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Die Grenzboten. Jg. 41, 1882, Drittes Quartal.

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eigentümliche Tracht der Jungfrauen, "von schwarzem Stoffe und ehrbarer
Steifheit," die ihnen an einen: bestimmten Tage feierlich angezogen wird, er¬
innert das Gedicht "Die Einkleidung." Ein andres "Die Bräutigamswahl,"
geht auf eine sonderbare Sitte zurück, die freilich längst geschwunden ist. Die
Erbtochter auf Möuchsgut wählten ihren Bräutigam selbst, indem sie die Schürze
aus dem Fenster hingen und dem Burschen ihrer Wahl ein seidnes Tuch zum
Pfande gaben. Der Dichter führt nus in dem ergreifenden Gedichte "Bräutigams¬
wahl" die Klage eines Mädchens vor, dessen Geliebter weit übers Meer ge¬
fahren ist. Ihre Mutter dringt in sie, daß sie sich verheiraten solle, und hat
deshalb die Schürze vor die Thüre gehangen. Wohl gehen viele Burschen vor¬
über, nur der nicht, den sie liebt. Deshalb will sie die Schürze hinaus übers
Meer senden, ihm ihre Liebe zu künden:


Und ist er nicht über den Fluten zu sehen,
So mußt dn tiefer hinuntergehen;
Dann merkt er in seinein erwachenden Sinn,
Wie treu ich im Tod ihm gewesen bin.

Ähnlicher Inhalts ist das Gedicht "Die Braut." Die Mutter hat der Tochter
eine blane Schürze gegeben, das Zeichen der Braut. Diese aber will wohl in
die Kirche gehen, doch nach dem Plätzchen am Altare, wo -- auf eigne" kleinen
Schemeln -- die Witwen sitzen.

Einen patriotischen Anlauf nimmt das letzte Gedicht "Der Adler ans
Arkona." Arkona, die nördlichste Spitze des deutschen Vaterlandes, "der Adler¬
horst, dessen Spitze vom Schlag der Wellen hörst," ist dem Dichter ein Bild
des deutschen Landes, dessen Zerrissenheit die "Risse und Spalten, die den festen
Stein Splittern," versinnbildlichen. Doch wie ans diesem Felsenthrone als Hüter
deutschen Laudes der Adler, der "freie Wolkensohn," thront, so soll der deutsche
Adler, da das Reich in Stücke brach, "deutsches Volk und Land, deutsche Sitte
Und Zunge, deutsche Stirn und Hand hüten" und so das deutsche Volk mit
geistigem Baude einen und zusammenhalten.

Man sieht also: Während in den Liedern des "Frühlingskranzes aus dem
Plauenschen Grunde" jede Beziehung auf den Schauplatz der Dichtung fehlt,
gehen die "Muscheln von der Insel Rügen" gerade von den eigentümlichen
Bildern der Jusel aus, und der Dichter verwebt sie in seine Lieder und verwertet
sie teils zu Vergleichungen, teils als den Schauplatz bestimmter Situationen.
Daher haben sie auch, gleich der Insel, der sie entstammen, ein so eigenartiges
Gepräge. Nur eiuzelue der "Lieder aus Franzensbad bei Eger" enthalten ähnliche
Benutzung bestimmter landschaftlicher Bilder zu allgemeinen Vergleichungen, wie
besonders das Gedicht "Auf der Höhe von Schönberg."

In diesem eigenartigen Gepräge der "Muscheln von der Insel Rügen"
liegt es wohl auch begründet, daß sie heutzutage fast vergessen sind. Bei nicht
wenigen von ihnen erschließt sich der Inhalt dem Verständnisse für den, der


eigentümliche Tracht der Jungfrauen, „von schwarzem Stoffe und ehrbarer
Steifheit," die ihnen an einen: bestimmten Tage feierlich angezogen wird, er¬
innert das Gedicht „Die Einkleidung." Ein andres „Die Bräutigamswahl,"
geht auf eine sonderbare Sitte zurück, die freilich längst geschwunden ist. Die
Erbtochter auf Möuchsgut wählten ihren Bräutigam selbst, indem sie die Schürze
aus dem Fenster hingen und dem Burschen ihrer Wahl ein seidnes Tuch zum
Pfande gaben. Der Dichter führt nus in dem ergreifenden Gedichte „Bräutigams¬
wahl" die Klage eines Mädchens vor, dessen Geliebter weit übers Meer ge¬
fahren ist. Ihre Mutter dringt in sie, daß sie sich verheiraten solle, und hat
deshalb die Schürze vor die Thüre gehangen. Wohl gehen viele Burschen vor¬
über, nur der nicht, den sie liebt. Deshalb will sie die Schürze hinaus übers
Meer senden, ihm ihre Liebe zu künden:


Und ist er nicht über den Fluten zu sehen,
So mußt dn tiefer hinuntergehen;
Dann merkt er in seinein erwachenden Sinn,
Wie treu ich im Tod ihm gewesen bin.

Ähnlicher Inhalts ist das Gedicht „Die Braut." Die Mutter hat der Tochter
eine blane Schürze gegeben, das Zeichen der Braut. Diese aber will wohl in
die Kirche gehen, doch nach dem Plätzchen am Altare, wo — auf eigne» kleinen
Schemeln — die Witwen sitzen.

Einen patriotischen Anlauf nimmt das letzte Gedicht „Der Adler ans
Arkona." Arkona, die nördlichste Spitze des deutschen Vaterlandes, „der Adler¬
horst, dessen Spitze vom Schlag der Wellen hörst," ist dem Dichter ein Bild
des deutschen Landes, dessen Zerrissenheit die „Risse und Spalten, die den festen
Stein Splittern," versinnbildlichen. Doch wie ans diesem Felsenthrone als Hüter
deutschen Laudes der Adler, der „freie Wolkensohn," thront, so soll der deutsche
Adler, da das Reich in Stücke brach, „deutsches Volk und Land, deutsche Sitte
Und Zunge, deutsche Stirn und Hand hüten" und so das deutsche Volk mit
geistigem Baude einen und zusammenhalten.

Man sieht also: Während in den Liedern des „Frühlingskranzes aus dem
Plauenschen Grunde" jede Beziehung auf den Schauplatz der Dichtung fehlt,
gehen die „Muscheln von der Insel Rügen" gerade von den eigentümlichen
Bildern der Jusel aus, und der Dichter verwebt sie in seine Lieder und verwertet
sie teils zu Vergleichungen, teils als den Schauplatz bestimmter Situationen.
Daher haben sie auch, gleich der Insel, der sie entstammen, ein so eigenartiges
Gepräge. Nur eiuzelue der „Lieder aus Franzensbad bei Eger" enthalten ähnliche
Benutzung bestimmter landschaftlicher Bilder zu allgemeinen Vergleichungen, wie
besonders das Gedicht „Auf der Höhe von Schönberg."

In diesem eigenartigen Gepräge der „Muscheln von der Insel Rügen"
liegt es wohl auch begründet, daß sie heutzutage fast vergessen sind. Bei nicht
wenigen von ihnen erschließt sich der Inhalt dem Verständnisse für den, der


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[0219] eigentümliche Tracht der Jungfrauen, „von schwarzem Stoffe und ehrbarer Steifheit," die ihnen an einen: bestimmten Tage feierlich angezogen wird, er¬ innert das Gedicht „Die Einkleidung." Ein andres „Die Bräutigamswahl," geht auf eine sonderbare Sitte zurück, die freilich längst geschwunden ist. Die Erbtochter auf Möuchsgut wählten ihren Bräutigam selbst, indem sie die Schürze aus dem Fenster hingen und dem Burschen ihrer Wahl ein seidnes Tuch zum Pfande gaben. Der Dichter führt nus in dem ergreifenden Gedichte „Bräutigams¬ wahl" die Klage eines Mädchens vor, dessen Geliebter weit übers Meer ge¬ fahren ist. Ihre Mutter dringt in sie, daß sie sich verheiraten solle, und hat deshalb die Schürze vor die Thüre gehangen. Wohl gehen viele Burschen vor¬ über, nur der nicht, den sie liebt. Deshalb will sie die Schürze hinaus übers Meer senden, ihm ihre Liebe zu künden: Und ist er nicht über den Fluten zu sehen, So mußt dn tiefer hinuntergehen; Dann merkt er in seinein erwachenden Sinn, Wie treu ich im Tod ihm gewesen bin. Ähnlicher Inhalts ist das Gedicht „Die Braut." Die Mutter hat der Tochter eine blane Schürze gegeben, das Zeichen der Braut. Diese aber will wohl in die Kirche gehen, doch nach dem Plätzchen am Altare, wo — auf eigne» kleinen Schemeln — die Witwen sitzen. Einen patriotischen Anlauf nimmt das letzte Gedicht „Der Adler ans Arkona." Arkona, die nördlichste Spitze des deutschen Vaterlandes, „der Adler¬ horst, dessen Spitze vom Schlag der Wellen hörst," ist dem Dichter ein Bild des deutschen Landes, dessen Zerrissenheit die „Risse und Spalten, die den festen Stein Splittern," versinnbildlichen. Doch wie ans diesem Felsenthrone als Hüter deutschen Laudes der Adler, der „freie Wolkensohn," thront, so soll der deutsche Adler, da das Reich in Stücke brach, „deutsches Volk und Land, deutsche Sitte Und Zunge, deutsche Stirn und Hand hüten" und so das deutsche Volk mit geistigem Baude einen und zusammenhalten. Man sieht also: Während in den Liedern des „Frühlingskranzes aus dem Plauenschen Grunde" jede Beziehung auf den Schauplatz der Dichtung fehlt, gehen die „Muscheln von der Insel Rügen" gerade von den eigentümlichen Bildern der Jusel aus, und der Dichter verwebt sie in seine Lieder und verwertet sie teils zu Vergleichungen, teils als den Schauplatz bestimmter Situationen. Daher haben sie auch, gleich der Insel, der sie entstammen, ein so eigenartiges Gepräge. Nur eiuzelue der „Lieder aus Franzensbad bei Eger" enthalten ähnliche Benutzung bestimmter landschaftlicher Bilder zu allgemeinen Vergleichungen, wie besonders das Gedicht „Auf der Höhe von Schönberg." In diesem eigenartigen Gepräge der „Muscheln von der Insel Rügen" liegt es wohl auch begründet, daß sie heutzutage fast vergessen sind. Bei nicht wenigen von ihnen erschließt sich der Inhalt dem Verständnisse für den, der

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 41, 1882, Drittes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341835_193340/219>, abgerufen am 01.07.2024.