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Die Grenzboten. Jg. 41, 1882, Drittes Quartal.

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Wohlan denn, mein junger Freund, sei mir dreimal willkommen! sagte
Andrew, der niemals eine andre Sprache als die der Bücher redete. Was
willst du haben? Willst dn deine Lehrjahre unter Goethe wieder aufnehmen
oder wollen wir mit Chaucer uach Canterbury trottireu? Prächtiger alter Dem
Chaucer! Oder wollen wir magische Philosophie studiren mit Roger Bacon,
dem Mönch, dem Ooowr gälnirg-bills? oder den guten Sir Thomas Moore
lesen? Was würde Sir Thomas gesagt haben, wenn er hätte denken können,
er werde von zwei solchen Leuten, wie du und ich, im Hinterwalde Amerikas
im neunzehnten Jahrhundert bewandert werden? Aber du willst keine Bücher!
Ach, mein wackrer Freund, du bist nicht wohl. Komm in meine Zelle und laß
uns plündern. Was bedrückt dich?

Und Andrew nahm ihn mit der Höflichkeit eines Ritters, mit dem Zart¬
gefühl eines Weibes und der würdigen Miene eines Sterndeuters bei der Hand
und führte ihn in das Gemach eines Mönchs.

Sieh mal, sagte er, ich habe einen neue" Stuhl gemacht. Es ist der
höchste Beweis meiner Liebe zu meinem teutonischen Freunde. Du hast jetzt ein
Recht auf diese Burg, du wirst hier allezeit willkommen sein. Ich sagte mir:
hier soll die deutsche Gelehrsamkeit und da soll der Hinterwaldsphilosoph sitzen.
So laß dich denn nieder ans mein Sedile und laß uns hören, wie diese un¬
höfliche und unbeständige Welt dich behandelt. Sie kann dir nicht schlimmer
mitspielen, als sie mir mitgespielt hat. Aber ich habe meine Rache an ihr ge¬
nommen. Ich bin gerächt. Ich habe gethan, was mir gefiel und der Welt
mit allen ihren hohlen Herkömmlichkeiteu getrotzt.

Diese letzten Worte wurden in dem Tone menschenfeindlicher Verbitterung
gesprochen, den Andrew gewohnt war. Seine Liebe zu August war umso
inniger, als sie zum Hintergrunde eine allgemeine Abneigung, wo nicht gegen
die Menschenwelt, doch gegen den Teil derselben hatte, der ihn am unmittel¬
barsten umgab.

August nahm in dem Stuhle, der kunstreich aus Rvggenstroh geflochten
und aus Hickorystäben gebaut war, mit dem Bewußtsein Platz, daß all dieses
förmliche Wesen und diese scheinbare Pedanterie nur oberflächlicher Art waren.
Er und Andrew waren Vusenfreuude, und wie er dem Burgherrn schon oft sein
Herz geöffnet hatte, fo machte es ihm auch jetzt keine Schwierigkeit, ihm seine
Not zu klagen, wobei er kaum auf die passenden Zitate achtete, die Andrew von
Zeit zu Zeit anbrachte, um die Sache zu verschönern.




sechstes Aapitel.
Der Philosoph, des Hinterrvaldes.

Ein Grund der Liebe Andrews zu August Weste war der, daß derselbe
ein Deutscher war. Weit davon entfernt, die Vorurteile seiner Nachbarn gegen


Wohlan denn, mein junger Freund, sei mir dreimal willkommen! sagte
Andrew, der niemals eine andre Sprache als die der Bücher redete. Was
willst du haben? Willst dn deine Lehrjahre unter Goethe wieder aufnehmen
oder wollen wir mit Chaucer uach Canterbury trottireu? Prächtiger alter Dem
Chaucer! Oder wollen wir magische Philosophie studiren mit Roger Bacon,
dem Mönch, dem Ooowr gälnirg-bills? oder den guten Sir Thomas Moore
lesen? Was würde Sir Thomas gesagt haben, wenn er hätte denken können,
er werde von zwei solchen Leuten, wie du und ich, im Hinterwalde Amerikas
im neunzehnten Jahrhundert bewandert werden? Aber du willst keine Bücher!
Ach, mein wackrer Freund, du bist nicht wohl. Komm in meine Zelle und laß
uns plündern. Was bedrückt dich?

Und Andrew nahm ihn mit der Höflichkeit eines Ritters, mit dem Zart¬
gefühl eines Weibes und der würdigen Miene eines Sterndeuters bei der Hand
und führte ihn in das Gemach eines Mönchs.

Sieh mal, sagte er, ich habe einen neue» Stuhl gemacht. Es ist der
höchste Beweis meiner Liebe zu meinem teutonischen Freunde. Du hast jetzt ein
Recht auf diese Burg, du wirst hier allezeit willkommen sein. Ich sagte mir:
hier soll die deutsche Gelehrsamkeit und da soll der Hinterwaldsphilosoph sitzen.
So laß dich denn nieder ans mein Sedile und laß uns hören, wie diese un¬
höfliche und unbeständige Welt dich behandelt. Sie kann dir nicht schlimmer
mitspielen, als sie mir mitgespielt hat. Aber ich habe meine Rache an ihr ge¬
nommen. Ich bin gerächt. Ich habe gethan, was mir gefiel und der Welt
mit allen ihren hohlen Herkömmlichkeiteu getrotzt.

Diese letzten Worte wurden in dem Tone menschenfeindlicher Verbitterung
gesprochen, den Andrew gewohnt war. Seine Liebe zu August war umso
inniger, als sie zum Hintergrunde eine allgemeine Abneigung, wo nicht gegen
die Menschenwelt, doch gegen den Teil derselben hatte, der ihn am unmittel¬
barsten umgab.

August nahm in dem Stuhle, der kunstreich aus Rvggenstroh geflochten
und aus Hickorystäben gebaut war, mit dem Bewußtsein Platz, daß all dieses
förmliche Wesen und diese scheinbare Pedanterie nur oberflächlicher Art waren.
Er und Andrew waren Vusenfreuude, und wie er dem Burgherrn schon oft sein
Herz geöffnet hatte, fo machte es ihm auch jetzt keine Schwierigkeit, ihm seine
Not zu klagen, wobei er kaum auf die passenden Zitate achtete, die Andrew von
Zeit zu Zeit anbrachte, um die Sache zu verschönern.




sechstes Aapitel.
Der Philosoph, des Hinterrvaldes.

Ein Grund der Liebe Andrews zu August Weste war der, daß derselbe
ein Deutscher war. Weit davon entfernt, die Vorurteile seiner Nachbarn gegen


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[0292] Wohlan denn, mein junger Freund, sei mir dreimal willkommen! sagte Andrew, der niemals eine andre Sprache als die der Bücher redete. Was willst du haben? Willst dn deine Lehrjahre unter Goethe wieder aufnehmen oder wollen wir mit Chaucer uach Canterbury trottireu? Prächtiger alter Dem Chaucer! Oder wollen wir magische Philosophie studiren mit Roger Bacon, dem Mönch, dem Ooowr gälnirg-bills? oder den guten Sir Thomas Moore lesen? Was würde Sir Thomas gesagt haben, wenn er hätte denken können, er werde von zwei solchen Leuten, wie du und ich, im Hinterwalde Amerikas im neunzehnten Jahrhundert bewandert werden? Aber du willst keine Bücher! Ach, mein wackrer Freund, du bist nicht wohl. Komm in meine Zelle und laß uns plündern. Was bedrückt dich? Und Andrew nahm ihn mit der Höflichkeit eines Ritters, mit dem Zart¬ gefühl eines Weibes und der würdigen Miene eines Sterndeuters bei der Hand und führte ihn in das Gemach eines Mönchs. Sieh mal, sagte er, ich habe einen neue» Stuhl gemacht. Es ist der höchste Beweis meiner Liebe zu meinem teutonischen Freunde. Du hast jetzt ein Recht auf diese Burg, du wirst hier allezeit willkommen sein. Ich sagte mir: hier soll die deutsche Gelehrsamkeit und da soll der Hinterwaldsphilosoph sitzen. So laß dich denn nieder ans mein Sedile und laß uns hören, wie diese un¬ höfliche und unbeständige Welt dich behandelt. Sie kann dir nicht schlimmer mitspielen, als sie mir mitgespielt hat. Aber ich habe meine Rache an ihr ge¬ nommen. Ich bin gerächt. Ich habe gethan, was mir gefiel und der Welt mit allen ihren hohlen Herkömmlichkeiteu getrotzt. Diese letzten Worte wurden in dem Tone menschenfeindlicher Verbitterung gesprochen, den Andrew gewohnt war. Seine Liebe zu August war umso inniger, als sie zum Hintergrunde eine allgemeine Abneigung, wo nicht gegen die Menschenwelt, doch gegen den Teil derselben hatte, der ihn am unmittel¬ barsten umgab. August nahm in dem Stuhle, der kunstreich aus Rvggenstroh geflochten und aus Hickorystäben gebaut war, mit dem Bewußtsein Platz, daß all dieses förmliche Wesen und diese scheinbare Pedanterie nur oberflächlicher Art waren. Er und Andrew waren Vusenfreuude, und wie er dem Burgherrn schon oft sein Herz geöffnet hatte, fo machte es ihm auch jetzt keine Schwierigkeit, ihm seine Not zu klagen, wobei er kaum auf die passenden Zitate achtete, die Andrew von Zeit zu Zeit anbrachte, um die Sache zu verschönern. sechstes Aapitel. Der Philosoph, des Hinterrvaldes. Ein Grund der Liebe Andrews zu August Weste war der, daß derselbe ein Deutscher war. Weit davon entfernt, die Vorurteile seiner Nachbarn gegen

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 41, 1882, Drittes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341835_193340/292>, abgerufen am 26.06.2024.