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Die Grenzboten. Jg. 41, 1882, Drittes Quartal.

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Die Heilige Allianz.

der in Person nach Warschau geeilt war, um deu Beistand des kaiserlichen
Schwagers gegen die österreichische Vergewaltigung anzurufen, beruhigten Herzens
beim, und die Sprache der rassischen Diplomaten um den kleinen deutschen Höfen
ließ nicht den geringsten Zweifel darüber, daß ihr Gebieter weit davon entfernt
war, der Unterjochung des Deutschen Bundes durch Osterreich Vorschub zu leisten.
Unzweifelhaft würde sich dieser Antagonismus noch viel schärfer entwickelt haben,
wenn nicht dem Staatsmanne in Wien seine allzeit getrennten Verbündeten,
die Thorheiten der Demokratie, durch den Ausbruch der Militärrevolntionen
im romanischen Süden in die Hände gearbeitet hätten. Sie unterstützten auf
der Zusammenkunft zu Troppau seiue Künste der Überredung und der Schmeichelei,
mit denen er dem russischen Kaiser die Erhabenheit seines Berufes, Europa vor
dem Jllkobinismus zu retten, so wirksam ausmalte, daß dieser sich sür die Ansicht
begeistern ließ, um das große europäische System dauernd zu begründen, müßten
vorerst Nußland, Österreich und Preußen, ungehindert durch die fremdartigen
Interessen Englands und Frankreichs, sich unter einander verständigen. Das
Resultat dieser Bekehrung waren die Grundsätze, welche die drei Ostmachte in
dem am 19. November gemeinschaftlich unterzeichneten Protokoll niederlegten:
"Sobald ein der europäischen Allianz angehöriger Staat durch Revolution eine
Änderung seines innern Zustandes erleidet, hört er dadurch aus, Mitglied dieser
Allianz zu sein und bleibt von derselben solange ausgeschlossen, bis sein Zustand
Garantien der legitimen Ordnung und der Dauerhaftigkeit bietet. Die verbün¬
deten Mächte verpflichten sich, illegaler Reformen ihre Anerkennung zu versage";
um Staate", in denen dergleichen vorgekommen, in den Schooß der Allianz
zurückzuführen, behalten sie sich gegen dieselben zunächst freundliche Schritte,
nötigenfalls aber Zwangsmaßregeln vor. Dieses Verfahren soll gegen das König¬
reich beider Sieilien angewendet werden."

Nicht die an sich ziemlich harmlose Erklärung vom 26. September 1815,
sondern dieses Troppauer Protokoll und die Ausführung desselben ist es, was
die Heilige Allianz bei Mit- und Nachwelt so sehr in Verruf gebracht, ihr
eigentlich erst ihren spezifischen Charakter aufgedrückt hat. Jeue Erklärung ist
daran nur indirekt beteiligt insofern, als die Monarchen, indem sie die Ver¬
antwortlichkeit ihres Herrscheramtes gegen Gott so nachdrücklich hervorgehoben,
umso eher geneigt waren, sich derjenigen gegen ihre Unterthanen zu entschlagen.
Dieses dagegen schuf ein ganz neues, öffentliches Recht, eine Art internationaler
Polizei, welche die Unabhängigkeit der Einzelstaaten aufhob nud ihre innere
Entwicklung unmöglich machte. Gleichzeitig aber mußte die Prvklnmiruug dieser
Grundsätze über kurz oder lang zu einem prinzipiellen Gegensatze zwischen den
drei absolutistischen Mächten des Ostens und den beiden konstitutionellen des
Westens führen, und wenn derselbe nicht sofort und in voller Stärke hervor¬
trat, so lag dies, was England betrifft, an der noch fortdauernden Herrschaft
der Tories, die, obgleich England der Heiligen Allianz nicht beigetreten war,


Grenzlwlru III. 1382. 26
Die Heilige Allianz.

der in Person nach Warschau geeilt war, um deu Beistand des kaiserlichen
Schwagers gegen die österreichische Vergewaltigung anzurufen, beruhigten Herzens
beim, und die Sprache der rassischen Diplomaten um den kleinen deutschen Höfen
ließ nicht den geringsten Zweifel darüber, daß ihr Gebieter weit davon entfernt
war, der Unterjochung des Deutschen Bundes durch Osterreich Vorschub zu leisten.
Unzweifelhaft würde sich dieser Antagonismus noch viel schärfer entwickelt haben,
wenn nicht dem Staatsmanne in Wien seine allzeit getrennten Verbündeten,
die Thorheiten der Demokratie, durch den Ausbruch der Militärrevolntionen
im romanischen Süden in die Hände gearbeitet hätten. Sie unterstützten auf
der Zusammenkunft zu Troppau seiue Künste der Überredung und der Schmeichelei,
mit denen er dem russischen Kaiser die Erhabenheit seines Berufes, Europa vor
dem Jllkobinismus zu retten, so wirksam ausmalte, daß dieser sich sür die Ansicht
begeistern ließ, um das große europäische System dauernd zu begründen, müßten
vorerst Nußland, Österreich und Preußen, ungehindert durch die fremdartigen
Interessen Englands und Frankreichs, sich unter einander verständigen. Das
Resultat dieser Bekehrung waren die Grundsätze, welche die drei Ostmachte in
dem am 19. November gemeinschaftlich unterzeichneten Protokoll niederlegten:
„Sobald ein der europäischen Allianz angehöriger Staat durch Revolution eine
Änderung seines innern Zustandes erleidet, hört er dadurch aus, Mitglied dieser
Allianz zu sein und bleibt von derselben solange ausgeschlossen, bis sein Zustand
Garantien der legitimen Ordnung und der Dauerhaftigkeit bietet. Die verbün¬
deten Mächte verpflichten sich, illegaler Reformen ihre Anerkennung zu versage»;
um Staate», in denen dergleichen vorgekommen, in den Schooß der Allianz
zurückzuführen, behalten sie sich gegen dieselben zunächst freundliche Schritte,
nötigenfalls aber Zwangsmaßregeln vor. Dieses Verfahren soll gegen das König¬
reich beider Sieilien angewendet werden."

Nicht die an sich ziemlich harmlose Erklärung vom 26. September 1815,
sondern dieses Troppauer Protokoll und die Ausführung desselben ist es, was
die Heilige Allianz bei Mit- und Nachwelt so sehr in Verruf gebracht, ihr
eigentlich erst ihren spezifischen Charakter aufgedrückt hat. Jeue Erklärung ist
daran nur indirekt beteiligt insofern, als die Monarchen, indem sie die Ver¬
antwortlichkeit ihres Herrscheramtes gegen Gott so nachdrücklich hervorgehoben,
umso eher geneigt waren, sich derjenigen gegen ihre Unterthanen zu entschlagen.
Dieses dagegen schuf ein ganz neues, öffentliches Recht, eine Art internationaler
Polizei, welche die Unabhängigkeit der Einzelstaaten aufhob nud ihre innere
Entwicklung unmöglich machte. Gleichzeitig aber mußte die Prvklnmiruug dieser
Grundsätze über kurz oder lang zu einem prinzipiellen Gegensatze zwischen den
drei absolutistischen Mächten des Ostens und den beiden konstitutionellen des
Westens führen, und wenn derselbe nicht sofort und in voller Stärke hervor¬
trat, so lag dies, was England betrifft, an der noch fortdauernden Herrschaft
der Tories, die, obgleich England der Heiligen Allianz nicht beigetreten war,


Grenzlwlru III. 1382. 26
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[0209] Die Heilige Allianz. der in Person nach Warschau geeilt war, um deu Beistand des kaiserlichen Schwagers gegen die österreichische Vergewaltigung anzurufen, beruhigten Herzens beim, und die Sprache der rassischen Diplomaten um den kleinen deutschen Höfen ließ nicht den geringsten Zweifel darüber, daß ihr Gebieter weit davon entfernt war, der Unterjochung des Deutschen Bundes durch Osterreich Vorschub zu leisten. Unzweifelhaft würde sich dieser Antagonismus noch viel schärfer entwickelt haben, wenn nicht dem Staatsmanne in Wien seine allzeit getrennten Verbündeten, die Thorheiten der Demokratie, durch den Ausbruch der Militärrevolntionen im romanischen Süden in die Hände gearbeitet hätten. Sie unterstützten auf der Zusammenkunft zu Troppau seiue Künste der Überredung und der Schmeichelei, mit denen er dem russischen Kaiser die Erhabenheit seines Berufes, Europa vor dem Jllkobinismus zu retten, so wirksam ausmalte, daß dieser sich sür die Ansicht begeistern ließ, um das große europäische System dauernd zu begründen, müßten vorerst Nußland, Österreich und Preußen, ungehindert durch die fremdartigen Interessen Englands und Frankreichs, sich unter einander verständigen. Das Resultat dieser Bekehrung waren die Grundsätze, welche die drei Ostmachte in dem am 19. November gemeinschaftlich unterzeichneten Protokoll niederlegten: „Sobald ein der europäischen Allianz angehöriger Staat durch Revolution eine Änderung seines innern Zustandes erleidet, hört er dadurch aus, Mitglied dieser Allianz zu sein und bleibt von derselben solange ausgeschlossen, bis sein Zustand Garantien der legitimen Ordnung und der Dauerhaftigkeit bietet. Die verbün¬ deten Mächte verpflichten sich, illegaler Reformen ihre Anerkennung zu versage»; um Staate», in denen dergleichen vorgekommen, in den Schooß der Allianz zurückzuführen, behalten sie sich gegen dieselben zunächst freundliche Schritte, nötigenfalls aber Zwangsmaßregeln vor. Dieses Verfahren soll gegen das König¬ reich beider Sieilien angewendet werden." Nicht die an sich ziemlich harmlose Erklärung vom 26. September 1815, sondern dieses Troppauer Protokoll und die Ausführung desselben ist es, was die Heilige Allianz bei Mit- und Nachwelt so sehr in Verruf gebracht, ihr eigentlich erst ihren spezifischen Charakter aufgedrückt hat. Jeue Erklärung ist daran nur indirekt beteiligt insofern, als die Monarchen, indem sie die Ver¬ antwortlichkeit ihres Herrscheramtes gegen Gott so nachdrücklich hervorgehoben, umso eher geneigt waren, sich derjenigen gegen ihre Unterthanen zu entschlagen. Dieses dagegen schuf ein ganz neues, öffentliches Recht, eine Art internationaler Polizei, welche die Unabhängigkeit der Einzelstaaten aufhob nud ihre innere Entwicklung unmöglich machte. Gleichzeitig aber mußte die Prvklnmiruug dieser Grundsätze über kurz oder lang zu einem prinzipiellen Gegensatze zwischen den drei absolutistischen Mächten des Ostens und den beiden konstitutionellen des Westens führen, und wenn derselbe nicht sofort und in voller Stärke hervor¬ trat, so lag dies, was England betrifft, an der noch fortdauernden Herrschaft der Tories, die, obgleich England der Heiligen Allianz nicht beigetreten war, Grenzlwlru III. 1382. 26

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 41, 1882, Drittes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341835_193340/209>, abgerufen am 01.07.2024.