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Die Grenzboten. Jg. 41, 1882, Drittes Quartal.

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Dies wird nur denn verständlich, wenn nur die Gestalt der Insel Rügen ins
Auge saßt: die Binnenseen sind die zwischen den Halbinseln und Vorsprüngen
Rügens einströmenden Meeresarme, die oft sehr schmal und zum Durchwaten
seicht sind. Deshalb sieht der Geliebte sein Mädchen nur andern Ufer und
hofft mit den runden, weißen Steinen, die er vom Ufer aufhebt, es erreichen
zu können; doch vergebens, denn "keiner fliegt bis an den liebe" Strnnd," und
so bricht er in die schmerzliche Klage aus:


Ihr Steine, seid ihr denn so groß und schwer!
Ich dächte wohl, mein Herz, das wär' es mehr,
Und fliegt doch ungeschleudert hinterdrein,
In ihre Hand, in ihren Schovsz hinein.

Freilich dürfen wir uns nicht verhehlen, daß Vergleichungen dieser Art doch zu
wenig nahe liegen, als daß sie nicht einen etwas gesuchten Eindruck machen
müßten. Dies gilt auch vou der Vergleichung des von Kreide rings umgebenen
Feuersteins mit dein falschen Herzen der Geliebten, deren weiße Haut ebensowenig
das schwarze Herz im Jnnern verrät, wie der weiche und weiße Kreideball den
harten und schwarzen Feuerstein.

Aber auch die sagenhafte Stadt Vineta auf dem Grunde des Meeres wird
nicht um ihrer selbst willen, nicht wegen der geheimnisvollen Sagen, die sich
an sie knüpfen, poetisch verherrlicht, sondern auch sie wird nur als dichterisches
Bild verwertet. Wie der Schiffer, der einmal die Glocken aus dem Grunde
des Meeres hat heraufklinge" hören und den Wiederschein ihrer Zinnen auf
dem Wasserspiegel erschaut hat, immer wieder nach derselben Stelle führt, ob
auch rings die Klippe droht, so klingt aus dem Herzen des unglücklich liebenden
dumpfer Klang empor, und die Trümmer der schönen Welt, die da versunken
ist, spiegeln sich oft im Spiegel seiner Träume:


Und dann möcht' ich tauchen in die Tiefen,
Mich versenken in den Wiederschein,
Und mir ist, als oll mich Engel riefen
In die alte Wunderstadt herein.

In einem andern Gedichte verwendet W. Müller auch eine Erscheinung ans
der Tierwelt Rügens zu einem solchen Bilde. Man erzählt sich von der Möve,
daß sie den Seehund, der am weichen Strande schläft, bewache und ihn anfliege,
wenn die Jäger nahen, sodaß er ins Meer entfliehen kann. Nach einer Be¬
merkung hat der Dichter selbst diese Erscheinung von dem Vorgebirge Kiköver
(d. h. Kucküber) oder Grcmitzort am nordöstlichen Ende der Granitz aus beob¬
achtet. So vergleicht er denn nun die Möve mit der treuen Geliebte", die
den in die hohe See hinausfahrenden Geliebten begleiten möchte; wenn ihr
auch die Schwingen fehlen, so folgt ihm doch das Herz auf seiner gefährlichen
Fahrt.

Einige der "Muscheln von der Insel Rügen" beziehen sich speziell auf
die Halbinsel Mönchsgut und deren Sitten und Gebräuche. An die


Dies wird nur denn verständlich, wenn nur die Gestalt der Insel Rügen ins
Auge saßt: die Binnenseen sind die zwischen den Halbinseln und Vorsprüngen
Rügens einströmenden Meeresarme, die oft sehr schmal und zum Durchwaten
seicht sind. Deshalb sieht der Geliebte sein Mädchen nur andern Ufer und
hofft mit den runden, weißen Steinen, die er vom Ufer aufhebt, es erreichen
zu können; doch vergebens, denn „keiner fliegt bis an den liebe» Strnnd," und
so bricht er in die schmerzliche Klage aus:


Ihr Steine, seid ihr denn so groß und schwer!
Ich dächte wohl, mein Herz, das wär' es mehr,
Und fliegt doch ungeschleudert hinterdrein,
In ihre Hand, in ihren Schovsz hinein.

Freilich dürfen wir uns nicht verhehlen, daß Vergleichungen dieser Art doch zu
wenig nahe liegen, als daß sie nicht einen etwas gesuchten Eindruck machen
müßten. Dies gilt auch vou der Vergleichung des von Kreide rings umgebenen
Feuersteins mit dein falschen Herzen der Geliebten, deren weiße Haut ebensowenig
das schwarze Herz im Jnnern verrät, wie der weiche und weiße Kreideball den
harten und schwarzen Feuerstein.

Aber auch die sagenhafte Stadt Vineta auf dem Grunde des Meeres wird
nicht um ihrer selbst willen, nicht wegen der geheimnisvollen Sagen, die sich
an sie knüpfen, poetisch verherrlicht, sondern auch sie wird nur als dichterisches
Bild verwertet. Wie der Schiffer, der einmal die Glocken aus dem Grunde
des Meeres hat heraufklinge» hören und den Wiederschein ihrer Zinnen auf
dem Wasserspiegel erschaut hat, immer wieder nach derselben Stelle führt, ob
auch rings die Klippe droht, so klingt aus dem Herzen des unglücklich liebenden
dumpfer Klang empor, und die Trümmer der schönen Welt, die da versunken
ist, spiegeln sich oft im Spiegel seiner Träume:


Und dann möcht' ich tauchen in die Tiefen,
Mich versenken in den Wiederschein,
Und mir ist, als oll mich Engel riefen
In die alte Wunderstadt herein.

In einem andern Gedichte verwendet W. Müller auch eine Erscheinung ans
der Tierwelt Rügens zu einem solchen Bilde. Man erzählt sich von der Möve,
daß sie den Seehund, der am weichen Strande schläft, bewache und ihn anfliege,
wenn die Jäger nahen, sodaß er ins Meer entfliehen kann. Nach einer Be¬
merkung hat der Dichter selbst diese Erscheinung von dem Vorgebirge Kiköver
(d. h. Kucküber) oder Grcmitzort am nordöstlichen Ende der Granitz aus beob¬
achtet. So vergleicht er denn nun die Möve mit der treuen Geliebte», die
den in die hohe See hinausfahrenden Geliebten begleiten möchte; wenn ihr
auch die Schwingen fehlen, so folgt ihm doch das Herz auf seiner gefährlichen
Fahrt.

Einige der „Muscheln von der Insel Rügen" beziehen sich speziell auf
die Halbinsel Mönchsgut und deren Sitten und Gebräuche. An die


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 41, 1882, Drittes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341835_193340/218>, abgerufen am 03.07.2024.