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Die Grenzboten. Jg. 41, 1882, Drittes Quartal.

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Der jüngste Tag.

wohl sein Herz alle ihre Schritte von der Thürschwelle bis zu dem Baume ge¬
zählt hatte, ein überraschtes Gesicht. Nichts auf Erden konnte so erstaunlich
sein, als sie hier zu sehen. Denn die Liebe ist unnötigerweise zur Verstellung
geneigt, sie verrät immer den Trieb, sich zu verstecken, nicht unmittelbar hervor¬
zutreten. Der junge Mann und ganz vorzüglich das Mädchen, welches in Liebes-
sachen offen mit der Sprache herauszugehen und die Wahrheit zu sagen Pflegt,
ist ein Wunder an Wahrhaftigkeit. Aber es giebt Leute der Art, und man
sollte sie hochachten -- mit der Hochachtung, die wir Märtyrern zollen.

Julia Anderson ihrerseits war dahergeschritten, als ob sie an dem jungen
Pflüger vorbeigehen wollte. Als er sie nun anredete, fuhr sie zusammen, wurde
rot und blieb stehen, wobei sie hastig zugreifend die Spitze eines Stengels Eisen¬
kraut vom letzten Jahre abriß und sie, während er sprach, zu zerbröckeln begann.
Sie schlug dazu die meiste Zeit die Augen nieder, erhob sie aber dann und wann
zu ihm. Und dem sonnengebräunten, aber wohlgebildeten Gesichte des jungen
Deutschen kam jeder Aufblick des Antlitzes dieses frischen Mädchens im tiefen
Schatten ihres weitvorstehenden Svnncnhutes wie eine Vision des Paradieses
vor. Denn Mädchengesichter können in unsrer Generation niemals so hold aus¬
sehen, als sie den jungen Burschen erschienen, welche ihrer ansichtig wurden,
als sie, diese allerliebsten Dinger, noch in der Dunkelheit eines Tunnels von
Pappe und Kattun verborgen waren.

ES war nicht das erstemal, daß sie von ihrer Liebe sprachen. Waren sie
miteinander verlobt? Ja und nein. Durch die ganze Sprache, deren ihre Augen
in der Schule fähig gewesen waren, und neuerdings auch durch Worte hatten
sie sich gelobt, einander zu lieben und das einander zu sagen. Aber sie waren
jung und durch Umstände getrennt, und sie hatten kaum schon begonnen, an
das Heiraten zu denken. Es war für jetzt genug, zu lieben und geliebt zu
werden. Das entzückendste Slavina eines Liebesverhältnisses ist das, wo die
Gegenwart genügt und es keine Vergangenheit und keine Zukunft giebt. Und
so schlug August seinen Arm um die Spitze des Kummels seines Braunen und
plauderte mit Julia.

Es gereicht dem deutschen Herzen zum höchsten Lobe, daß es Blumen und
kleine Kinder liebt, und als Deutscher und Liebender begann August von den
Anemonen und Veilchen zu sprechen, die bereits in den Ecken des Zaunes blühten.
Mädchen, welche lieben, pflegen eben nichts besonders neues zu sagen. Und
Julia sagte nur, es käme ihr vor, als ob die Blumen im Sonnenschein glück¬
lich wären. Als Antwort auf diese Äußerung, die dein Liebenden wie eine kleine
Inspiration erschien, zitirte er aus Schiller die Verse:


Zarte Frühlingskinder, weinet,
Liebe hat sie euch vermeinet,
Euch das selige Gefühl,

Der jüngste Tag.

wohl sein Herz alle ihre Schritte von der Thürschwelle bis zu dem Baume ge¬
zählt hatte, ein überraschtes Gesicht. Nichts auf Erden konnte so erstaunlich
sein, als sie hier zu sehen. Denn die Liebe ist unnötigerweise zur Verstellung
geneigt, sie verrät immer den Trieb, sich zu verstecken, nicht unmittelbar hervor¬
zutreten. Der junge Mann und ganz vorzüglich das Mädchen, welches in Liebes-
sachen offen mit der Sprache herauszugehen und die Wahrheit zu sagen Pflegt,
ist ein Wunder an Wahrhaftigkeit. Aber es giebt Leute der Art, und man
sollte sie hochachten — mit der Hochachtung, die wir Märtyrern zollen.

Julia Anderson ihrerseits war dahergeschritten, als ob sie an dem jungen
Pflüger vorbeigehen wollte. Als er sie nun anredete, fuhr sie zusammen, wurde
rot und blieb stehen, wobei sie hastig zugreifend die Spitze eines Stengels Eisen¬
kraut vom letzten Jahre abriß und sie, während er sprach, zu zerbröckeln begann.
Sie schlug dazu die meiste Zeit die Augen nieder, erhob sie aber dann und wann
zu ihm. Und dem sonnengebräunten, aber wohlgebildeten Gesichte des jungen
Deutschen kam jeder Aufblick des Antlitzes dieses frischen Mädchens im tiefen
Schatten ihres weitvorstehenden Svnncnhutes wie eine Vision des Paradieses
vor. Denn Mädchengesichter können in unsrer Generation niemals so hold aus¬
sehen, als sie den jungen Burschen erschienen, welche ihrer ansichtig wurden,
als sie, diese allerliebsten Dinger, noch in der Dunkelheit eines Tunnels von
Pappe und Kattun verborgen waren.

ES war nicht das erstemal, daß sie von ihrer Liebe sprachen. Waren sie
miteinander verlobt? Ja und nein. Durch die ganze Sprache, deren ihre Augen
in der Schule fähig gewesen waren, und neuerdings auch durch Worte hatten
sie sich gelobt, einander zu lieben und das einander zu sagen. Aber sie waren
jung und durch Umstände getrennt, und sie hatten kaum schon begonnen, an
das Heiraten zu denken. Es war für jetzt genug, zu lieben und geliebt zu
werden. Das entzückendste Slavina eines Liebesverhältnisses ist das, wo die
Gegenwart genügt und es keine Vergangenheit und keine Zukunft giebt. Und
so schlug August seinen Arm um die Spitze des Kummels seines Braunen und
plauderte mit Julia.

Es gereicht dem deutschen Herzen zum höchsten Lobe, daß es Blumen und
kleine Kinder liebt, und als Deutscher und Liebender begann August von den
Anemonen und Veilchen zu sprechen, die bereits in den Ecken des Zaunes blühten.
Mädchen, welche lieben, pflegen eben nichts besonders neues zu sagen. Und
Julia sagte nur, es käme ihr vor, als ob die Blumen im Sonnenschein glück¬
lich wären. Als Antwort auf diese Äußerung, die dein Liebenden wie eine kleine
Inspiration erschien, zitirte er aus Schiller die Verse:


Zarte Frühlingskinder, weinet,
Liebe hat sie euch vermeinet,
Euch das selige Gefühl,

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[0243] Der jüngste Tag. wohl sein Herz alle ihre Schritte von der Thürschwelle bis zu dem Baume ge¬ zählt hatte, ein überraschtes Gesicht. Nichts auf Erden konnte so erstaunlich sein, als sie hier zu sehen. Denn die Liebe ist unnötigerweise zur Verstellung geneigt, sie verrät immer den Trieb, sich zu verstecken, nicht unmittelbar hervor¬ zutreten. Der junge Mann und ganz vorzüglich das Mädchen, welches in Liebes- sachen offen mit der Sprache herauszugehen und die Wahrheit zu sagen Pflegt, ist ein Wunder an Wahrhaftigkeit. Aber es giebt Leute der Art, und man sollte sie hochachten — mit der Hochachtung, die wir Märtyrern zollen. Julia Anderson ihrerseits war dahergeschritten, als ob sie an dem jungen Pflüger vorbeigehen wollte. Als er sie nun anredete, fuhr sie zusammen, wurde rot und blieb stehen, wobei sie hastig zugreifend die Spitze eines Stengels Eisen¬ kraut vom letzten Jahre abriß und sie, während er sprach, zu zerbröckeln begann. Sie schlug dazu die meiste Zeit die Augen nieder, erhob sie aber dann und wann zu ihm. Und dem sonnengebräunten, aber wohlgebildeten Gesichte des jungen Deutschen kam jeder Aufblick des Antlitzes dieses frischen Mädchens im tiefen Schatten ihres weitvorstehenden Svnncnhutes wie eine Vision des Paradieses vor. Denn Mädchengesichter können in unsrer Generation niemals so hold aus¬ sehen, als sie den jungen Burschen erschienen, welche ihrer ansichtig wurden, als sie, diese allerliebsten Dinger, noch in der Dunkelheit eines Tunnels von Pappe und Kattun verborgen waren. ES war nicht das erstemal, daß sie von ihrer Liebe sprachen. Waren sie miteinander verlobt? Ja und nein. Durch die ganze Sprache, deren ihre Augen in der Schule fähig gewesen waren, und neuerdings auch durch Worte hatten sie sich gelobt, einander zu lieben und das einander zu sagen. Aber sie waren jung und durch Umstände getrennt, und sie hatten kaum schon begonnen, an das Heiraten zu denken. Es war für jetzt genug, zu lieben und geliebt zu werden. Das entzückendste Slavina eines Liebesverhältnisses ist das, wo die Gegenwart genügt und es keine Vergangenheit und keine Zukunft giebt. Und so schlug August seinen Arm um die Spitze des Kummels seines Braunen und plauderte mit Julia. Es gereicht dem deutschen Herzen zum höchsten Lobe, daß es Blumen und kleine Kinder liebt, und als Deutscher und Liebender begann August von den Anemonen und Veilchen zu sprechen, die bereits in den Ecken des Zaunes blühten. Mädchen, welche lieben, pflegen eben nichts besonders neues zu sagen. Und Julia sagte nur, es käme ihr vor, als ob die Blumen im Sonnenschein glück¬ lich wären. Als Antwort auf diese Äußerung, die dein Liebenden wie eine kleine Inspiration erschien, zitirte er aus Schiller die Verse: Zarte Frühlingskinder, weinet, Liebe hat sie euch vermeinet, Euch das selige Gefühl,

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 41, 1882, Drittes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341835_193340/243>, abgerufen am 03.07.2024.