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Die Grenzboten. Jg. 41, 1882, Drittes Quartal.

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doch mit Beflissenheit in den Bahnen derselben wandelten, während Frankreich,
noch zu schwach, um die russische Freundschaft entbehren zu können, sich sogar
unter dem Jubel seiner Royalisten und Ultras von dem Kongreß zu Verona
die Rolle eines Exekutors der Heiligen Allianz gegen die spanische Revolution
zuleiten ließ. Aber die Existenz eines Parlamentes in London und in Paris
genügte allein, um diese Opposition zum Durchbruch zu bringen. Hatte doch
selbst der Hochtory Castlereagh nicht umhin gekonnt, jenes Prinzip der Inter¬
vention und der gegenseitigen Garantie unverzüglich und ausdrücklich zu ver¬
werfen, und kaum hatte er mit eigner Hand einem Leben ein Ende gemacht,
für das es aus selbstgeschaffener Verstrickung keinen Ausweg mehr gab, als
Georg Canning dnrch die Anerkennung der Unabhängigkeit Südamerikas und
die Verdrängung Dom Miguels aus Portugal der Heiligem Allianz ein gebie¬
terisches Bis hierher und nicht weiter! zurief. Seine berühmte Rede im Unter¬
hause vom 12. Dezember 1823, die stolzen Worte derselben "Wir sind im Begriff,
die Fahne Englands anf den wohlbekannten Hohen von Lissabon aufzupflanzen;
wo immer diese Fahne weht, dahin soll keine Fremdherrschaft kommen," sie
wurden der Wendepunkt einer neuen Zeit.

Denn in dein nämlichen Augenblicke, wo Canning, dieser "fatale Mensch,"
dieser "entlarvte Jakobiner auf der Ministerbank," wie man ihn in Wien titu-
lirte, so plötzlich das tiefgesunkene Ansehen seines Vaterlandes wiederaufrichtete,
kam aus der Südostecke Europas der Stoß, welcher das Gebäude der Heiligen
Allianz selbst zertrümmerte und den Bund, der sich eben erst die Vollmacht über
die Geschicke des Erdteils beigelegt hatte, sprengte. Der Freiheitskampf der
Griechen brachte den schon solange latenten Gegensatz zwischen Österreich und
Rußland zum offenen Ausbruch. Für Osterreich war die unversehrte Erhaltung
der unschädlichen Türkei, die Abwehr ihrer weitern Schwächung durch den nor¬
dischen Nachbar ein ebenso dominirendes Interesse, wie Rußland durch die kirch¬
liche Gemeinschaft mit den kämpfenden Glanbensbrüdern, durch seine ganze Ge
schichte, wenn auch nicht zum Freunde der Griechen, so doch zum Feinde ihrer
Unterdrücker gemacht wurde. Vor der Wucht dieser Thatsache" hielt der zu
Troppau und Lnibach zustande gebrachte Sinneswechsel des Zaren nicht wider.
"Hier gilt es Aufrechthaltung oder Untergang unsers politischen Systems!" ruft
Gentz. Da aber Metternich auch hier kein Schwert in die Wagschale zu werfen
hatte, so konnte der Ausgcuig nicht zweifelhaft sein. Obgleich die Sache der
Griechen nächst dem Halbmond keinen erbitterteren Gegner gehabt hat als den
österreichischen Staatskanzler, so hat doch die Ironie des Schicksals gewollt,
daß gerade er es sein mußte, der, um mir schlimmeres zu verhüten, zuerst die
Einmischung der Großmächte anregte, der, um die versteckten Untiefen der ruf
fischen Politik zu ergründe", zuerst das Wort "Unabhängigkeit der Griechen"
aussprach. Von einer Position zur andern zurückgedrängt, konnte er nicht ver¬
hindern, daß Rußland durch das Petersburger Protokoll vom 4. April 1826


doch mit Beflissenheit in den Bahnen derselben wandelten, während Frankreich,
noch zu schwach, um die russische Freundschaft entbehren zu können, sich sogar
unter dem Jubel seiner Royalisten und Ultras von dem Kongreß zu Verona
die Rolle eines Exekutors der Heiligen Allianz gegen die spanische Revolution
zuleiten ließ. Aber die Existenz eines Parlamentes in London und in Paris
genügte allein, um diese Opposition zum Durchbruch zu bringen. Hatte doch
selbst der Hochtory Castlereagh nicht umhin gekonnt, jenes Prinzip der Inter¬
vention und der gegenseitigen Garantie unverzüglich und ausdrücklich zu ver¬
werfen, und kaum hatte er mit eigner Hand einem Leben ein Ende gemacht,
für das es aus selbstgeschaffener Verstrickung keinen Ausweg mehr gab, als
Georg Canning dnrch die Anerkennung der Unabhängigkeit Südamerikas und
die Verdrängung Dom Miguels aus Portugal der Heiligem Allianz ein gebie¬
terisches Bis hierher und nicht weiter! zurief. Seine berühmte Rede im Unter¬
hause vom 12. Dezember 1823, die stolzen Worte derselben „Wir sind im Begriff,
die Fahne Englands anf den wohlbekannten Hohen von Lissabon aufzupflanzen;
wo immer diese Fahne weht, dahin soll keine Fremdherrschaft kommen," sie
wurden der Wendepunkt einer neuen Zeit.

Denn in dein nämlichen Augenblicke, wo Canning, dieser „fatale Mensch,"
dieser „entlarvte Jakobiner auf der Ministerbank," wie man ihn in Wien titu-
lirte, so plötzlich das tiefgesunkene Ansehen seines Vaterlandes wiederaufrichtete,
kam aus der Südostecke Europas der Stoß, welcher das Gebäude der Heiligen
Allianz selbst zertrümmerte und den Bund, der sich eben erst die Vollmacht über
die Geschicke des Erdteils beigelegt hatte, sprengte. Der Freiheitskampf der
Griechen brachte den schon solange latenten Gegensatz zwischen Österreich und
Rußland zum offenen Ausbruch. Für Osterreich war die unversehrte Erhaltung
der unschädlichen Türkei, die Abwehr ihrer weitern Schwächung durch den nor¬
dischen Nachbar ein ebenso dominirendes Interesse, wie Rußland durch die kirch¬
liche Gemeinschaft mit den kämpfenden Glanbensbrüdern, durch seine ganze Ge
schichte, wenn auch nicht zum Freunde der Griechen, so doch zum Feinde ihrer
Unterdrücker gemacht wurde. Vor der Wucht dieser Thatsache» hielt der zu
Troppau und Lnibach zustande gebrachte Sinneswechsel des Zaren nicht wider.
„Hier gilt es Aufrechthaltung oder Untergang unsers politischen Systems!" ruft
Gentz. Da aber Metternich auch hier kein Schwert in die Wagschale zu werfen
hatte, so konnte der Ausgcuig nicht zweifelhaft sein. Obgleich die Sache der
Griechen nächst dem Halbmond keinen erbitterteren Gegner gehabt hat als den
österreichischen Staatskanzler, so hat doch die Ironie des Schicksals gewollt,
daß gerade er es sein mußte, der, um mir schlimmeres zu verhüten, zuerst die
Einmischung der Großmächte anregte, der, um die versteckten Untiefen der ruf
fischen Politik zu ergründe», zuerst das Wort „Unabhängigkeit der Griechen"
aussprach. Von einer Position zur andern zurückgedrängt, konnte er nicht ver¬
hindern, daß Rußland durch das Petersburger Protokoll vom 4. April 1826


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 41, 1882, Drittes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341835_193340/210>, abgerufen am 29.06.2024.