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Die Grenzboten. Jg. 41, 1882, Drittes Quartal.

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in bisheriger Weise befürworten. Nur glaube" wir nicht, daß noch viele geneigt
sei" werden, den gegenwärtig einzig offenstehenden Weg zu betreten. Das; der
Staat die Berechtigung haben muß, außerdem Kräfte a" seine Universitäten zu
ziehen, welche in ganz andern Sphären sich herangebildet haben, ist ein Pvstnlnt,
welches wir natürlich nicht entfernt in Frage stellen "vollen.

Wir leugnen nicht, daß die in Rede stehende Veränderung unsrer akade¬
mischen Verhältnisse an den Staat hohe Ansprüche stellen würde, denen gegen¬
über etwa nur die höchst unwürdigen Privatdozentenstipendien in Wegfall kommen
könnten. Wir können aber nicht verstehen, warum gegenüber den dörrenden
Anforderungen, welche gegenwärtig die medizinischen und Naturwissenschaften er¬
heben, die Jurisprudenz, die Theologie, die historischen Fächer in so bescheidner,
ihnen nicht zum Vorteil gereichender Reserve verharren sollen. Es scheint uns
überdies, als ob die ungleich bessere Ausbildung der zukünftigen Lehrer, der
Staatsbeamte" und Religionsdiener eine Sache wäre, welche die jährliche Auf¬
wendung von ein paar hunderttausend Mark sehr wohl verdiente.

Was die Notwendigkeit einer Reform der Doktorprüfungen an deutscheu
Universitäten betrifft, so ist darüber in den letzten Jahre" schon soviel geschrieben
worden, daß es eines nähern Eingehens auf diesen Punkt kaum bedarf. Einer
realen Bedeutung ist der Doktortitel längst entkleidet worden, seit man ohne
ihn als Lehrer, Arzt oder Richter fungiren darf. Aber gerade darum will es
manchmal scheinen, als ob viele, denen es nie um strenge wissenschaftliche For¬
schung zu thun gewesen ist, sich denselben nur erwerben, um sich seiner als ge¬
sellschaftlicher Folie zu bedienen. Zwar ist mancher Mißbrauch in dieser Be¬
ziehung abgestellt worden, aber es ist doch noch an der einen oder andern Uni¬
versität möglich, Doktor zu werden, ohne eine mündliche Prüfung abgelegt oder
gar ohne dnrch Drucklegung der Dissertation mich öffentlich den Beweis des
Anrechts auf diesen Titel geführt zu haben. In welcher Richtung hier eine
Reform anzubahnen wäre, lehrt der Umstand, daß der Besitz des Doktortitels
die notwendige Bedingung ist, um zur akademischen Karriere zugelassen zu werden.
Das Examen wird zu einem theoretischen, streng wissenschaftlichen erhoben, sein
Schwerpunkt in eine schriftliche Arbeit verlegt werden müssen, welche durch
Druck allgemein zugänglich zu "räche" ist und den Beweis liefert, daß der Ver¬
fasser nicht nnr eine gewisse Summe von Kenicknisse", sonder" auch ein selb¬
ständiges Urteil besitzt. Wird auch dau" die Zahl derer geringer werden, die
gerieigt sind, einer solchen Prüfung sich zu unterziehen, so wird die Wissenschaft
schwerlich eine" großen Verlust erleiden, wenn nicht mehrere hunderte von Dok¬
toren jährlich kreirt werden. Aus ein mündliches, natürlich öffentliches Examen
kann nicht verzichtet werden, sei es um einen unbekannten Bewerber rücksichtlich
der Selbständigkeit seiner Leistung zu prüfen, sei es um vou dem positiven
Wissen der Kandidaten überhaupt sich zu überzeugen. Zu erwägen wäre ferner,
ob nicht die Einführung vou Klausuren, wie sie an süddeutschen Universitäten


in bisheriger Weise befürworten. Nur glaube» wir nicht, daß noch viele geneigt
sei» werden, den gegenwärtig einzig offenstehenden Weg zu betreten. Das; der
Staat die Berechtigung haben muß, außerdem Kräfte a» seine Universitäten zu
ziehen, welche in ganz andern Sphären sich herangebildet haben, ist ein Pvstnlnt,
welches wir natürlich nicht entfernt in Frage stellen »vollen.

Wir leugnen nicht, daß die in Rede stehende Veränderung unsrer akade¬
mischen Verhältnisse an den Staat hohe Ansprüche stellen würde, denen gegen¬
über etwa nur die höchst unwürdigen Privatdozentenstipendien in Wegfall kommen
könnten. Wir können aber nicht verstehen, warum gegenüber den dörrenden
Anforderungen, welche gegenwärtig die medizinischen und Naturwissenschaften er¬
heben, die Jurisprudenz, die Theologie, die historischen Fächer in so bescheidner,
ihnen nicht zum Vorteil gereichender Reserve verharren sollen. Es scheint uns
überdies, als ob die ungleich bessere Ausbildung der zukünftigen Lehrer, der
Staatsbeamte» und Religionsdiener eine Sache wäre, welche die jährliche Auf¬
wendung von ein paar hunderttausend Mark sehr wohl verdiente.

Was die Notwendigkeit einer Reform der Doktorprüfungen an deutscheu
Universitäten betrifft, so ist darüber in den letzten Jahre» schon soviel geschrieben
worden, daß es eines nähern Eingehens auf diesen Punkt kaum bedarf. Einer
realen Bedeutung ist der Doktortitel längst entkleidet worden, seit man ohne
ihn als Lehrer, Arzt oder Richter fungiren darf. Aber gerade darum will es
manchmal scheinen, als ob viele, denen es nie um strenge wissenschaftliche For¬
schung zu thun gewesen ist, sich denselben nur erwerben, um sich seiner als ge¬
sellschaftlicher Folie zu bedienen. Zwar ist mancher Mißbrauch in dieser Be¬
ziehung abgestellt worden, aber es ist doch noch an der einen oder andern Uni¬
versität möglich, Doktor zu werden, ohne eine mündliche Prüfung abgelegt oder
gar ohne dnrch Drucklegung der Dissertation mich öffentlich den Beweis des
Anrechts auf diesen Titel geführt zu haben. In welcher Richtung hier eine
Reform anzubahnen wäre, lehrt der Umstand, daß der Besitz des Doktortitels
die notwendige Bedingung ist, um zur akademischen Karriere zugelassen zu werden.
Das Examen wird zu einem theoretischen, streng wissenschaftlichen erhoben, sein
Schwerpunkt in eine schriftliche Arbeit verlegt werden müssen, welche durch
Druck allgemein zugänglich zu »räche» ist und den Beweis liefert, daß der Ver¬
fasser nicht nnr eine gewisse Summe von Kenicknisse», sonder» auch ein selb¬
ständiges Urteil besitzt. Wird auch dau» die Zahl derer geringer werden, die
gerieigt sind, einer solchen Prüfung sich zu unterziehen, so wird die Wissenschaft
schwerlich eine» großen Verlust erleiden, wenn nicht mehrere hunderte von Dok¬
toren jährlich kreirt werden. Aus ein mündliches, natürlich öffentliches Examen
kann nicht verzichtet werden, sei es um einen unbekannten Bewerber rücksichtlich
der Selbständigkeit seiner Leistung zu prüfen, sei es um vou dem positiven
Wissen der Kandidaten überhaupt sich zu überzeugen. Zu erwägen wäre ferner,
ob nicht die Einführung vou Klausuren, wie sie an süddeutschen Universitäten


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 41, 1882, Drittes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341835_193340/176>, abgerufen am 22.07.2024.