Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 41, 1882, Drittes Quartal.

Bild:
<< vorherige Seite
vom Leipziger Theater.

UM sich verbreitete, kaum verzogen und die Luft war wieder rein geworden, als
auch schon die Lokalpresse (am 5. Juli, also ziemlich vier Wochen vor dem Re¬
gierungsantritt des neuen Direktors!) die ungemein wichtige Notiz brachte, daß
bei der Eröffnungsvorstellung, zu welcher Minna von Varnhelm in Aussicht
genommen sei, "ein von Wilhelm Herzen verfaßter Prolog zur Darstellung kommen
wird, der nach einem Überblick über die Theatergeschichte Leipzigs auch auf ein
Geschenk Bezug nehmen wird, welches von einem Leipziger Bürger dem Theater
gestiftet worden ist." Soll nicht lieber gleich der ganze Prolog vorher probe¬
weise im Lessingverein zum Vortrage gebracht oder in der Tagespresse abgedruckt
werden? Herrn Stägemann geht der Ruf einer durchaus vornehmen Natur
voraus, der alles Tamtamschlagen gründlich zuwider ist. Aber er kennt die
Leipziger Verhältnisse nicht. Die sumpfige Pleißenniedernng ist seit Gottscheds
Tagen ein Wucherboden für ein ganz undefiuirbnrcs Literatengeschlecht gewesen.
Sie werden sich auch an ihn anvettern, er mag sich in Acht nehmen.

Man wird es begreiflich finden, daß nnter solchen Umständen die Nach¬
richt, die Meininger kämen im Juli nach Leipzig, wie eine frohe Botschaft auf
uns wirkte. Wir haben vor vier Jahren, als die trefflichen Künstler Leipzig
ihren ersten Besuch machten, in diesen Blättern einen förmlichen Hymnus aus
sie angestimmt, der damals um des Gegensatzes willen, in welche"? er die Auffüh¬
rungen der Meininger zu den Leistungen der Fvrsterschen Bühne stellte, ein
gewisses Aufsehen machte und in Separatabdrücken verlangt und auch geboten
wurde.*) Da ist es uns nun diesmal seltsam mit den fremden Gästen ergangen.
Als wir sie wiedersahen, fragten wir uns unwillkürlich: Was ist das? Das
will ja nicht mehr die alte Wirkung thun! Haben sich die Meininger verändert?
Haben wir uns verändert? Schließlich suchten wir die alten Aufsätze wieder
hervor und sahen zu unsrer großen Beruhigung, daß wir die Alten geblieben,
daß nur der Schatten, den wir schon damals deutlich neben dem Lichte gesehen
und auf dessen mögliches Wnchstnm wir schon damals bei aller freudigen An¬
erkennung des Lichts mit nachdrücklicher Warnung aufmerksam gemacht hatten,
inzwischen sich in voller Breite neben das Licht gelagert hat.

Die Meininger haben in Leipzig vom 4. bis zum 24. Juli, also an ein¬
undzwanzig Abenden gespielt. In dieser Zeit haben sie je fünfmal Wallensteins
Lager und die Piccolomini, Wallensteins Tod und Preciosa, je zweimal Tell,
Julius Cäsar und Was ihr wollt gegeben. Neu waren für Leipzig nnr die
Wallenstein- und Preeivsavorstellungen, alles übrige war früher schon dagewesen.
Übrigens hüllten sich die Meininger diesmal, was gar nicht hübsch von ihnen
war und was sie auch früher nicht gethan, betreffs ihres Repertoires in tiefes
Schweigen. Geschäftsgeheimnis! -- belehrte uns der höfliche Billeteur auf
der Petersstraße, als wir ihn eines Tages über die weitern Vorstellungen be-



Grenzboten, 1878. Ur. 44 und 47.
Grenzlwten III. 1882.
vom Leipziger Theater.

UM sich verbreitete, kaum verzogen und die Luft war wieder rein geworden, als
auch schon die Lokalpresse (am 5. Juli, also ziemlich vier Wochen vor dem Re¬
gierungsantritt des neuen Direktors!) die ungemein wichtige Notiz brachte, daß
bei der Eröffnungsvorstellung, zu welcher Minna von Varnhelm in Aussicht
genommen sei, „ein von Wilhelm Herzen verfaßter Prolog zur Darstellung kommen
wird, der nach einem Überblick über die Theatergeschichte Leipzigs auch auf ein
Geschenk Bezug nehmen wird, welches von einem Leipziger Bürger dem Theater
gestiftet worden ist." Soll nicht lieber gleich der ganze Prolog vorher probe¬
weise im Lessingverein zum Vortrage gebracht oder in der Tagespresse abgedruckt
werden? Herrn Stägemann geht der Ruf einer durchaus vornehmen Natur
voraus, der alles Tamtamschlagen gründlich zuwider ist. Aber er kennt die
Leipziger Verhältnisse nicht. Die sumpfige Pleißenniedernng ist seit Gottscheds
Tagen ein Wucherboden für ein ganz undefiuirbnrcs Literatengeschlecht gewesen.
Sie werden sich auch an ihn anvettern, er mag sich in Acht nehmen.

Man wird es begreiflich finden, daß nnter solchen Umständen die Nach¬
richt, die Meininger kämen im Juli nach Leipzig, wie eine frohe Botschaft auf
uns wirkte. Wir haben vor vier Jahren, als die trefflichen Künstler Leipzig
ihren ersten Besuch machten, in diesen Blättern einen förmlichen Hymnus aus
sie angestimmt, der damals um des Gegensatzes willen, in welche»? er die Auffüh¬
rungen der Meininger zu den Leistungen der Fvrsterschen Bühne stellte, ein
gewisses Aufsehen machte und in Separatabdrücken verlangt und auch geboten
wurde.*) Da ist es uns nun diesmal seltsam mit den fremden Gästen ergangen.
Als wir sie wiedersahen, fragten wir uns unwillkürlich: Was ist das? Das
will ja nicht mehr die alte Wirkung thun! Haben sich die Meininger verändert?
Haben wir uns verändert? Schließlich suchten wir die alten Aufsätze wieder
hervor und sahen zu unsrer großen Beruhigung, daß wir die Alten geblieben,
daß nur der Schatten, den wir schon damals deutlich neben dem Lichte gesehen
und auf dessen mögliches Wnchstnm wir schon damals bei aller freudigen An¬
erkennung des Lichts mit nachdrücklicher Warnung aufmerksam gemacht hatten,
inzwischen sich in voller Breite neben das Licht gelagert hat.

Die Meininger haben in Leipzig vom 4. bis zum 24. Juli, also an ein¬
undzwanzig Abenden gespielt. In dieser Zeit haben sie je fünfmal Wallensteins
Lager und die Piccolomini, Wallensteins Tod und Preciosa, je zweimal Tell,
Julius Cäsar und Was ihr wollt gegeben. Neu waren für Leipzig nnr die
Wallenstein- und Preeivsavorstellungen, alles übrige war früher schon dagewesen.
Übrigens hüllten sich die Meininger diesmal, was gar nicht hübsch von ihnen
war und was sie auch früher nicht gethan, betreffs ihres Repertoires in tiefes
Schweigen. Geschäftsgeheimnis! — belehrte uns der höfliche Billeteur auf
der Petersstraße, als wir ihn eines Tages über die weitern Vorstellungen be-



Grenzboten, 1878. Ur. 44 und 47.
Grenzlwten III. 1882.
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0233" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/193574"/>
          <fw type="header" place="top"> vom Leipziger Theater.</fw><lb/>
          <p xml:id="ID_742" prev="#ID_741"> UM sich verbreitete, kaum verzogen und die Luft war wieder rein geworden, als<lb/>
auch schon die Lokalpresse (am 5. Juli, also ziemlich vier Wochen vor dem Re¬<lb/>
gierungsantritt des neuen Direktors!) die ungemein wichtige Notiz brachte, daß<lb/>
bei der Eröffnungsvorstellung, zu welcher Minna von Varnhelm in Aussicht<lb/>
genommen sei, &#x201E;ein von Wilhelm Herzen verfaßter Prolog zur Darstellung kommen<lb/>
wird, der nach einem Überblick über die Theatergeschichte Leipzigs auch auf ein<lb/>
Geschenk Bezug nehmen wird, welches von einem Leipziger Bürger dem Theater<lb/>
gestiftet worden ist." Soll nicht lieber gleich der ganze Prolog vorher probe¬<lb/>
weise im Lessingverein zum Vortrage gebracht oder in der Tagespresse abgedruckt<lb/>
werden? Herrn Stägemann geht der Ruf einer durchaus vornehmen Natur<lb/>
voraus, der alles Tamtamschlagen gründlich zuwider ist. Aber er kennt die<lb/>
Leipziger Verhältnisse nicht. Die sumpfige Pleißenniedernng ist seit Gottscheds<lb/>
Tagen ein Wucherboden für ein ganz undefiuirbnrcs Literatengeschlecht gewesen.<lb/>
Sie werden sich auch an ihn anvettern, er mag sich in Acht nehmen.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_743"> Man wird es begreiflich finden, daß nnter solchen Umständen die Nach¬<lb/>
richt, die Meininger kämen im Juli nach Leipzig, wie eine frohe Botschaft auf<lb/>
uns wirkte. Wir haben vor vier Jahren, als die trefflichen Künstler Leipzig<lb/>
ihren ersten Besuch machten, in diesen Blättern einen förmlichen Hymnus aus<lb/>
sie angestimmt, der damals um des Gegensatzes willen, in welche»? er die Auffüh¬<lb/>
rungen der Meininger zu den Leistungen der Fvrsterschen Bühne stellte, ein<lb/>
gewisses Aufsehen machte und in Separatabdrücken verlangt und auch geboten<lb/>
wurde.*) Da ist es uns nun diesmal seltsam mit den fremden Gästen ergangen.<lb/>
Als wir sie wiedersahen, fragten wir uns unwillkürlich: Was ist das? Das<lb/>
will ja nicht mehr die alte Wirkung thun! Haben sich die Meininger verändert?<lb/>
Haben wir uns verändert? Schließlich suchten wir die alten Aufsätze wieder<lb/>
hervor und sahen zu unsrer großen Beruhigung, daß wir die Alten geblieben,<lb/>
daß nur der Schatten, den wir schon damals deutlich neben dem Lichte gesehen<lb/>
und auf dessen mögliches Wnchstnm wir schon damals bei aller freudigen An¬<lb/>
erkennung des Lichts mit nachdrücklicher Warnung aufmerksam gemacht hatten,<lb/>
inzwischen sich in voller Breite neben das Licht gelagert hat.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_744" next="#ID_745"> Die Meininger haben in Leipzig vom 4. bis zum 24. Juli, also an ein¬<lb/>
undzwanzig Abenden gespielt. In dieser Zeit haben sie je fünfmal Wallensteins<lb/>
Lager und die Piccolomini, Wallensteins Tod und Preciosa, je zweimal Tell,<lb/>
Julius Cäsar und Was ihr wollt gegeben. Neu waren für Leipzig nnr die<lb/>
Wallenstein- und Preeivsavorstellungen, alles übrige war früher schon dagewesen.<lb/>
Übrigens hüllten sich die Meininger diesmal, was gar nicht hübsch von ihnen<lb/>
war und was sie auch früher nicht gethan, betreffs ihres Repertoires in tiefes<lb/>
Schweigen. Geschäftsgeheimnis! &#x2014; belehrte uns der höfliche Billeteur auf<lb/>
der Petersstraße, als wir ihn eines Tages über die weitern Vorstellungen be-</p><lb/>
          <note xml:id="FID_17" place="foot"> Grenzboten, 1878. Ur. 44 und 47.</note><lb/>
          <fw type="sig" place="bottom"> Grenzlwten III. 1882.</fw><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0233] vom Leipziger Theater. UM sich verbreitete, kaum verzogen und die Luft war wieder rein geworden, als auch schon die Lokalpresse (am 5. Juli, also ziemlich vier Wochen vor dem Re¬ gierungsantritt des neuen Direktors!) die ungemein wichtige Notiz brachte, daß bei der Eröffnungsvorstellung, zu welcher Minna von Varnhelm in Aussicht genommen sei, „ein von Wilhelm Herzen verfaßter Prolog zur Darstellung kommen wird, der nach einem Überblick über die Theatergeschichte Leipzigs auch auf ein Geschenk Bezug nehmen wird, welches von einem Leipziger Bürger dem Theater gestiftet worden ist." Soll nicht lieber gleich der ganze Prolog vorher probe¬ weise im Lessingverein zum Vortrage gebracht oder in der Tagespresse abgedruckt werden? Herrn Stägemann geht der Ruf einer durchaus vornehmen Natur voraus, der alles Tamtamschlagen gründlich zuwider ist. Aber er kennt die Leipziger Verhältnisse nicht. Die sumpfige Pleißenniedernng ist seit Gottscheds Tagen ein Wucherboden für ein ganz undefiuirbnrcs Literatengeschlecht gewesen. Sie werden sich auch an ihn anvettern, er mag sich in Acht nehmen. Man wird es begreiflich finden, daß nnter solchen Umständen die Nach¬ richt, die Meininger kämen im Juli nach Leipzig, wie eine frohe Botschaft auf uns wirkte. Wir haben vor vier Jahren, als die trefflichen Künstler Leipzig ihren ersten Besuch machten, in diesen Blättern einen förmlichen Hymnus aus sie angestimmt, der damals um des Gegensatzes willen, in welche»? er die Auffüh¬ rungen der Meininger zu den Leistungen der Fvrsterschen Bühne stellte, ein gewisses Aufsehen machte und in Separatabdrücken verlangt und auch geboten wurde.*) Da ist es uns nun diesmal seltsam mit den fremden Gästen ergangen. Als wir sie wiedersahen, fragten wir uns unwillkürlich: Was ist das? Das will ja nicht mehr die alte Wirkung thun! Haben sich die Meininger verändert? Haben wir uns verändert? Schließlich suchten wir die alten Aufsätze wieder hervor und sahen zu unsrer großen Beruhigung, daß wir die Alten geblieben, daß nur der Schatten, den wir schon damals deutlich neben dem Lichte gesehen und auf dessen mögliches Wnchstnm wir schon damals bei aller freudigen An¬ erkennung des Lichts mit nachdrücklicher Warnung aufmerksam gemacht hatten, inzwischen sich in voller Breite neben das Licht gelagert hat. Die Meininger haben in Leipzig vom 4. bis zum 24. Juli, also an ein¬ undzwanzig Abenden gespielt. In dieser Zeit haben sie je fünfmal Wallensteins Lager und die Piccolomini, Wallensteins Tod und Preciosa, je zweimal Tell, Julius Cäsar und Was ihr wollt gegeben. Neu waren für Leipzig nnr die Wallenstein- und Preeivsavorstellungen, alles übrige war früher schon dagewesen. Übrigens hüllten sich die Meininger diesmal, was gar nicht hübsch von ihnen war und was sie auch früher nicht gethan, betreffs ihres Repertoires in tiefes Schweigen. Geschäftsgeheimnis! — belehrte uns der höfliche Billeteur auf der Petersstraße, als wir ihn eines Tages über die weitern Vorstellungen be- Grenzboten, 1878. Ur. 44 und 47. Grenzlwten III. 1882.

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341835_193340
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341835_193340/233
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 41, 1882, Drittes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341835_193340/233>, abgerufen am 26.06.2024.