Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 41, 1882, Drittes Quartal.

Bild:
<< vorherige Seite
Der jüngste Tag.

Mit der raschen und gewandten Bescheidenheit ihres Geschlechts wich Julia
diesem sehr anmutigen Pfeile ans, indem sie sagte: Wie viel dn doch weißt,
August! Wo hast dn das nur alles her?

Und August war erfreut, teils wegen des Kompliments, teils aber anch
und hauptsächlich, weil Julia, indem sie es gesagt, den Sommerhut in eine solche
Richtung gebracht hatte, daß er auf dem Grunde dieser Liiraer-z. odsvur^ ihre
hellen Augen und ihr errötendes Gesicht sehen konnte. Er beeilte sich nicht, zu
antworten. So lauge die Vision dauerte, genoß er die Vision. Erst als der
Sommerhut wieder sank, machte er sich darau, ihre Frage zu beantworten.

Ich weiß nicht viel, aber was ich weiß, habe ich aus den Büchern deines
Onkels Andrew gelernt.

Kennst du denn meinen Onkel Andrew? Was das doch für ein seltsamer
Mann ist! Er kommt niemals hierher, und wir gehen niemals hin, und meine
Mutter spricht nie mit ihm, und auch mein Vater hat ihm nicht oft was zu
sagen. So bist du also in seinem Hause gewesen. Es heißt, er hätte den ganzen
Oberstock voll Bücher und eine unzählige Menge von Katzen und Hunden und
Vögeln und Eichhörnchen nur sich herum. Aber ich dachte immer, er ließe nie¬
mand hinauf gehen.

Mich läßt er, sagte August, als sie ihre Rede beendigt hatte und der Sommer¬
hut wieder so gesenkt worden, daß ihr Gesicht seinen Augen entzogen war, deren
Blick wirklich zu beharrlich an ihm haftete. Ich verbringe viele Abende im obern
Stock. Angust hatte in seiner Aussprache des Englischen nur einen leichten
deutschen Anflug.

Ich möchte wissen, was den Onkel Andrew so wunderlich macht.

Das weiß ich uicht recht genau. Manche sagen, er wäre als junger Mann
von einem Mädchen nicht ganz gut behandelt worden. Ich weiß es nicht. Er
scheint sich glücklich zu fühlen. Ich wundere mich nicht darüber, daß jemand
wunderlich wird, wenn ein Mädchen, das er liebt, ihn nicht recht gut be¬
handelt. Jedenfalls dann, wenn er sie von ganzem Herzen liebt, wie ich Julia
Anderson liebe.

Diese letzten Worte kosteten ihm einige Anstrengung. Und Julia erinnerte
sich just in diesem Augenblicke ihres Auftrages und sagte: Ich muß gleich fort,
und mit der Behendigkeit eines Landmädchens kletterte sie über den Zaum, bevor
August ihr helfen konnte, und warf ihm von der andern Seite noch einen Blick
durch ihr Hutteleskvp zu, worauf sie sich beeilte, den Thee zurückzuerstatten und
Frau Malcolm zu benachrichtigen, daß am Sonntagabend ein Prediger der
Milleriteu im Schulhause auftreten werde. Und August fand, daß seine Pferde
ganz kühl waren, während er ganz erhitzt war. Er reinigte sein Streichbrct,
warf den Pflug herum und zog dann mit einem Hüfte, ho! und einem Zug der
einzigen Leine, mit welcher die Pflüger des Westens ihr Pferd zu lenken Pflegen, das
Gespann an seinen Platz, um nun hinter ihm herzuschreiten und die Umbrechung


Der jüngste Tag.

Mit der raschen und gewandten Bescheidenheit ihres Geschlechts wich Julia
diesem sehr anmutigen Pfeile ans, indem sie sagte: Wie viel dn doch weißt,
August! Wo hast dn das nur alles her?

Und August war erfreut, teils wegen des Kompliments, teils aber anch
und hauptsächlich, weil Julia, indem sie es gesagt, den Sommerhut in eine solche
Richtung gebracht hatte, daß er auf dem Grunde dieser Liiraer-z. odsvur^ ihre
hellen Augen und ihr errötendes Gesicht sehen konnte. Er beeilte sich nicht, zu
antworten. So lauge die Vision dauerte, genoß er die Vision. Erst als der
Sommerhut wieder sank, machte er sich darau, ihre Frage zu beantworten.

Ich weiß nicht viel, aber was ich weiß, habe ich aus den Büchern deines
Onkels Andrew gelernt.

Kennst du denn meinen Onkel Andrew? Was das doch für ein seltsamer
Mann ist! Er kommt niemals hierher, und wir gehen niemals hin, und meine
Mutter spricht nie mit ihm, und auch mein Vater hat ihm nicht oft was zu
sagen. So bist du also in seinem Hause gewesen. Es heißt, er hätte den ganzen
Oberstock voll Bücher und eine unzählige Menge von Katzen und Hunden und
Vögeln und Eichhörnchen nur sich herum. Aber ich dachte immer, er ließe nie¬
mand hinauf gehen.

Mich läßt er, sagte August, als sie ihre Rede beendigt hatte und der Sommer¬
hut wieder so gesenkt worden, daß ihr Gesicht seinen Augen entzogen war, deren
Blick wirklich zu beharrlich an ihm haftete. Ich verbringe viele Abende im obern
Stock. Angust hatte in seiner Aussprache des Englischen nur einen leichten
deutschen Anflug.

Ich möchte wissen, was den Onkel Andrew so wunderlich macht.

Das weiß ich uicht recht genau. Manche sagen, er wäre als junger Mann
von einem Mädchen nicht ganz gut behandelt worden. Ich weiß es nicht. Er
scheint sich glücklich zu fühlen. Ich wundere mich nicht darüber, daß jemand
wunderlich wird, wenn ein Mädchen, das er liebt, ihn nicht recht gut be¬
handelt. Jedenfalls dann, wenn er sie von ganzem Herzen liebt, wie ich Julia
Anderson liebe.

Diese letzten Worte kosteten ihm einige Anstrengung. Und Julia erinnerte
sich just in diesem Augenblicke ihres Auftrages und sagte: Ich muß gleich fort,
und mit der Behendigkeit eines Landmädchens kletterte sie über den Zaum, bevor
August ihr helfen konnte, und warf ihm von der andern Seite noch einen Blick
durch ihr Hutteleskvp zu, worauf sie sich beeilte, den Thee zurückzuerstatten und
Frau Malcolm zu benachrichtigen, daß am Sonntagabend ein Prediger der
Milleriteu im Schulhause auftreten werde. Und August fand, daß seine Pferde
ganz kühl waren, während er ganz erhitzt war. Er reinigte sein Streichbrct,
warf den Pflug herum und zog dann mit einem Hüfte, ho! und einem Zug der
einzigen Leine, mit welcher die Pflüger des Westens ihr Pferd zu lenken Pflegen, das
Gespann an seinen Platz, um nun hinter ihm herzuschreiten und die Umbrechung


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <div n="2">
            <pb facs="#f0244" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/193585"/>
            <fw type="header" place="top"> Der jüngste Tag.</fw><lb/>
            <p xml:id="ID_782"> Mit der raschen und gewandten Bescheidenheit ihres Geschlechts wich Julia<lb/>
diesem sehr anmutigen Pfeile ans, indem sie sagte: Wie viel dn doch weißt,<lb/>
August! Wo hast dn das nur alles her?</p><lb/>
            <p xml:id="ID_783"> Und August war erfreut, teils wegen des Kompliments, teils aber anch<lb/>
und hauptsächlich, weil Julia, indem sie es gesagt, den Sommerhut in eine solche<lb/>
Richtung gebracht hatte, daß er auf dem Grunde dieser Liiraer-z. odsvur^ ihre<lb/>
hellen Augen und ihr errötendes Gesicht sehen konnte. Er beeilte sich nicht, zu<lb/>
antworten. So lauge die Vision dauerte, genoß er die Vision. Erst als der<lb/>
Sommerhut wieder sank, machte er sich darau, ihre Frage zu beantworten.</p><lb/>
            <p xml:id="ID_784"> Ich weiß nicht viel, aber was ich weiß, habe ich aus den Büchern deines<lb/>
Onkels Andrew gelernt.</p><lb/>
            <p xml:id="ID_785"> Kennst du denn meinen Onkel Andrew? Was das doch für ein seltsamer<lb/>
Mann ist! Er kommt niemals hierher, und wir gehen niemals hin, und meine<lb/>
Mutter spricht nie mit ihm, und auch mein Vater hat ihm nicht oft was zu<lb/>
sagen. So bist du also in seinem Hause gewesen. Es heißt, er hätte den ganzen<lb/>
Oberstock voll Bücher und eine unzählige Menge von Katzen und Hunden und<lb/>
Vögeln und Eichhörnchen nur sich herum. Aber ich dachte immer, er ließe nie¬<lb/>
mand hinauf gehen.</p><lb/>
            <p xml:id="ID_786"> Mich läßt er, sagte August, als sie ihre Rede beendigt hatte und der Sommer¬<lb/>
hut wieder so gesenkt worden, daß ihr Gesicht seinen Augen entzogen war, deren<lb/>
Blick wirklich zu beharrlich an ihm haftete. Ich verbringe viele Abende im obern<lb/>
Stock. Angust hatte in seiner Aussprache des Englischen nur einen leichten<lb/>
deutschen Anflug.</p><lb/>
            <p xml:id="ID_787"> Ich möchte wissen, was den Onkel Andrew so wunderlich macht.</p><lb/>
            <p xml:id="ID_788"> Das weiß ich uicht recht genau. Manche sagen, er wäre als junger Mann<lb/>
von einem Mädchen nicht ganz gut behandelt worden. Ich weiß es nicht. Er<lb/>
scheint sich glücklich zu fühlen. Ich wundere mich nicht darüber, daß jemand<lb/>
wunderlich wird, wenn ein Mädchen, das er liebt, ihn nicht recht gut be¬<lb/>
handelt. Jedenfalls dann, wenn er sie von ganzem Herzen liebt, wie ich Julia<lb/>
Anderson liebe.</p><lb/>
            <p xml:id="ID_789" next="#ID_790"> Diese letzten Worte kosteten ihm einige Anstrengung. Und Julia erinnerte<lb/>
sich just in diesem Augenblicke ihres Auftrages und sagte: Ich muß gleich fort,<lb/>
und mit der Behendigkeit eines Landmädchens kletterte sie über den Zaum, bevor<lb/>
August ihr helfen konnte, und warf ihm von der andern Seite noch einen Blick<lb/>
durch ihr Hutteleskvp zu, worauf sie sich beeilte, den Thee zurückzuerstatten und<lb/>
Frau Malcolm zu benachrichtigen, daß am Sonntagabend ein Prediger der<lb/>
Milleriteu im Schulhause auftreten werde. Und August fand, daß seine Pferde<lb/>
ganz kühl waren, während er ganz erhitzt war. Er reinigte sein Streichbrct,<lb/>
warf den Pflug herum und zog dann mit einem Hüfte, ho! und einem Zug der<lb/>
einzigen Leine, mit welcher die Pflüger des Westens ihr Pferd zu lenken Pflegen, das<lb/>
Gespann an seinen Platz, um nun hinter ihm herzuschreiten und die Umbrechung</p><lb/>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0244] Der jüngste Tag. Mit der raschen und gewandten Bescheidenheit ihres Geschlechts wich Julia diesem sehr anmutigen Pfeile ans, indem sie sagte: Wie viel dn doch weißt, August! Wo hast dn das nur alles her? Und August war erfreut, teils wegen des Kompliments, teils aber anch und hauptsächlich, weil Julia, indem sie es gesagt, den Sommerhut in eine solche Richtung gebracht hatte, daß er auf dem Grunde dieser Liiraer-z. odsvur^ ihre hellen Augen und ihr errötendes Gesicht sehen konnte. Er beeilte sich nicht, zu antworten. So lauge die Vision dauerte, genoß er die Vision. Erst als der Sommerhut wieder sank, machte er sich darau, ihre Frage zu beantworten. Ich weiß nicht viel, aber was ich weiß, habe ich aus den Büchern deines Onkels Andrew gelernt. Kennst du denn meinen Onkel Andrew? Was das doch für ein seltsamer Mann ist! Er kommt niemals hierher, und wir gehen niemals hin, und meine Mutter spricht nie mit ihm, und auch mein Vater hat ihm nicht oft was zu sagen. So bist du also in seinem Hause gewesen. Es heißt, er hätte den ganzen Oberstock voll Bücher und eine unzählige Menge von Katzen und Hunden und Vögeln und Eichhörnchen nur sich herum. Aber ich dachte immer, er ließe nie¬ mand hinauf gehen. Mich läßt er, sagte August, als sie ihre Rede beendigt hatte und der Sommer¬ hut wieder so gesenkt worden, daß ihr Gesicht seinen Augen entzogen war, deren Blick wirklich zu beharrlich an ihm haftete. Ich verbringe viele Abende im obern Stock. Angust hatte in seiner Aussprache des Englischen nur einen leichten deutschen Anflug. Ich möchte wissen, was den Onkel Andrew so wunderlich macht. Das weiß ich uicht recht genau. Manche sagen, er wäre als junger Mann von einem Mädchen nicht ganz gut behandelt worden. Ich weiß es nicht. Er scheint sich glücklich zu fühlen. Ich wundere mich nicht darüber, daß jemand wunderlich wird, wenn ein Mädchen, das er liebt, ihn nicht recht gut be¬ handelt. Jedenfalls dann, wenn er sie von ganzem Herzen liebt, wie ich Julia Anderson liebe. Diese letzten Worte kosteten ihm einige Anstrengung. Und Julia erinnerte sich just in diesem Augenblicke ihres Auftrages und sagte: Ich muß gleich fort, und mit der Behendigkeit eines Landmädchens kletterte sie über den Zaum, bevor August ihr helfen konnte, und warf ihm von der andern Seite noch einen Blick durch ihr Hutteleskvp zu, worauf sie sich beeilte, den Thee zurückzuerstatten und Frau Malcolm zu benachrichtigen, daß am Sonntagabend ein Prediger der Milleriteu im Schulhause auftreten werde. Und August fand, daß seine Pferde ganz kühl waren, während er ganz erhitzt war. Er reinigte sein Streichbrct, warf den Pflug herum und zog dann mit einem Hüfte, ho! und einem Zug der einzigen Leine, mit welcher die Pflüger des Westens ihr Pferd zu lenken Pflegen, das Gespann an seinen Platz, um nun hinter ihm herzuschreiten und die Umbrechung

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341835_193340
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341835_193340/244
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 41, 1882, Drittes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341835_193340/244>, abgerufen am 01.07.2024.