaß zu erzeugen. Daß
aber solche tolle Scenen der Liebe die ohnehin schwindelnde Köpfe junger
Müdchcn uoch mehr erhitzen, daß jedes Vürgcrmädchen eine Luise seyn und einen
Ferdinand haben will, ihre arme Phantasie martert, um Schillerische Bilder
zu erzeugen, ihr ganzes Glück, ihre ganze Zufriedenheit in Liebe sucht, daß alle
Ferdinande nicht Schillerische Ferdinande sind, souderu viele die Schwärmerei)
dieser unerfahrnen Mädchen zu benutzen wissen, siud lauter bekannte Dinge,


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0317" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/193658"/>
          <fw type="header" place="top"/><lb/>
          <p xml:id="ID_1044" prev="#ID_1043"> wir sehen, wie man in rührender Fürsorge für die Bequemlichkeit der Herren<lb/>
&#x201E;Kritiker" zum Buche auch gleich die Rezension in der Verlagshandlung mit<lb/>
&#x201E;fertig stellt," und wie nun letzterer das Malheur Passiren kann, in der Zu-<lb/>
sammenstellung der lobenden Besprechungen ihres Verlagsartikels an zwei Stellen<lb/>
aus verschiedenen Zeitungen wörtlich gleichlautende Zitate ihres eignen Elabo¬<lb/>
rats dem erstaunten Publikum vorzuführen. Im allgemeinen gewinnen wir aus<lb/>
dem Urteile der Zeitgenossen Schillers den Eindruck, daß man damals mit einem<lb/>
gewissen Ernste zu Werke ging und sich bemühte, eine, wenn auch vielleicht un¬<lb/>
richtige, aber doch wenigstens motivirte Kritik zu üben. Die schroff absprechender<lb/>
Urteile werden uns in einem minder komischen Lichte erscheinen, wenn wir be¬<lb/>
denken, daß sie sich nur auf die regellos überschäumenden, unreifen jugendlichen<lb/>
Produkte des Dichters mit ihren wilden, vielfach später getilgten oder gemil¬<lb/>
derten Auswüchsen gründen, die wir immer nur mit der Perspektive auf die<lb/>
zu reiner Schönheit abgeklärten nachmalige» Meisterwerke des Schillerschen<lb/>
Genius betrachten.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1045"> Hier ist noch eine derartige heitere Expeltoratiou über &#x201E;Kabale und Liebe":<lb/>
&#x201E;»Ein bürgerliches Trauerspiel!« Vielleicht weil der Sohn eines Präsidenten eines<lb/>
Musikanten Tochter liebt, und mit Gift dieselbe hinrichtet? weil der Musikant<lb/>
mit seiner unvergleichlichen Frau gleich im ersten Auftritte sich wie das niedrigste<lb/>
Gesindel herumzankt? Die Szene komplet zu machen, so wäre nichts natür¬<lb/>
licher gewesen, und würde die Zuschauer nichts mehr erfreut haben, als wenn<lb/>
eben dieser Leiermann sein Vivlonschell an dem Kopfe seiner Xantippe entzwei¬<lb/>
geschlagen hätte. Wenn die Ausdrücke gemildert, sittlicher gemacht, und die eines<lb/>
feinen Publikums unwürdigen Wörter ausgestrichen würden, so könnte diese<lb/>
Szene in einen, Lustspiele von der drolligsten Wirkung seyn. . . Schade ist es,<lb/>
daß uuter diesen Absurditäten reelle Schönheiten hervorstechen, die ächt thea¬<lb/>
tralisch sind, und gute Wirkung thun; große sentimens wechseln mit himmel-<lb/>
anschlendernden Empfindungen ab, die uoch durch die Wahl der Wörter und<lb/>
des Ausdruckes koutrcistiren... Eben diese Abwechselung des hohen Tragischen<lb/>
mit dem niedrig Komischen ist es, die die Wirkung der Vorstellung noch un-<lb/>
ausstehlicher und ekelhafter macht."</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1046" next="#ID_1047"> Auch der verderbliche Einfluß auf die Sitten wird wieder betont, diesmal<lb/>
von einer Dame bei Gelegenheit einer Aufführung in Frankfurt: &#x201E;Wenn der<lb/>
gute Schiller in einer finstern Lanne seine Teufel zeichnete, so war es gewiß<lb/>
seine Absicht nicht, böses damit zu stiften, oder Menschenhaß zu erzeugen. Daß<lb/>
aber solche tolle Scenen der Liebe die ohnehin schwindelnde Köpfe junger<lb/>
Müdchcn uoch mehr erhitzen, daß jedes Vürgcrmädchen eine Luise seyn und einen<lb/>
Ferdinand haben will, ihre arme Phantasie martert, um Schillerische Bilder<lb/>
zu erzeugen, ihr ganzes Glück, ihre ganze Zufriedenheit in Liebe sucht, daß alle<lb/>
Ferdinande nicht Schillerische Ferdinande sind, souderu viele die Schwärmerei)<lb/>
dieser unerfahrnen Mädchen zu benutzen wissen, siud lauter bekannte Dinge,</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0317] wir sehen, wie man in rührender Fürsorge für die Bequemlichkeit der Herren „Kritiker" zum Buche auch gleich die Rezension in der Verlagshandlung mit „fertig stellt," und wie nun letzterer das Malheur Passiren kann, in der Zu- sammenstellung der lobenden Besprechungen ihres Verlagsartikels an zwei Stellen aus verschiedenen Zeitungen wörtlich gleichlautende Zitate ihres eignen Elabo¬ rats dem erstaunten Publikum vorzuführen. Im allgemeinen gewinnen wir aus dem Urteile der Zeitgenossen Schillers den Eindruck, daß man damals mit einem gewissen Ernste zu Werke ging und sich bemühte, eine, wenn auch vielleicht un¬ richtige, aber doch wenigstens motivirte Kritik zu üben. Die schroff absprechender Urteile werden uns in einem minder komischen Lichte erscheinen, wenn wir be¬ denken, daß sie sich nur auf die regellos überschäumenden, unreifen jugendlichen Produkte des Dichters mit ihren wilden, vielfach später getilgten oder gemil¬ derten Auswüchsen gründen, die wir immer nur mit der Perspektive auf die zu reiner Schönheit abgeklärten nachmalige» Meisterwerke des Schillerschen Genius betrachten. Hier ist noch eine derartige heitere Expeltoratiou über „Kabale und Liebe": „»Ein bürgerliches Trauerspiel!« Vielleicht weil der Sohn eines Präsidenten eines Musikanten Tochter liebt, und mit Gift dieselbe hinrichtet? weil der Musikant mit seiner unvergleichlichen Frau gleich im ersten Auftritte sich wie das niedrigste Gesindel herumzankt? Die Szene komplet zu machen, so wäre nichts natür¬ licher gewesen, und würde die Zuschauer nichts mehr erfreut haben, als wenn eben dieser Leiermann sein Vivlonschell an dem Kopfe seiner Xantippe entzwei¬ geschlagen hätte. Wenn die Ausdrücke gemildert, sittlicher gemacht, und die eines feinen Publikums unwürdigen Wörter ausgestrichen würden, so könnte diese Szene in einen, Lustspiele von der drolligsten Wirkung seyn. . . Schade ist es, daß uuter diesen Absurditäten reelle Schönheiten hervorstechen, die ächt thea¬ tralisch sind, und gute Wirkung thun; große sentimens wechseln mit himmel- anschlendernden Empfindungen ab, die uoch durch die Wahl der Wörter und des Ausdruckes koutrcistiren... Eben diese Abwechselung des hohen Tragischen mit dem niedrig Komischen ist es, die die Wirkung der Vorstellung noch un- ausstehlicher und ekelhafter macht." Auch der verderbliche Einfluß auf die Sitten wird wieder betont, diesmal von einer Dame bei Gelegenheit einer Aufführung in Frankfurt: „Wenn der gute Schiller in einer finstern Lanne seine Teufel zeichnete, so war es gewiß seine Absicht nicht, böses damit zu stiften, oder Menschenhaß zu erzeugen. Daß aber solche tolle Scenen der Liebe die ohnehin schwindelnde Köpfe junger Müdchcn uoch mehr erhitzen, daß jedes Vürgcrmädchen eine Luise seyn und einen Ferdinand haben will, ihre arme Phantasie martert, um Schillerische Bilder zu erzeugen, ihr ganzes Glück, ihre ganze Zufriedenheit in Liebe sucht, daß alle Ferdinande nicht Schillerische Ferdinande sind, souderu viele die Schwärmerei) dieser unerfahrnen Mädchen zu benutzen wissen, siud lauter bekannte Dinge,

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341835_193340
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341835_193340/317
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 41, 1882, Drittes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341835_193340/317>, abgerufen am 22.07.2024.