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Die Grenzboten. Jg. 41, 1882, Drittes Quartal.

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Das heutige Feuilleton.

gewinnen, was vom reinen FenilletoncharaLter abseits führen würde; in der That
schweifen die politischen Feuilletons am leichtesten zu Leitartikeln oder zu lcmg-
nthmigen, theoretischen Abhandlungen ans, über die der kluge Mann lächelt, der
"den Rummel versteht." Die ausgelernten Meister vollbringen hier wenigstens
scheinbar das Unmögliche, das praktische Ziel mit dem eigentümlichen Effekt der
Form zu vereinen.

Als Übergang vom politischen zum literarischen Feuilleton stellt sich das
gesellschaftlich-soziale dar, die einzige Art des Feuilletons, in der sittliche Ge¬
sichtspunkte sich geltend machen. Und doch sollte hierauf alles beruhen, wenn
man die vorgegebene Absicht der Volksbildung im Ernst ausführen wollte. Wir
kommen später auf diesen Punkt zurück. Am achtungswürdigsten erscheint diese
Art dann, wenn sie ohne Ansprüche auf tiefe Ethik, die dem Wesen des Feuille¬
tons nicht ansteht, gesellige Mißstände aufzeigt, in seelischer Umrißzeichnung
allerlei kleine und doch nicht unwichtige Fragen und Rätsel des täglichen inneren
und üußereu Lebens hinstellt und ihre Lösung andeutet, wenn sie kleine alltäg¬
liche, nicht genug beherzigte Regeln und Wahrheiten in einem anschaulichen Bilde
verkörpert. Wenn es dabei bliebe, konnte man dies Feuilleton billig als eine
bescheidene, aber dankenswerte Hilfe unsers Volkslebens ansehen. Aber die
Verführung liegt dem Feuilletonisten zu nahe. Er sieht zwar, daß sachliche
Ausführungen praktischere Erfolge erzielen, daß aber seinem Geschreibsel der
ersehnte Beifall fehlt, wenn er die gewohnten Künste in selbstverleugueuder Sach¬
lichkeit verschmäht. So beginnt auch hier wieder jenes Kokettiren der Form,
welches die Gemüter vom Inhalte auf sich ablenkt. Damit aber ist die lobens¬
werte Wirkung vernichtet. Wie viel täppisches Zeug findet man da in den süßen
Unterhaltungen, welche die ausplaudernden Literaten mit befreundeten Hausfrauen
über Schulüberbürdung, Junggesellenleben, Pensionen, Kindererziehung und
Heiratsplüue gehabt zu haben vorgeben. Meist ists kraftlos drüberhinhnschende
Allerweltsplanderei, und anch diese noch, gelangweilten Gemütern zu Liebe, "mög¬
lichst geistvoll" zugestutzt. In dieser Art novellistischer Schnitzelchen finden sich
alle Hilfsmittel des Effektes beisammen, die das Feuilleton einem einfach em¬
pfindenden Gemüte so widerlich machen. Der aus glatter Zartheit und kecker
Frivolität so eigen gemischte Duft des Salons teilt sich dein Feuilleton mit,
wenn es flüchtige Herzenshäkeleien, Stürme stolzer Eitelkeit in boshaft gespickter
Vilderchen vorüberziehen läßt. Von diesen herzigen Dingen verirrt sich dann
der allezeit dienstwillige Federbett bisweilen auch "ach einem vielbesprochenen
Balle zu der Beschreibung der nud der "hochsüperben" Toiletten, welche die und
die Schönheiten an jenem Abend zum allgemeinen Entzücken getragen haben; er
wird zum Ausrufer des Schneiders.

Einen Übergriff in das schneiderhafte Gebiet der Mode wagt bisweilen
auch das liternrisch - kritische Kunstfeuilleton; die Wiener Fenilletvnspalten hatten
sich während des Sarah Bernhardt-Schwindels in förmliche Toilettenverzeich-


Grcuzboleil III. 1882. "3
Das heutige Feuilleton.

gewinnen, was vom reinen FenilletoncharaLter abseits führen würde; in der That
schweifen die politischen Feuilletons am leichtesten zu Leitartikeln oder zu lcmg-
nthmigen, theoretischen Abhandlungen ans, über die der kluge Mann lächelt, der
„den Rummel versteht." Die ausgelernten Meister vollbringen hier wenigstens
scheinbar das Unmögliche, das praktische Ziel mit dem eigentümlichen Effekt der
Form zu vereinen.

Als Übergang vom politischen zum literarischen Feuilleton stellt sich das
gesellschaftlich-soziale dar, die einzige Art des Feuilletons, in der sittliche Ge¬
sichtspunkte sich geltend machen. Und doch sollte hierauf alles beruhen, wenn
man die vorgegebene Absicht der Volksbildung im Ernst ausführen wollte. Wir
kommen später auf diesen Punkt zurück. Am achtungswürdigsten erscheint diese
Art dann, wenn sie ohne Ansprüche auf tiefe Ethik, die dem Wesen des Feuille¬
tons nicht ansteht, gesellige Mißstände aufzeigt, in seelischer Umrißzeichnung
allerlei kleine und doch nicht unwichtige Fragen und Rätsel des täglichen inneren
und üußereu Lebens hinstellt und ihre Lösung andeutet, wenn sie kleine alltäg¬
liche, nicht genug beherzigte Regeln und Wahrheiten in einem anschaulichen Bilde
verkörpert. Wenn es dabei bliebe, konnte man dies Feuilleton billig als eine
bescheidene, aber dankenswerte Hilfe unsers Volkslebens ansehen. Aber die
Verführung liegt dem Feuilletonisten zu nahe. Er sieht zwar, daß sachliche
Ausführungen praktischere Erfolge erzielen, daß aber seinem Geschreibsel der
ersehnte Beifall fehlt, wenn er die gewohnten Künste in selbstverleugueuder Sach¬
lichkeit verschmäht. So beginnt auch hier wieder jenes Kokettiren der Form,
welches die Gemüter vom Inhalte auf sich ablenkt. Damit aber ist die lobens¬
werte Wirkung vernichtet. Wie viel täppisches Zeug findet man da in den süßen
Unterhaltungen, welche die ausplaudernden Literaten mit befreundeten Hausfrauen
über Schulüberbürdung, Junggesellenleben, Pensionen, Kindererziehung und
Heiratsplüue gehabt zu haben vorgeben. Meist ists kraftlos drüberhinhnschende
Allerweltsplanderei, und anch diese noch, gelangweilten Gemütern zu Liebe, „mög¬
lichst geistvoll" zugestutzt. In dieser Art novellistischer Schnitzelchen finden sich
alle Hilfsmittel des Effektes beisammen, die das Feuilleton einem einfach em¬
pfindenden Gemüte so widerlich machen. Der aus glatter Zartheit und kecker
Frivolität so eigen gemischte Duft des Salons teilt sich dein Feuilleton mit,
wenn es flüchtige Herzenshäkeleien, Stürme stolzer Eitelkeit in boshaft gespickter
Vilderchen vorüberziehen läßt. Von diesen herzigen Dingen verirrt sich dann
der allezeit dienstwillige Federbett bisweilen auch «ach einem vielbesprochenen
Balle zu der Beschreibung der nud der „hochsüperben" Toiletten, welche die und
die Schönheiten an jenem Abend zum allgemeinen Entzücken getragen haben; er
wird zum Ausrufer des Schneiders.

Einen Übergriff in das schneiderhafte Gebiet der Mode wagt bisweilen
auch das liternrisch - kritische Kunstfeuilleton; die Wiener Fenilletvnspalten hatten
sich während des Sarah Bernhardt-Schwindels in förmliche Toilettenverzeich-


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[0265] Das heutige Feuilleton. gewinnen, was vom reinen FenilletoncharaLter abseits führen würde; in der That schweifen die politischen Feuilletons am leichtesten zu Leitartikeln oder zu lcmg- nthmigen, theoretischen Abhandlungen ans, über die der kluge Mann lächelt, der „den Rummel versteht." Die ausgelernten Meister vollbringen hier wenigstens scheinbar das Unmögliche, das praktische Ziel mit dem eigentümlichen Effekt der Form zu vereinen. Als Übergang vom politischen zum literarischen Feuilleton stellt sich das gesellschaftlich-soziale dar, die einzige Art des Feuilletons, in der sittliche Ge¬ sichtspunkte sich geltend machen. Und doch sollte hierauf alles beruhen, wenn man die vorgegebene Absicht der Volksbildung im Ernst ausführen wollte. Wir kommen später auf diesen Punkt zurück. Am achtungswürdigsten erscheint diese Art dann, wenn sie ohne Ansprüche auf tiefe Ethik, die dem Wesen des Feuille¬ tons nicht ansteht, gesellige Mißstände aufzeigt, in seelischer Umrißzeichnung allerlei kleine und doch nicht unwichtige Fragen und Rätsel des täglichen inneren und üußereu Lebens hinstellt und ihre Lösung andeutet, wenn sie kleine alltäg¬ liche, nicht genug beherzigte Regeln und Wahrheiten in einem anschaulichen Bilde verkörpert. Wenn es dabei bliebe, konnte man dies Feuilleton billig als eine bescheidene, aber dankenswerte Hilfe unsers Volkslebens ansehen. Aber die Verführung liegt dem Feuilletonisten zu nahe. Er sieht zwar, daß sachliche Ausführungen praktischere Erfolge erzielen, daß aber seinem Geschreibsel der ersehnte Beifall fehlt, wenn er die gewohnten Künste in selbstverleugueuder Sach¬ lichkeit verschmäht. So beginnt auch hier wieder jenes Kokettiren der Form, welches die Gemüter vom Inhalte auf sich ablenkt. Damit aber ist die lobens¬ werte Wirkung vernichtet. Wie viel täppisches Zeug findet man da in den süßen Unterhaltungen, welche die ausplaudernden Literaten mit befreundeten Hausfrauen über Schulüberbürdung, Junggesellenleben, Pensionen, Kindererziehung und Heiratsplüue gehabt zu haben vorgeben. Meist ists kraftlos drüberhinhnschende Allerweltsplanderei, und anch diese noch, gelangweilten Gemütern zu Liebe, „mög¬ lichst geistvoll" zugestutzt. In dieser Art novellistischer Schnitzelchen finden sich alle Hilfsmittel des Effektes beisammen, die das Feuilleton einem einfach em¬ pfindenden Gemüte so widerlich machen. Der aus glatter Zartheit und kecker Frivolität so eigen gemischte Duft des Salons teilt sich dein Feuilleton mit, wenn es flüchtige Herzenshäkeleien, Stürme stolzer Eitelkeit in boshaft gespickter Vilderchen vorüberziehen läßt. Von diesen herzigen Dingen verirrt sich dann der allezeit dienstwillige Federbett bisweilen auch «ach einem vielbesprochenen Balle zu der Beschreibung der nud der „hochsüperben" Toiletten, welche die und die Schönheiten an jenem Abend zum allgemeinen Entzücken getragen haben; er wird zum Ausrufer des Schneiders. Einen Übergriff in das schneiderhafte Gebiet der Mode wagt bisweilen auch das liternrisch - kritische Kunstfeuilleton; die Wiener Fenilletvnspalten hatten sich während des Sarah Bernhardt-Schwindels in förmliche Toilettenverzeich- Grcuzboleil III. 1882. «3

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 41, 1882, Drittes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341835_193340/265>, abgerufen am 25.08.2024.