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Die Grenzboten. Jg. 41, 1882, Drittes Quartal.

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Muscheln von der Insel Rügen.

Bändern die vorgeschobenen Erhöhungen mit der Hauptkette verbinden, bieten
meist ein vortreffliches Ackerland oder fette Weiden dar; es finden sich aber auch
ganz öde Strecken, wo der Sand nur mühsam mit Strandgras bepflanzt ist,
damit diese natürlichen Verbindungsbrücken, die alljährlich durch die Winterstürme
aufs äußerste gefährdet sind, dem Wvgenanprall einen stärkern Widerstand ent¬
gegenzusetzen vermögen. Überall aber, wo die schmalen Höhenriegel und die
ebenso schmalen Verbindungsbänder fehlen, ist das Meer eingedrungen, sodaß die
einzelnen Einbuchtungen des Meeres meist nur einige hundert Schritte von
einander entfernt sind.

Dies alles in seiner Vereinigung bewirkt jenen ganz eigenartigen Anblick,
den die Halbinsel Mönchsgut zum Entzücken der Maler, die sie zu ihrem Lieblings-
aufenthalte gewählt haben, bietet Steht man auf einem der Berge, so sällt das
Auge zunächst auf die teils dichtbewaldeten, teils wohlangebauten Höhenzüge,
deren schmale Ketten von beiden Seiten durch das tiefe Blau des Meeres um¬
säumt sind, und zwischen den Höhen dehnen sich saftig grüne Weidestrecken und
graue Sandflächen aus, die wie Teppiche dazwischen gelegt sind, um des Menschen
Fuß von einer Höhe zur andern zu leiten; ringsherum aber schmiegt sich das
Meer in den buntesten Verschlingungen, während nach Osten der Blick ohne
Schranken über die weite Fläche dahinschweift. So bietet die Halbinsel Mönchs¬
gut auf kleinem Raume ein Bild der ganzen Insel, nur noch viel einheitlicher
und geschlossener, viel bunter und mannichfaltiger als sonst.

Kein Wunder, daß die mannichfachen Schönheiten Rügens auch Dichtern, die,
sei es durch dauernden oder nur durch vorübergehenden Aufenthalt, das schöne
Eiland kennen gelernt, reichen Stoff zu Schilderungen boten.

Unter den Dichtungen Ludwig Theodul Kosegartens, der seit 1792 eine
Reihe glücklicher Jahre als Pfarrer zu Alteukircheu auf Rügen verlebte, zeichnen
sich gerade diejenigen Gedichte durch den Ton wahrer und warmer Empfindung
aus, die sich auf Rügen beziehen. In seinem Gedichte "Arkona," einer Art
Theodicee, schildert er, wie ein durch den Anblick eines Gewittersturmes und
der durch ihn auf dem Meere und auf dem Lande angerichteten Verwüstungen
in Zweifelsucht verfallenes Gemüt durch den Zauber der dem Ungewitter folgen¬
den vollgestirnten Nacht und durch die Herrlichkeit der emporsteigenden Morgen¬
röte dem Glauben an Gott wiedergegeben wird. In der That wird es Wohl
kaum eiuen zweiten Ort in Deutschland geben, von dem man in gleicher Weise
eine solche Aufeinanderfolge der gewaltigsten Naturbilder in der kurzen Spanne
weniger Stunden durchleben könnte, wie diese nach der einen Seite von frucht¬
baren Saatgefilden umrahmte, nach der andern Seite weit ins Meer hinausragende
Felsenspitze.

Mit Kosegarten eng verbunden und doch nach seinem Charakter als Dichter und
Mensch durchaus von ihm verschieden war Ernst Moritz Arndt, der, in Rügen
geboren und erzogen, anderthalb Jahre als Hauslehrer in der Pfarre Kosegartens


Muscheln von der Insel Rügen.

Bändern die vorgeschobenen Erhöhungen mit der Hauptkette verbinden, bieten
meist ein vortreffliches Ackerland oder fette Weiden dar; es finden sich aber auch
ganz öde Strecken, wo der Sand nur mühsam mit Strandgras bepflanzt ist,
damit diese natürlichen Verbindungsbrücken, die alljährlich durch die Winterstürme
aufs äußerste gefährdet sind, dem Wvgenanprall einen stärkern Widerstand ent¬
gegenzusetzen vermögen. Überall aber, wo die schmalen Höhenriegel und die
ebenso schmalen Verbindungsbänder fehlen, ist das Meer eingedrungen, sodaß die
einzelnen Einbuchtungen des Meeres meist nur einige hundert Schritte von
einander entfernt sind.

Dies alles in seiner Vereinigung bewirkt jenen ganz eigenartigen Anblick,
den die Halbinsel Mönchsgut zum Entzücken der Maler, die sie zu ihrem Lieblings-
aufenthalte gewählt haben, bietet Steht man auf einem der Berge, so sällt das
Auge zunächst auf die teils dichtbewaldeten, teils wohlangebauten Höhenzüge,
deren schmale Ketten von beiden Seiten durch das tiefe Blau des Meeres um¬
säumt sind, und zwischen den Höhen dehnen sich saftig grüne Weidestrecken und
graue Sandflächen aus, die wie Teppiche dazwischen gelegt sind, um des Menschen
Fuß von einer Höhe zur andern zu leiten; ringsherum aber schmiegt sich das
Meer in den buntesten Verschlingungen, während nach Osten der Blick ohne
Schranken über die weite Fläche dahinschweift. So bietet die Halbinsel Mönchs¬
gut auf kleinem Raume ein Bild der ganzen Insel, nur noch viel einheitlicher
und geschlossener, viel bunter und mannichfaltiger als sonst.

Kein Wunder, daß die mannichfachen Schönheiten Rügens auch Dichtern, die,
sei es durch dauernden oder nur durch vorübergehenden Aufenthalt, das schöne
Eiland kennen gelernt, reichen Stoff zu Schilderungen boten.

Unter den Dichtungen Ludwig Theodul Kosegartens, der seit 1792 eine
Reihe glücklicher Jahre als Pfarrer zu Alteukircheu auf Rügen verlebte, zeichnen
sich gerade diejenigen Gedichte durch den Ton wahrer und warmer Empfindung
aus, die sich auf Rügen beziehen. In seinem Gedichte „Arkona," einer Art
Theodicee, schildert er, wie ein durch den Anblick eines Gewittersturmes und
der durch ihn auf dem Meere und auf dem Lande angerichteten Verwüstungen
in Zweifelsucht verfallenes Gemüt durch den Zauber der dem Ungewitter folgen¬
den vollgestirnten Nacht und durch die Herrlichkeit der emporsteigenden Morgen¬
röte dem Glauben an Gott wiedergegeben wird. In der That wird es Wohl
kaum eiuen zweiten Ort in Deutschland geben, von dem man in gleicher Weise
eine solche Aufeinanderfolge der gewaltigsten Naturbilder in der kurzen Spanne
weniger Stunden durchleben könnte, wie diese nach der einen Seite von frucht¬
baren Saatgefilden umrahmte, nach der andern Seite weit ins Meer hinausragende
Felsenspitze.

Mit Kosegarten eng verbunden und doch nach seinem Charakter als Dichter und
Mensch durchaus von ihm verschieden war Ernst Moritz Arndt, der, in Rügen
geboren und erzogen, anderthalb Jahre als Hauslehrer in der Pfarre Kosegartens


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[0213] Muscheln von der Insel Rügen. Bändern die vorgeschobenen Erhöhungen mit der Hauptkette verbinden, bieten meist ein vortreffliches Ackerland oder fette Weiden dar; es finden sich aber auch ganz öde Strecken, wo der Sand nur mühsam mit Strandgras bepflanzt ist, damit diese natürlichen Verbindungsbrücken, die alljährlich durch die Winterstürme aufs äußerste gefährdet sind, dem Wvgenanprall einen stärkern Widerstand ent¬ gegenzusetzen vermögen. Überall aber, wo die schmalen Höhenriegel und die ebenso schmalen Verbindungsbänder fehlen, ist das Meer eingedrungen, sodaß die einzelnen Einbuchtungen des Meeres meist nur einige hundert Schritte von einander entfernt sind. Dies alles in seiner Vereinigung bewirkt jenen ganz eigenartigen Anblick, den die Halbinsel Mönchsgut zum Entzücken der Maler, die sie zu ihrem Lieblings- aufenthalte gewählt haben, bietet Steht man auf einem der Berge, so sällt das Auge zunächst auf die teils dichtbewaldeten, teils wohlangebauten Höhenzüge, deren schmale Ketten von beiden Seiten durch das tiefe Blau des Meeres um¬ säumt sind, und zwischen den Höhen dehnen sich saftig grüne Weidestrecken und graue Sandflächen aus, die wie Teppiche dazwischen gelegt sind, um des Menschen Fuß von einer Höhe zur andern zu leiten; ringsherum aber schmiegt sich das Meer in den buntesten Verschlingungen, während nach Osten der Blick ohne Schranken über die weite Fläche dahinschweift. So bietet die Halbinsel Mönchs¬ gut auf kleinem Raume ein Bild der ganzen Insel, nur noch viel einheitlicher und geschlossener, viel bunter und mannichfaltiger als sonst. Kein Wunder, daß die mannichfachen Schönheiten Rügens auch Dichtern, die, sei es durch dauernden oder nur durch vorübergehenden Aufenthalt, das schöne Eiland kennen gelernt, reichen Stoff zu Schilderungen boten. Unter den Dichtungen Ludwig Theodul Kosegartens, der seit 1792 eine Reihe glücklicher Jahre als Pfarrer zu Alteukircheu auf Rügen verlebte, zeichnen sich gerade diejenigen Gedichte durch den Ton wahrer und warmer Empfindung aus, die sich auf Rügen beziehen. In seinem Gedichte „Arkona," einer Art Theodicee, schildert er, wie ein durch den Anblick eines Gewittersturmes und der durch ihn auf dem Meere und auf dem Lande angerichteten Verwüstungen in Zweifelsucht verfallenes Gemüt durch den Zauber der dem Ungewitter folgen¬ den vollgestirnten Nacht und durch die Herrlichkeit der emporsteigenden Morgen¬ röte dem Glauben an Gott wiedergegeben wird. In der That wird es Wohl kaum eiuen zweiten Ort in Deutschland geben, von dem man in gleicher Weise eine solche Aufeinanderfolge der gewaltigsten Naturbilder in der kurzen Spanne weniger Stunden durchleben könnte, wie diese nach der einen Seite von frucht¬ baren Saatgefilden umrahmte, nach der andern Seite weit ins Meer hinausragende Felsenspitze. Mit Kosegarten eng verbunden und doch nach seinem Charakter als Dichter und Mensch durchaus von ihm verschieden war Ernst Moritz Arndt, der, in Rügen geboren und erzogen, anderthalb Jahre als Hauslehrer in der Pfarre Kosegartens

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 41, 1882, Drittes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341835_193340/213>, abgerufen am 22.07.2024.