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Die Grenzboten. Jg. 41, 1882, Drittes Quartal.

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Bakchen und Thyrsosträger.

existirt, ist der Beweis für das Dasein Gottes, der einzige Beweis, den es giebt.
Wie die Magnetnadel anzeigt, daß es einen Nordpol geben muß, so zeigt dieses
Organ den Schöpfer an. Nur ist es einem jeden in verschiedenem Maße eigen,
und ein jeder sieht Gott in seiner Weise.

Gut. Aber ist es nicht ein Schauspiel göttlichen Humors, alle diese Mario¬
netten sich bewegen zu sehen, wie sie nichts von dem Draht wissen, der sie lenkt,
und wie sie unter einander streiten, ob außer ihnen noch eine Intelligenz sei?

Wenn nicht etwa, sagte der Vater, die Gottheit selber sich in allen diesen
Marionetten spiegelt und mit deren Augen und Köpfen sich selber betrachtet.

Ephraim schwieg eine Weile und sagte dann: Es scheint mir da ein Punkt
in deinem System zu sein, der noch der nähern Bestimmung bedarf. Du hast
den Unterschied zwischen Mensch und Tier uicht genügend festgestellt. Es ist der
Ortssinn, der die Wandertaube über die Wälder und Prärien hin, den Storch
und die Schwalbe vom norddeutschen Strohdach in das ägyptische Land führt,
derselbe Trieb, der den arabischen Reiter und den braunen Indianer sehllos
leitet. Es sind Mut und Stolz, die das Roß wie den Ritter im Drange der
Schlacht das Haupt erheben lassen. Es ist die Vorsicht, die die Gemsenheerde
Wachtposten ausstellen läßt gleich einer Truppe im Felde. Treue läßt deu
Hund seinem Herrn und den Krieger seinem Häuptling folgen. Es ist die Ge¬
schlechtsliebe, die beim Tiere wie beim Mettscheu Männchen und Weibchen zu¬
sammenführt und die Kleinen verteidigt. Der Nahruugstrieb, der das Reh zur
Weide und zum Wasser führt, treibt auch den Menschen zur Arbeit um das
tägliche Brot an. Es ist der Kunstsinn, der den Vogel sein Nest, den Biber
seine Höhle und den Menschen seinen Palast denen macht, es ist die Schlauheit,
die den Fuchs erfüllt und einen Hannibal gefürchtet machte. Erwerbssinn und
Eigentumsgefühl sind es, die dem Hamster seinen Bau mit Korn wie dem Kauf¬
mann seine Speicher mit Waaren füllen, die das Weidevieh seine Futterplätze
wie den Grundbesitzer seine Heimat verteidigen lassen; und nichts andres als
eine Sprache ist es, was die Schwärme der Bienen und Ameisen, was die Züge
der Kraniche und wilden Gänse, was die Verteilung des Weidegrunds unter
den Heerden der Büffel, Antilopen und Hirsche leitet, wie sie auch zwischen den
Völkern der Menschen Verständnis, Mitteilung, gemeinsames Handeln und Ord¬
nung zu Wege brachte. Willst du als Phrenologe etwa die Art der Sophisten
annehmen, indem du mit Worten unterscheidest, was dein Wesen nach dasselbe
ist? Oder kannst du mir sagen: Wenn die Gottheit sich selbst mit den Köpfen
der Menschen betrachtet, warum nicht anch mit den Köpfen der Tiere?

Gewiß betrachtet sie sich auch mit diesen, aber nur hinsichtlich ihrer ge¬
ringeren Eigenschaften, antwortete der Alte zögernd. Das liegt darin ausge¬
drückt, daß die Phrenologie den Tieren die höheren Denkkräfte nicht zuerkennt,
zum Unterschiede zwischen ihnen und den Menschen. Darum bleibt das Tier
wuner dasselbe, der Mensch aber lernt,


Bakchen und Thyrsosträger.

existirt, ist der Beweis für das Dasein Gottes, der einzige Beweis, den es giebt.
Wie die Magnetnadel anzeigt, daß es einen Nordpol geben muß, so zeigt dieses
Organ den Schöpfer an. Nur ist es einem jeden in verschiedenem Maße eigen,
und ein jeder sieht Gott in seiner Weise.

Gut. Aber ist es nicht ein Schauspiel göttlichen Humors, alle diese Mario¬
netten sich bewegen zu sehen, wie sie nichts von dem Draht wissen, der sie lenkt,
und wie sie unter einander streiten, ob außer ihnen noch eine Intelligenz sei?

Wenn nicht etwa, sagte der Vater, die Gottheit selber sich in allen diesen
Marionetten spiegelt und mit deren Augen und Köpfen sich selber betrachtet.

Ephraim schwieg eine Weile und sagte dann: Es scheint mir da ein Punkt
in deinem System zu sein, der noch der nähern Bestimmung bedarf. Du hast
den Unterschied zwischen Mensch und Tier uicht genügend festgestellt. Es ist der
Ortssinn, der die Wandertaube über die Wälder und Prärien hin, den Storch
und die Schwalbe vom norddeutschen Strohdach in das ägyptische Land führt,
derselbe Trieb, der den arabischen Reiter und den braunen Indianer sehllos
leitet. Es sind Mut und Stolz, die das Roß wie den Ritter im Drange der
Schlacht das Haupt erheben lassen. Es ist die Vorsicht, die die Gemsenheerde
Wachtposten ausstellen läßt gleich einer Truppe im Felde. Treue läßt deu
Hund seinem Herrn und den Krieger seinem Häuptling folgen. Es ist die Ge¬
schlechtsliebe, die beim Tiere wie beim Mettscheu Männchen und Weibchen zu¬
sammenführt und die Kleinen verteidigt. Der Nahruugstrieb, der das Reh zur
Weide und zum Wasser führt, treibt auch den Menschen zur Arbeit um das
tägliche Brot an. Es ist der Kunstsinn, der den Vogel sein Nest, den Biber
seine Höhle und den Menschen seinen Palast denen macht, es ist die Schlauheit,
die den Fuchs erfüllt und einen Hannibal gefürchtet machte. Erwerbssinn und
Eigentumsgefühl sind es, die dem Hamster seinen Bau mit Korn wie dem Kauf¬
mann seine Speicher mit Waaren füllen, die das Weidevieh seine Futterplätze
wie den Grundbesitzer seine Heimat verteidigen lassen; und nichts andres als
eine Sprache ist es, was die Schwärme der Bienen und Ameisen, was die Züge
der Kraniche und wilden Gänse, was die Verteilung des Weidegrunds unter
den Heerden der Büffel, Antilopen und Hirsche leitet, wie sie auch zwischen den
Völkern der Menschen Verständnis, Mitteilung, gemeinsames Handeln und Ord¬
nung zu Wege brachte. Willst du als Phrenologe etwa die Art der Sophisten
annehmen, indem du mit Worten unterscheidest, was dein Wesen nach dasselbe
ist? Oder kannst du mir sagen: Wenn die Gottheit sich selbst mit den Köpfen
der Menschen betrachtet, warum nicht anch mit den Köpfen der Tiere?

Gewiß betrachtet sie sich auch mit diesen, aber nur hinsichtlich ihrer ge¬
ringeren Eigenschaften, antwortete der Alte zögernd. Das liegt darin ausge¬
drückt, daß die Phrenologie den Tieren die höheren Denkkräfte nicht zuerkennt,
zum Unterschiede zwischen ihnen und den Menschen. Darum bleibt das Tier
wuner dasselbe, der Mensch aber lernt,


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 41, 1882, Drittes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341835_193340/147>, abgerufen am 03.07.2024.