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Die Grenzboten. Jg. 41, 1882, Drittes Quartal.

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Unterhalb der Bänder staken drei Käse. Der ganze Zug ritt, von der Bevölkerung
erwartet, in das Städtchen ein. Der.Käsekönig hatte das Recht allerhand Späße
zu machen und mußte namentlich vor dem Hause des Bürgermeisters eine
kurze, launige Anrede halten. Daun zog die ganze Gesellschaft ans den Markt¬
platz, wo noch einmal das versammelte Publikum angesprochen und insbesondre
darum gebeten wurde, auf Knechte und Pferde gut Acht zu haben und sie
nicht zu verachten.

Da kam eines Tages, kurz vor Pfingsten, ein Beschluß des hochweisen
Stadtrates zum Vorschein, welcher den Ein- und Umzug verbot, weil Störungen
stattfinden könnten und die Sache eine veraltete und lächerliche sei. Dies Verbot
war ganz überflüssig. Unfug ist meines Wissens nie vorgekommen. Gegen
-'^9 Uhr waren stets alle Knechte mit ihren Pferden wieder zu Hause gewesen.
Ich halte dafür, daß lediglich der sogenannte Bilduugsphilister die Ursache
an der Aufhebung dieses beim Volke so beliebten Zuges war.

Um dieselbe Zeit erhielt auch ein andrer für die Jugend sehr angenehmer
Gebrauch einen Stoß. Am Sonntage Lätare nämlich, dem sogenannten
Sommertag, pflegten Knaben früh vor und uach dein Gottesdienste als
"Sommer" und "Winter" angekleidet durch die Stratzeu zu ziehen. Der
Sommer war ganz mit Epheu überzogen, der Winter mit Stroh. Dabei sangen
sie fröhliche, auf den kommenden Frühling bezügliche, dem Weinbau mit seinen
Gebräuchen cntnvmiueue Lieder. Ganze Scharen von Kindern folgten, welche
an kleinen Stäben oben einen Apfel und oberhalb des Apfels eine mit Bündern
verzierte Brezel befestigt hatten. Reiche und arme Kinder gingen so herum,
besuchten Verwandte, Paten und Bekannte und erhielten von diesen kleine Geld¬
stücke, Kreuzer oder Groschen, in den Apfel gesteckt. Ich erinnere mich nicht,
daß auch dabei jemals Unfug vorgekommen wäre. Trotzdem wurde die Sache
für die Kinder "wohlhabender und anständiger" Leute mit einemmale verboten
und in den Schulen, namentlich im Religionsunterricht, als unziemlich verur¬
teilt. Heute ist der ganze Gebrauch zu einer Bettelei herabgesunken, bei der
arme Kinder "Sommer" und "Winter" machend von Haus zu Haus ziehen,
vor den Fenstern ein Liedchen singen und sich eine Gabe erbetteln.

Und das hat mit ihrem Walten die Kirchen- und Staatspolizei gethan.


pH. L. l?.


Unterhalb der Bänder staken drei Käse. Der ganze Zug ritt, von der Bevölkerung
erwartet, in das Städtchen ein. Der.Käsekönig hatte das Recht allerhand Späße
zu machen und mußte namentlich vor dem Hause des Bürgermeisters eine
kurze, launige Anrede halten. Daun zog die ganze Gesellschaft ans den Markt¬
platz, wo noch einmal das versammelte Publikum angesprochen und insbesondre
darum gebeten wurde, auf Knechte und Pferde gut Acht zu haben und sie
nicht zu verachten.

Da kam eines Tages, kurz vor Pfingsten, ein Beschluß des hochweisen
Stadtrates zum Vorschein, welcher den Ein- und Umzug verbot, weil Störungen
stattfinden könnten und die Sache eine veraltete und lächerliche sei. Dies Verbot
war ganz überflüssig. Unfug ist meines Wissens nie vorgekommen. Gegen
-'^9 Uhr waren stets alle Knechte mit ihren Pferden wieder zu Hause gewesen.
Ich halte dafür, daß lediglich der sogenannte Bilduugsphilister die Ursache
an der Aufhebung dieses beim Volke so beliebten Zuges war.

Um dieselbe Zeit erhielt auch ein andrer für die Jugend sehr angenehmer
Gebrauch einen Stoß. Am Sonntage Lätare nämlich, dem sogenannten
Sommertag, pflegten Knaben früh vor und uach dein Gottesdienste als
„Sommer" und „Winter" angekleidet durch die Stratzeu zu ziehen. Der
Sommer war ganz mit Epheu überzogen, der Winter mit Stroh. Dabei sangen
sie fröhliche, auf den kommenden Frühling bezügliche, dem Weinbau mit seinen
Gebräuchen cntnvmiueue Lieder. Ganze Scharen von Kindern folgten, welche
an kleinen Stäben oben einen Apfel und oberhalb des Apfels eine mit Bündern
verzierte Brezel befestigt hatten. Reiche und arme Kinder gingen so herum,
besuchten Verwandte, Paten und Bekannte und erhielten von diesen kleine Geld¬
stücke, Kreuzer oder Groschen, in den Apfel gesteckt. Ich erinnere mich nicht,
daß auch dabei jemals Unfug vorgekommen wäre. Trotzdem wurde die Sache
für die Kinder „wohlhabender und anständiger" Leute mit einemmale verboten
und in den Schulen, namentlich im Religionsunterricht, als unziemlich verur¬
teilt. Heute ist der ganze Gebrauch zu einer Bettelei herabgesunken, bei der
arme Kinder „Sommer" und „Winter" machend von Haus zu Haus ziehen,
vor den Fenstern ein Liedchen singen und sich eine Gabe erbetteln.

Und das hat mit ihrem Walten die Kirchen- und Staatspolizei gethan.


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[0138] Unterhalb der Bänder staken drei Käse. Der ganze Zug ritt, von der Bevölkerung erwartet, in das Städtchen ein. Der.Käsekönig hatte das Recht allerhand Späße zu machen und mußte namentlich vor dem Hause des Bürgermeisters eine kurze, launige Anrede halten. Daun zog die ganze Gesellschaft ans den Markt¬ platz, wo noch einmal das versammelte Publikum angesprochen und insbesondre darum gebeten wurde, auf Knechte und Pferde gut Acht zu haben und sie nicht zu verachten. Da kam eines Tages, kurz vor Pfingsten, ein Beschluß des hochweisen Stadtrates zum Vorschein, welcher den Ein- und Umzug verbot, weil Störungen stattfinden könnten und die Sache eine veraltete und lächerliche sei. Dies Verbot war ganz überflüssig. Unfug ist meines Wissens nie vorgekommen. Gegen -'^9 Uhr waren stets alle Knechte mit ihren Pferden wieder zu Hause gewesen. Ich halte dafür, daß lediglich der sogenannte Bilduugsphilister die Ursache an der Aufhebung dieses beim Volke so beliebten Zuges war. Um dieselbe Zeit erhielt auch ein andrer für die Jugend sehr angenehmer Gebrauch einen Stoß. Am Sonntage Lätare nämlich, dem sogenannten Sommertag, pflegten Knaben früh vor und uach dein Gottesdienste als „Sommer" und „Winter" angekleidet durch die Stratzeu zu ziehen. Der Sommer war ganz mit Epheu überzogen, der Winter mit Stroh. Dabei sangen sie fröhliche, auf den kommenden Frühling bezügliche, dem Weinbau mit seinen Gebräuchen cntnvmiueue Lieder. Ganze Scharen von Kindern folgten, welche an kleinen Stäben oben einen Apfel und oberhalb des Apfels eine mit Bündern verzierte Brezel befestigt hatten. Reiche und arme Kinder gingen so herum, besuchten Verwandte, Paten und Bekannte und erhielten von diesen kleine Geld¬ stücke, Kreuzer oder Groschen, in den Apfel gesteckt. Ich erinnere mich nicht, daß auch dabei jemals Unfug vorgekommen wäre. Trotzdem wurde die Sache für die Kinder „wohlhabender und anständiger" Leute mit einemmale verboten und in den Schulen, namentlich im Religionsunterricht, als unziemlich verur¬ teilt. Heute ist der ganze Gebrauch zu einer Bettelei herabgesunken, bei der arme Kinder „Sommer" und „Winter" machend von Haus zu Haus ziehen, vor den Fenstern ein Liedchen singen und sich eine Gabe erbetteln. Und das hat mit ihrem Walten die Kirchen- und Staatspolizei gethan. pH. L. l?.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 41, 1882, Drittes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341835_193340/138>, abgerufen am 01.07.2024.