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Die Grenzboten. Jg. 41, 1882, Drittes Quartal.

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Muscheln von der Insel Rügen.

verweilte. Wie Arndt in seinem ganzen Wesen den eigentümlichen Charakter
des kernigen, seine uralten Sitten treu bewahrenden Deutschtums seiner Heimat¬
insel repräsentirt, so hat er auch in seineu 1318 erschienenen "Märchen und
Jugenderinnerungen" das deutsche Volk mit Rügen und seinem reichen Sagen¬
schatze bekannt gemacht und so dazu beigetragen, daß die erst seit 1815 znrück-
erworbene Insel durch das Band wechselseitiger Sympathie rascher und enger
mit dem deutschen Vnrerlande verknüpft wurde, und die Erinnerung an die
schwedische Herrschaft bald völlig verschwand.

Von andern, weniger bekannten einheimischen Dichtern, die Rügen im Liede
verherrlichten, nennen wir nur eine", der für uus deshalb ein besondres Inter¬
esse hat, weil er einen der bedeutendsten deutschen Lyriker beherbergte und
dadurch die Veranlassung wurde, daß auch dieser daun zum Preise Rügens die
Saiten rührte. Wir meinen Adolf Friedrich Furchau. der mit Ausnahme
der Studienjahre, die er in Göttingen verbrachte, Zeit seines Lebens in Stralsund,
also wenn auch nicht ans Rügen selbst, so doch in unmittelbarer Nähe der Insel
wohnte. Am 22. Februar 1737 daselbst geboren, ward er 1314 zum Prediger an der
Se. Jakobikirche erwählt, in welcher Stellung er bis zu seinem am 20. Juni 1868
erfolgten Tode verblieb. Von seineu Dichtungen haben verschiedene epische und
lyrische die Schilderung der Natur und Geschichte Rügens zum Gegenstände:
so sein Epos "Arkona. Ein Heldengedicht in 20 Gesängen" und die Lieder
Sammlung "Die Insel Rügen. 12 Gedichte."

Bei Furchau verweilte im Sommer 1825 Wilhelm Müller, der liebens¬
würdige Dichter der "Müllerlieder" und lernte so Rügen und besonders die Halb¬
insel Mönchsgut eingehend kennen. Die Frucht dieses Besuches siud Müllers
"Muscheln von der Insel Rügen," eine Sammlung kleiner, anspruchsloser Ge¬
dichte, die wenig bekannt sind, obwohl sie an Form und Gehalt hinter seinen
übrigen Dichtungen nur wenig zurückstehen.

Wenn Wilhelm Müllers Poesie gerade darin ihren Reiz und ihren blei¬
benden Wert hat, daß er es verstanden, das Individuelle, vou dem er ausgeht,
zu verallgemeinern und so demselben eine höhere Bedeutung beizulegen, so werden
wir auch bei seinen "Muschel" vou der Insel Rügen" keine eigentlichen Schilde-
rungen erwarten dürfen, umso weniger, als es eben Lieder und keine beschreibenden
Gedichte sind. Bei einer Betrachtung der dreizehn Frühlingslieder, die er unter
dem Titel "Frühlingskranz ans dem Plauenschen Grunde bei Dresden" ver¬
öffentlicht hat. sehen wir. daß der Ort, wohin er diese Lieder verlegt, für den
Inhalt ganz unwesentlich ist. Die Angabe des bestimmten Ortes hat fiir den
Leser nur ein äußeres Interesse, insofern er daraus ersieht, an welchem Orte
in dein Dichter die Gedanken und Empfindungen wachgerufen wurden, denen
er in diesen Liedern, den "lieblichsten und zugleich schwnugreichsten Produkte"
seiner Muse," wie Gustav Schwab sie nennt, Ausdruck verleiht. Aber in den
Gedichten selbst erinnert kein Wörtchen an den Ort, wo sie entstanden sind, so


Muscheln von der Insel Rügen.

verweilte. Wie Arndt in seinem ganzen Wesen den eigentümlichen Charakter
des kernigen, seine uralten Sitten treu bewahrenden Deutschtums seiner Heimat¬
insel repräsentirt, so hat er auch in seineu 1318 erschienenen „Märchen und
Jugenderinnerungen" das deutsche Volk mit Rügen und seinem reichen Sagen¬
schatze bekannt gemacht und so dazu beigetragen, daß die erst seit 1815 znrück-
erworbene Insel durch das Band wechselseitiger Sympathie rascher und enger
mit dem deutschen Vnrerlande verknüpft wurde, und die Erinnerung an die
schwedische Herrschaft bald völlig verschwand.

Von andern, weniger bekannten einheimischen Dichtern, die Rügen im Liede
verherrlichten, nennen wir nur eine», der für uus deshalb ein besondres Inter¬
esse hat, weil er einen der bedeutendsten deutschen Lyriker beherbergte und
dadurch die Veranlassung wurde, daß auch dieser daun zum Preise Rügens die
Saiten rührte. Wir meinen Adolf Friedrich Furchau. der mit Ausnahme
der Studienjahre, die er in Göttingen verbrachte, Zeit seines Lebens in Stralsund,
also wenn auch nicht ans Rügen selbst, so doch in unmittelbarer Nähe der Insel
wohnte. Am 22. Februar 1737 daselbst geboren, ward er 1314 zum Prediger an der
Se. Jakobikirche erwählt, in welcher Stellung er bis zu seinem am 20. Juni 1868
erfolgten Tode verblieb. Von seineu Dichtungen haben verschiedene epische und
lyrische die Schilderung der Natur und Geschichte Rügens zum Gegenstände:
so sein Epos „Arkona. Ein Heldengedicht in 20 Gesängen" und die Lieder
Sammlung „Die Insel Rügen. 12 Gedichte."

Bei Furchau verweilte im Sommer 1825 Wilhelm Müller, der liebens¬
würdige Dichter der „Müllerlieder" und lernte so Rügen und besonders die Halb¬
insel Mönchsgut eingehend kennen. Die Frucht dieses Besuches siud Müllers
„Muscheln von der Insel Rügen," eine Sammlung kleiner, anspruchsloser Ge¬
dichte, die wenig bekannt sind, obwohl sie an Form und Gehalt hinter seinen
übrigen Dichtungen nur wenig zurückstehen.

Wenn Wilhelm Müllers Poesie gerade darin ihren Reiz und ihren blei¬
benden Wert hat, daß er es verstanden, das Individuelle, vou dem er ausgeht,
zu verallgemeinern und so demselben eine höhere Bedeutung beizulegen, so werden
wir auch bei seinen „Muschel« vou der Insel Rügen" keine eigentlichen Schilde-
rungen erwarten dürfen, umso weniger, als es eben Lieder und keine beschreibenden
Gedichte sind. Bei einer Betrachtung der dreizehn Frühlingslieder, die er unter
dem Titel „Frühlingskranz ans dem Plauenschen Grunde bei Dresden" ver¬
öffentlicht hat. sehen wir. daß der Ort, wohin er diese Lieder verlegt, für den
Inhalt ganz unwesentlich ist. Die Angabe des bestimmten Ortes hat fiir den
Leser nur ein äußeres Interesse, insofern er daraus ersieht, an welchem Orte
in dein Dichter die Gedanken und Empfindungen wachgerufen wurden, denen
er in diesen Liedern, den „lieblichsten und zugleich schwnugreichsten Produkte»
seiner Muse," wie Gustav Schwab sie nennt, Ausdruck verleiht. Aber in den
Gedichten selbst erinnert kein Wörtchen an den Ort, wo sie entstanden sind, so


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[0214] Muscheln von der Insel Rügen. verweilte. Wie Arndt in seinem ganzen Wesen den eigentümlichen Charakter des kernigen, seine uralten Sitten treu bewahrenden Deutschtums seiner Heimat¬ insel repräsentirt, so hat er auch in seineu 1318 erschienenen „Märchen und Jugenderinnerungen" das deutsche Volk mit Rügen und seinem reichen Sagen¬ schatze bekannt gemacht und so dazu beigetragen, daß die erst seit 1815 znrück- erworbene Insel durch das Band wechselseitiger Sympathie rascher und enger mit dem deutschen Vnrerlande verknüpft wurde, und die Erinnerung an die schwedische Herrschaft bald völlig verschwand. Von andern, weniger bekannten einheimischen Dichtern, die Rügen im Liede verherrlichten, nennen wir nur eine», der für uus deshalb ein besondres Inter¬ esse hat, weil er einen der bedeutendsten deutschen Lyriker beherbergte und dadurch die Veranlassung wurde, daß auch dieser daun zum Preise Rügens die Saiten rührte. Wir meinen Adolf Friedrich Furchau. der mit Ausnahme der Studienjahre, die er in Göttingen verbrachte, Zeit seines Lebens in Stralsund, also wenn auch nicht ans Rügen selbst, so doch in unmittelbarer Nähe der Insel wohnte. Am 22. Februar 1737 daselbst geboren, ward er 1314 zum Prediger an der Se. Jakobikirche erwählt, in welcher Stellung er bis zu seinem am 20. Juni 1868 erfolgten Tode verblieb. Von seineu Dichtungen haben verschiedene epische und lyrische die Schilderung der Natur und Geschichte Rügens zum Gegenstände: so sein Epos „Arkona. Ein Heldengedicht in 20 Gesängen" und die Lieder Sammlung „Die Insel Rügen. 12 Gedichte." Bei Furchau verweilte im Sommer 1825 Wilhelm Müller, der liebens¬ würdige Dichter der „Müllerlieder" und lernte so Rügen und besonders die Halb¬ insel Mönchsgut eingehend kennen. Die Frucht dieses Besuches siud Müllers „Muscheln von der Insel Rügen," eine Sammlung kleiner, anspruchsloser Ge¬ dichte, die wenig bekannt sind, obwohl sie an Form und Gehalt hinter seinen übrigen Dichtungen nur wenig zurückstehen. Wenn Wilhelm Müllers Poesie gerade darin ihren Reiz und ihren blei¬ benden Wert hat, daß er es verstanden, das Individuelle, vou dem er ausgeht, zu verallgemeinern und so demselben eine höhere Bedeutung beizulegen, so werden wir auch bei seinen „Muschel« vou der Insel Rügen" keine eigentlichen Schilde- rungen erwarten dürfen, umso weniger, als es eben Lieder und keine beschreibenden Gedichte sind. Bei einer Betrachtung der dreizehn Frühlingslieder, die er unter dem Titel „Frühlingskranz ans dem Plauenschen Grunde bei Dresden" ver¬ öffentlicht hat. sehen wir. daß der Ort, wohin er diese Lieder verlegt, für den Inhalt ganz unwesentlich ist. Die Angabe des bestimmten Ortes hat fiir den Leser nur ein äußeres Interesse, insofern er daraus ersieht, an welchem Orte in dein Dichter die Gedanken und Empfindungen wachgerufen wurden, denen er in diesen Liedern, den „lieblichsten und zugleich schwnugreichsten Produkte» seiner Muse," wie Gustav Schwab sie nennt, Ausdruck verleiht. Aber in den Gedichten selbst erinnert kein Wörtchen an den Ort, wo sie entstanden sind, so

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 41, 1882, Drittes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341835_193340/214>, abgerufen am 22.07.2024.