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Die Grenzboten. Jg. 41, 1882, Drittes Quartal.

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Der jüngste Tag.

Na, wenn du darauf bestehst, so werde ich dir's natürlich nicht abschlagen,
sagte er. Und vielleicht hast du Recht. Auf diese Weise hatte er beinahe jeden
Tag seines Ehelebens nachgegeben, und ans diese Weise gab er auch dem Ver¬
langen nach Entlassung Augusts nach. Aber er kam mit seiner Frciu überein,
Julia nichts van der Sache wissen zu lassen und kein Abschiednehmen zu ge¬
statten.

Am nächsten Tage schon kam es jedoch anders. Julia saß mit einer
Nähterei in der langen Veranda vor dein Hause. Cynthy Ann, die Magd, be¬
reitete in der Küche am andern Eude des Durchgangs durch das Gebäude das
Mittagsessen, und Frau Anderson war mit ihrer gewöhnlichen Bekämpfung von
Staub und Schmutz beschäftigt. Sie hielt das Haus rein, weil es ihrem streit¬
fertigen Sinne und ihrer Herrschsucht wohlthat, dem sich immer mehr breit-
macheudeu Schmutze zum Trotze das Haus rein zu sehen. Und so scheuerte
und zankte, so zankte und scheuerte sie, daß Scheuern und Zanken mit einander
klappten und sich reinem. Das Zanken war die Vokalmusik, das Scheuern die In¬
strumentalbegleitung. Der Einklang des Mißklangs war vollkommen. Just in
dem Augenblicke, von dem ich spreche, war eine Pause in ihrem Zanken einge¬
treten. Nur das symphonische Scheuern ging fort wie bisher. Julia, die das
nächste Gewitter von sich abzulenken wünschte, errichtete etwas, wovon sie meinte,
es könnte sich als eine Art kvnversationeller Blitzableiter bewähren, indem sie
eine Frage über einen Gegenstand that, welche mit dem Thema des letzten
Marsches, den ihre Mutter so hold mit Scheuerbürste und Stimme gespielt und
gesungen, nichts zu thun hatte.

Mutter, was macht nur den Onkel Andrew so wunderlich?

Ach was, ich weiß es nicht. Er war immer ein Querkopf. Dies wurde
8wo(Z!Z.to, im Tone einer schnappenden Schildkröte gesprochen. Aber wenn man
sein Lebenlang mit eiuer schnappenden Schildkröte zusammen gelebt hat, achtet
man nicht darauf. Julia achtete denn auch nicht dnranf. Sie war begierig
zu wissen, wie es mit ihrem Oheim Andrew Anderson stand, und so sagte sie:

Ich habe gehört, daß ein falsches Frauenzimmer ihn grausam behandelt
hat. Verhält sich das so?

Julia sah uicht, wie rot ihre Mutter im Gesicht geworden war; denn sie
blickte sie nicht an.

Wer hat dir das erzählt? Julia war so sehr daran gewöhnt, ihre Mutter
in aufgeregter Weise reden zu hören, daß sie kaum das seltsame Zittern in dieser
Frage bemerkte.'

August.

Augenblicklich nahm die Symphonie ein Ende. Die Scheuerbürste fiel in
den Eimer mit Seifenwasser. Aber die stürmische Vokalmusik brauste mit einer
Heftigkeit los, vor der selbst Julia zusammenfuhr. Also August hat das gesagt,
wirklich? Du hörtest darauf, wirklich? Du ließest dir das erzähle,,. He?


Der jüngste Tag.

Na, wenn du darauf bestehst, so werde ich dir's natürlich nicht abschlagen,
sagte er. Und vielleicht hast du Recht. Auf diese Weise hatte er beinahe jeden
Tag seines Ehelebens nachgegeben, und ans diese Weise gab er auch dem Ver¬
langen nach Entlassung Augusts nach. Aber er kam mit seiner Frciu überein,
Julia nichts van der Sache wissen zu lassen und kein Abschiednehmen zu ge¬
statten.

Am nächsten Tage schon kam es jedoch anders. Julia saß mit einer
Nähterei in der langen Veranda vor dein Hause. Cynthy Ann, die Magd, be¬
reitete in der Küche am andern Eude des Durchgangs durch das Gebäude das
Mittagsessen, und Frau Anderson war mit ihrer gewöhnlichen Bekämpfung von
Staub und Schmutz beschäftigt. Sie hielt das Haus rein, weil es ihrem streit¬
fertigen Sinne und ihrer Herrschsucht wohlthat, dem sich immer mehr breit-
macheudeu Schmutze zum Trotze das Haus rein zu sehen. Und so scheuerte
und zankte, so zankte und scheuerte sie, daß Scheuern und Zanken mit einander
klappten und sich reinem. Das Zanken war die Vokalmusik, das Scheuern die In¬
strumentalbegleitung. Der Einklang des Mißklangs war vollkommen. Just in
dem Augenblicke, von dem ich spreche, war eine Pause in ihrem Zanken einge¬
treten. Nur das symphonische Scheuern ging fort wie bisher. Julia, die das
nächste Gewitter von sich abzulenken wünschte, errichtete etwas, wovon sie meinte,
es könnte sich als eine Art kvnversationeller Blitzableiter bewähren, indem sie
eine Frage über einen Gegenstand that, welche mit dem Thema des letzten
Marsches, den ihre Mutter so hold mit Scheuerbürste und Stimme gespielt und
gesungen, nichts zu thun hatte.

Mutter, was macht nur den Onkel Andrew so wunderlich?

Ach was, ich weiß es nicht. Er war immer ein Querkopf. Dies wurde
8wo(Z!Z.to, im Tone einer schnappenden Schildkröte gesprochen. Aber wenn man
sein Lebenlang mit eiuer schnappenden Schildkröte zusammen gelebt hat, achtet
man nicht darauf. Julia achtete denn auch nicht dnranf. Sie war begierig
zu wissen, wie es mit ihrem Oheim Andrew Anderson stand, und so sagte sie:

Ich habe gehört, daß ein falsches Frauenzimmer ihn grausam behandelt
hat. Verhält sich das so?

Julia sah uicht, wie rot ihre Mutter im Gesicht geworden war; denn sie
blickte sie nicht an.

Wer hat dir das erzählt? Julia war so sehr daran gewöhnt, ihre Mutter
in aufgeregter Weise reden zu hören, daß sie kaum das seltsame Zittern in dieser
Frage bemerkte.'

August.

Augenblicklich nahm die Symphonie ein Ende. Die Scheuerbürste fiel in
den Eimer mit Seifenwasser. Aber die stürmische Vokalmusik brauste mit einer
Heftigkeit los, vor der selbst Julia zusammenfuhr. Also August hat das gesagt,
wirklich? Du hörtest darauf, wirklich? Du ließest dir das erzähle,,. He?


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[0247] Der jüngste Tag. Na, wenn du darauf bestehst, so werde ich dir's natürlich nicht abschlagen, sagte er. Und vielleicht hast du Recht. Auf diese Weise hatte er beinahe jeden Tag seines Ehelebens nachgegeben, und ans diese Weise gab er auch dem Ver¬ langen nach Entlassung Augusts nach. Aber er kam mit seiner Frciu überein, Julia nichts van der Sache wissen zu lassen und kein Abschiednehmen zu ge¬ statten. Am nächsten Tage schon kam es jedoch anders. Julia saß mit einer Nähterei in der langen Veranda vor dein Hause. Cynthy Ann, die Magd, be¬ reitete in der Küche am andern Eude des Durchgangs durch das Gebäude das Mittagsessen, und Frau Anderson war mit ihrer gewöhnlichen Bekämpfung von Staub und Schmutz beschäftigt. Sie hielt das Haus rein, weil es ihrem streit¬ fertigen Sinne und ihrer Herrschsucht wohlthat, dem sich immer mehr breit- macheudeu Schmutze zum Trotze das Haus rein zu sehen. Und so scheuerte und zankte, so zankte und scheuerte sie, daß Scheuern und Zanken mit einander klappten und sich reinem. Das Zanken war die Vokalmusik, das Scheuern die In¬ strumentalbegleitung. Der Einklang des Mißklangs war vollkommen. Just in dem Augenblicke, von dem ich spreche, war eine Pause in ihrem Zanken einge¬ treten. Nur das symphonische Scheuern ging fort wie bisher. Julia, die das nächste Gewitter von sich abzulenken wünschte, errichtete etwas, wovon sie meinte, es könnte sich als eine Art kvnversationeller Blitzableiter bewähren, indem sie eine Frage über einen Gegenstand that, welche mit dem Thema des letzten Marsches, den ihre Mutter so hold mit Scheuerbürste und Stimme gespielt und gesungen, nichts zu thun hatte. Mutter, was macht nur den Onkel Andrew so wunderlich? Ach was, ich weiß es nicht. Er war immer ein Querkopf. Dies wurde 8wo(Z!Z.to, im Tone einer schnappenden Schildkröte gesprochen. Aber wenn man sein Lebenlang mit eiuer schnappenden Schildkröte zusammen gelebt hat, achtet man nicht darauf. Julia achtete denn auch nicht dnranf. Sie war begierig zu wissen, wie es mit ihrem Oheim Andrew Anderson stand, und so sagte sie: Ich habe gehört, daß ein falsches Frauenzimmer ihn grausam behandelt hat. Verhält sich das so? Julia sah uicht, wie rot ihre Mutter im Gesicht geworden war; denn sie blickte sie nicht an. Wer hat dir das erzählt? Julia war so sehr daran gewöhnt, ihre Mutter in aufgeregter Weise reden zu hören, daß sie kaum das seltsame Zittern in dieser Frage bemerkte.' August. Augenblicklich nahm die Symphonie ein Ende. Die Scheuerbürste fiel in den Eimer mit Seifenwasser. Aber die stürmische Vokalmusik brauste mit einer Heftigkeit los, vor der selbst Julia zusammenfuhr. Also August hat das gesagt, wirklich? Du hörtest darauf, wirklich? Du ließest dir das erzähle,,. He?

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 41, 1882, Drittes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341835_193340/247>, abgerufen am 29.06.2024.