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Die Grenzboten. Jg. 41, 1882, Drittes Quartal.

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Labyloniertum, Judentum und Christentum.

leistete" die Truppen Ismails sehr wenig, und im Kriege mit Habesch erlitten
sie trotz ihrer guten Bewaffnung durch die halbwilde" Krieger des Negus eine
empfindliche Niederlage.




Vabyloniertum, Judentum und Christentum.

meer den Schriften, die ans Anlaß und in Angelegenheit der
Judenfrage geschrieben worden sind, zeichnet sich ein vor kurzem
unter dem obige" Titel erschienenes Buch von 1>r. Adolf Wnhr-
mund (Leipzig, Brockhaus, 1882) dadurch vorteilhaft aus, daß es
diese Frage auf rein wissenschaftlichem Wege zu lösen sucht. Dabei
geht Wahrmnnd von einem neuen Gesichtspunkte aus: er läßt die Nasseusrage
ganz beiseite und faßt nur die geistigen Zustande der Juden, sofern dieselben
das Ergebnis "literarischer Schulung" sind, ins Auge. Er weist zunächst in
genauer ethnographischer Darlegung den Juden ihren Platz innerhalb des viel¬
gestaltigen vorderasiatischen Völkergewirres um, indem er dabei zugleich auf die
Wanderung der Kultur und ihren Einfluß auf die einzelnen Völker, welche die
Sitze der ältesten Kultur inne hatten, aufmerksam macht. Sodann fuhrt er den
Leser in große Literaturkreise ein, d. h. in die mich Raum und Zeit in sich
mehr oder weniger scharf abgegrenzten Phasen und Epochen der geistigen Ent¬
wicklung und ihrer Literatur, die nach einander auf die Völker Vorderasiens
einen bedeutenden Einfluß ausgeübt haben, dem keines jeuer Völker, also auch
das israelitische nicht, sich ganz hat entziehen können. Ans Grund einer genauen
Vergleichung jener drei großen Literaturkreise, des altbabylonischen, des assyrischen
und des ägyptischen, mit dem jüdischen und seiner Jahvereligio" wird nun ge¬
zeigt, daß die sittlich-religiösen Anschauungen des alten Testaments von den
erster" zum mindesten stark beeinflußt sind. Durch die Arbeit der Ägyptvlvgeu
und Assyriologcn ist die bisher herrschende Ansicht von der unmittelbaren Ori¬
ginalität der alttestamentlichen Literatur bedeutend erschüttert worden. Das alte
Testament erweist sich darnach als ein Glied in dem großen vorderasiatischen
oder babylonisch-ägyptischen Literaturkreise, von welchem es in den Ideen und
in de" literarischen Formen abhängig ist. Die besondre Art von Frömmigkeit,
die bis jetzt den Juden allein eigen schien, erscheint darnach als das Gemein-
eigentnm der hamitisch-semitischen Kulturvölker Vorderasiens, die mosaische Gesetz¬
gebung im wesentlichen als Nachbildung der ägyptischem und das Geschick der
Juden zu Handel und Geldgeschäften als Erbschaft der Phönizier. Damit ist
der noch immer herrschenden judenchristlichen Anschauung, die sich auf die


Labyloniertum, Judentum und Christentum.

leistete» die Truppen Ismails sehr wenig, und im Kriege mit Habesch erlitten
sie trotz ihrer guten Bewaffnung durch die halbwilde» Krieger des Negus eine
empfindliche Niederlage.




Vabyloniertum, Judentum und Christentum.

meer den Schriften, die ans Anlaß und in Angelegenheit der
Judenfrage geschrieben worden sind, zeichnet sich ein vor kurzem
unter dem obige» Titel erschienenes Buch von 1>r. Adolf Wnhr-
mund (Leipzig, Brockhaus, 1882) dadurch vorteilhaft aus, daß es
diese Frage auf rein wissenschaftlichem Wege zu lösen sucht. Dabei
geht Wahrmnnd von einem neuen Gesichtspunkte aus: er läßt die Nasseusrage
ganz beiseite und faßt nur die geistigen Zustande der Juden, sofern dieselben
das Ergebnis „literarischer Schulung" sind, ins Auge. Er weist zunächst in
genauer ethnographischer Darlegung den Juden ihren Platz innerhalb des viel¬
gestaltigen vorderasiatischen Völkergewirres um, indem er dabei zugleich auf die
Wanderung der Kultur und ihren Einfluß auf die einzelnen Völker, welche die
Sitze der ältesten Kultur inne hatten, aufmerksam macht. Sodann fuhrt er den
Leser in große Literaturkreise ein, d. h. in die mich Raum und Zeit in sich
mehr oder weniger scharf abgegrenzten Phasen und Epochen der geistigen Ent¬
wicklung und ihrer Literatur, die nach einander auf die Völker Vorderasiens
einen bedeutenden Einfluß ausgeübt haben, dem keines jeuer Völker, also auch
das israelitische nicht, sich ganz hat entziehen können. Ans Grund einer genauen
Vergleichung jener drei großen Literaturkreise, des altbabylonischen, des assyrischen
und des ägyptischen, mit dem jüdischen und seiner Jahvereligio» wird nun ge¬
zeigt, daß die sittlich-religiösen Anschauungen des alten Testaments von den
erster» zum mindesten stark beeinflußt sind. Durch die Arbeit der Ägyptvlvgeu
und Assyriologcn ist die bisher herrschende Ansicht von der unmittelbaren Ori¬
ginalität der alttestamentlichen Literatur bedeutend erschüttert worden. Das alte
Testament erweist sich darnach als ein Glied in dem großen vorderasiatischen
oder babylonisch-ägyptischen Literaturkreise, von welchem es in den Ideen und
in de» literarischen Formen abhängig ist. Die besondre Art von Frömmigkeit,
die bis jetzt den Juden allein eigen schien, erscheint darnach als das Gemein-
eigentnm der hamitisch-semitischen Kulturvölker Vorderasiens, die mosaische Gesetz¬
gebung im wesentlichen als Nachbildung der ägyptischem und das Geschick der
Juden zu Handel und Geldgeschäften als Erbschaft der Phönizier. Damit ist
der noch immer herrschenden judenchristlichen Anschauung, die sich auf die


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 41, 1882, Drittes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341835_193340/118>, abgerufen am 23.07.2024.