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Die Grenzboten. Jg. 41, 1882, Drittes Quartal.

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leichter Mühe einen novellistischen Anstrich für gefühlvolle Leserinnen; fremde
Theater ermächtigen zu beredten Ausschweifungen über einheimische und aus¬
ländische Literatur und Bühne; die besuchten Bäder weisen reizende neue Kleider
in verschwenderischer Fülle auf; Kunst wächst in der Fremde allerorten wild
an der Straße; Natur, die ewig junge und geduldige, läßt sich seit hundert Jahren
in alten Entzückungsformeln immer aufs neue beschreiben; Politisches verrät dem
begierigen Fremdlinge schon das Pflaster der Straße, Gespräche am Wirtshaus¬
tische und die unsterblichen Zeitungen belehren ihn auch dort, auf daß er wieder
belehre; sein wissenschaftliches Steckenpferd aber reitet der Gebildete des neun¬
zehnten Jahrhunderts in der Fremde so gut wie daheim. Nirgends wird soviel
gesündigt wie in diesen Reisefeuilletons: von der unendlichen Reihe der ita¬
lienischen Fahrten bis zu deu seltneren "transatlantischen Reiseskizzen," welche
Sturmflut selbstgenugsamer Odysseen! Vnnt wechseln auch darin die Tendenzen
vom harmlos fröhlichen Bericht über irgend ein verstecktes liebliches Erden--
winkelchen bis zu deu im innersten politischen "Pariser Briefen" Jungdeutsch-
lands, welche als Mahnrufer der Freiheit in Poesie, Malerei, Sitten und Un¬
sitten des "heiligen" Paris die Herrlichkeit republikanischer Freiheiten priesen.

Das politisch-historische Feuilleton, das in den Händen der "jungdeutschen"
Literaten, die weder Dichter noch Politiker waren, weil sie beides sein wollten,
ganz von kosmopolitischen, reformjüdisch republikanischen Zielen geleitet, als
stärkste Waffe jener Wortpolitiker den deutschen Michel aus seinem faulen Schlafe
aufschreien sollte, ist von seiner Bedeutung herabgestiegen, seit ihm sein tönendes
Pathos ausgegangen ist. In den "monarchischen" Reden der deutschen Fort¬
schrittspartei aber lebt es verstohlen weiter und offenbar in den Spalten der
"Frankfurter Zeitung," die an das Hohenzollerntum jener Herren nicht glauben
will. Die Politik, die damals uoch halb versteckt ging, beherrscht jetzt in langen Leit¬
artikeln und unzähligen Zuschriften den Hauptteil der Zeitungen, das Feuilleton
erquickt den ermüdeten Leser meist mit friedlicheren Dingen. Doch sucht die zu¬
dringliche Politik den überfütterten europamilden Bürger bisweilen auch dort
unten in selten stillern Spalten auf, wo er dem Wüste der kannegießernden Leit¬
artikel zu entfliehen hoffte. Die Politik stellt sich hier zu geschichtlichen Gedenk¬
tagen und bei der Besprechung neuer Werke ein, die dem lässigen Bürger die
Notwendigkeit des Kulturkampfes auch aus der feuilletonistischen Schlummerecke
ins Ohr schreien. Die liberälisirenden Tendenzen aber des "jungdeutschen"
Feuilletons sind auf das gesammte neuere jüdische und jubelnde Zeitungstunl
übergegangen, das sich neben dem Parlament stolz als Burg des Volkswohles
und als Schutzwehr echter Freiheit ausgiebt. Wer die rührige Pfiffigkeit dieser
Klasse von Literaten kennt, weiß, wie haushälterisch sie das kleinste Feuilleton
im Dienste ihrer Partei ciusznnutzen verstehen, und begreift, wie das umso
sichrer wirkt, je klüger die Absicht unter allerhand Pikcmterien versteckt ist. Beim
politischen Feuilleton könnte am ehesten der Inhalt über die Form einige Macht


leichter Mühe einen novellistischen Anstrich für gefühlvolle Leserinnen; fremde
Theater ermächtigen zu beredten Ausschweifungen über einheimische und aus¬
ländische Literatur und Bühne; die besuchten Bäder weisen reizende neue Kleider
in verschwenderischer Fülle auf; Kunst wächst in der Fremde allerorten wild
an der Straße; Natur, die ewig junge und geduldige, läßt sich seit hundert Jahren
in alten Entzückungsformeln immer aufs neue beschreiben; Politisches verrät dem
begierigen Fremdlinge schon das Pflaster der Straße, Gespräche am Wirtshaus¬
tische und die unsterblichen Zeitungen belehren ihn auch dort, auf daß er wieder
belehre; sein wissenschaftliches Steckenpferd aber reitet der Gebildete des neun¬
zehnten Jahrhunderts in der Fremde so gut wie daheim. Nirgends wird soviel
gesündigt wie in diesen Reisefeuilletons: von der unendlichen Reihe der ita¬
lienischen Fahrten bis zu deu seltneren „transatlantischen Reiseskizzen," welche
Sturmflut selbstgenugsamer Odysseen! Vnnt wechseln auch darin die Tendenzen
vom harmlos fröhlichen Bericht über irgend ein verstecktes liebliches Erden--
winkelchen bis zu deu im innersten politischen „Pariser Briefen" Jungdeutsch-
lands, welche als Mahnrufer der Freiheit in Poesie, Malerei, Sitten und Un¬
sitten des „heiligen" Paris die Herrlichkeit republikanischer Freiheiten priesen.

Das politisch-historische Feuilleton, das in den Händen der „jungdeutschen"
Literaten, die weder Dichter noch Politiker waren, weil sie beides sein wollten,
ganz von kosmopolitischen, reformjüdisch republikanischen Zielen geleitet, als
stärkste Waffe jener Wortpolitiker den deutschen Michel aus seinem faulen Schlafe
aufschreien sollte, ist von seiner Bedeutung herabgestiegen, seit ihm sein tönendes
Pathos ausgegangen ist. In den „monarchischen" Reden der deutschen Fort¬
schrittspartei aber lebt es verstohlen weiter und offenbar in den Spalten der
„Frankfurter Zeitung," die an das Hohenzollerntum jener Herren nicht glauben
will. Die Politik, die damals uoch halb versteckt ging, beherrscht jetzt in langen Leit¬
artikeln und unzähligen Zuschriften den Hauptteil der Zeitungen, das Feuilleton
erquickt den ermüdeten Leser meist mit friedlicheren Dingen. Doch sucht die zu¬
dringliche Politik den überfütterten europamilden Bürger bisweilen auch dort
unten in selten stillern Spalten auf, wo er dem Wüste der kannegießernden Leit¬
artikel zu entfliehen hoffte. Die Politik stellt sich hier zu geschichtlichen Gedenk¬
tagen und bei der Besprechung neuer Werke ein, die dem lässigen Bürger die
Notwendigkeit des Kulturkampfes auch aus der feuilletonistischen Schlummerecke
ins Ohr schreien. Die liberälisirenden Tendenzen aber des „jungdeutschen"
Feuilletons sind auf das gesammte neuere jüdische und jubelnde Zeitungstunl
übergegangen, das sich neben dem Parlament stolz als Burg des Volkswohles
und als Schutzwehr echter Freiheit ausgiebt. Wer die rührige Pfiffigkeit dieser
Klasse von Literaten kennt, weiß, wie haushälterisch sie das kleinste Feuilleton
im Dienste ihrer Partei ciusznnutzen verstehen, und begreift, wie das umso
sichrer wirkt, je klüger die Absicht unter allerhand Pikcmterien versteckt ist. Beim
politischen Feuilleton könnte am ehesten der Inhalt über die Form einige Macht


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[0264] leichter Mühe einen novellistischen Anstrich für gefühlvolle Leserinnen; fremde Theater ermächtigen zu beredten Ausschweifungen über einheimische und aus¬ ländische Literatur und Bühne; die besuchten Bäder weisen reizende neue Kleider in verschwenderischer Fülle auf; Kunst wächst in der Fremde allerorten wild an der Straße; Natur, die ewig junge und geduldige, läßt sich seit hundert Jahren in alten Entzückungsformeln immer aufs neue beschreiben; Politisches verrät dem begierigen Fremdlinge schon das Pflaster der Straße, Gespräche am Wirtshaus¬ tische und die unsterblichen Zeitungen belehren ihn auch dort, auf daß er wieder belehre; sein wissenschaftliches Steckenpferd aber reitet der Gebildete des neun¬ zehnten Jahrhunderts in der Fremde so gut wie daheim. Nirgends wird soviel gesündigt wie in diesen Reisefeuilletons: von der unendlichen Reihe der ita¬ lienischen Fahrten bis zu deu seltneren „transatlantischen Reiseskizzen," welche Sturmflut selbstgenugsamer Odysseen! Vnnt wechseln auch darin die Tendenzen vom harmlos fröhlichen Bericht über irgend ein verstecktes liebliches Erden-- winkelchen bis zu deu im innersten politischen „Pariser Briefen" Jungdeutsch- lands, welche als Mahnrufer der Freiheit in Poesie, Malerei, Sitten und Un¬ sitten des „heiligen" Paris die Herrlichkeit republikanischer Freiheiten priesen. Das politisch-historische Feuilleton, das in den Händen der „jungdeutschen" Literaten, die weder Dichter noch Politiker waren, weil sie beides sein wollten, ganz von kosmopolitischen, reformjüdisch republikanischen Zielen geleitet, als stärkste Waffe jener Wortpolitiker den deutschen Michel aus seinem faulen Schlafe aufschreien sollte, ist von seiner Bedeutung herabgestiegen, seit ihm sein tönendes Pathos ausgegangen ist. In den „monarchischen" Reden der deutschen Fort¬ schrittspartei aber lebt es verstohlen weiter und offenbar in den Spalten der „Frankfurter Zeitung," die an das Hohenzollerntum jener Herren nicht glauben will. Die Politik, die damals uoch halb versteckt ging, beherrscht jetzt in langen Leit¬ artikeln und unzähligen Zuschriften den Hauptteil der Zeitungen, das Feuilleton erquickt den ermüdeten Leser meist mit friedlicheren Dingen. Doch sucht die zu¬ dringliche Politik den überfütterten europamilden Bürger bisweilen auch dort unten in selten stillern Spalten auf, wo er dem Wüste der kannegießernden Leit¬ artikel zu entfliehen hoffte. Die Politik stellt sich hier zu geschichtlichen Gedenk¬ tagen und bei der Besprechung neuer Werke ein, die dem lässigen Bürger die Notwendigkeit des Kulturkampfes auch aus der feuilletonistischen Schlummerecke ins Ohr schreien. Die liberälisirenden Tendenzen aber des „jungdeutschen" Feuilletons sind auf das gesammte neuere jüdische und jubelnde Zeitungstunl übergegangen, das sich neben dem Parlament stolz als Burg des Volkswohles und als Schutzwehr echter Freiheit ausgiebt. Wer die rührige Pfiffigkeit dieser Klasse von Literaten kennt, weiß, wie haushälterisch sie das kleinste Feuilleton im Dienste ihrer Partei ciusznnutzen verstehen, und begreift, wie das umso sichrer wirkt, je klüger die Absicht unter allerhand Pikcmterien versteckt ist. Beim politischen Feuilleton könnte am ehesten der Inhalt über die Form einige Macht

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 41, 1882, Drittes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341835_193340/264>, abgerufen am 25.08.2024.