Die Grenzboten. Jg. 41, 1882, Drittes Quartal.War u cet (Leipzig, G. Reichnrdts Verlag, 1882). Die Schrift hat ihre for¬ Was wir Deutschen vor allem bedürfen, das ist ein einheitlich sich zu¬ War u cet (Leipzig, G. Reichnrdts Verlag, 1882). Die Schrift hat ihre for¬ Was wir Deutschen vor allem bedürfen, das ist ein einheitlich sich zu¬ <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0011" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/193352"/> <fw type="header" place="top"/><lb/> <p xml:id="ID_15" prev="#ID_14"> War u cet (Leipzig, G. Reichnrdts Verlag, 1882). Die Schrift hat ihre for¬<lb/> malen Mängel. Eine häufig abspringende Gebaut'enentwicklung, bei welcher der<lb/> Verfasser sich nicht selten wiederholt^ und breit wird, überreichliche Bilder, eine<lb/> oft gesucht geistreiche Ausdrucksweise und eine Mille von Fremdwörtern, von<lb/> denen viele entbehrlich sind, machen das Buch zu keiner besonders angenehmen<lb/> Lektüre, ja man wird geradezu zuweilen verdrießlich darüber. Der Inhalt aber<lb/> ist, soweit er sich aus der mitunter etwas nebelhaften Darstellung herausfinden<lb/> läßt, bis auf einige Nebenpunkte beherzigenswert, und so versuchen wir im Fol¬<lb/> genden, seine Hnuptgedauleu, entweder wörtlich oder aus dem Akademischen in<lb/> einfaches Deutsch übertragen, kurz wiederzugeben.</p><lb/> <p xml:id="ID_16" next="#ID_17"> Was wir Deutschen vor allem bedürfen, das ist ein einheitlich sich zu¬<lb/> sammenschließender Staatsbürgersinn, der dnrch das homogene Zusammenwirken<lb/> und SichercMzen vou drei Grundbedingungen, dem nationalen, politischen und<lb/> ethischen Momente, entsteht und erhalten wird. Gegen die Einheit des natio¬<lb/> nalen Stantsbürgersinns wirken in Deutschland der Partikularismus und der<lb/> Dualismus des Bekenntnisses, gegen die des politischen der zur Republik trei¬<lb/> bende Liberalismus und Sozialismus, gegen die des ethischen der Materialis¬<lb/> mus und Atheismus. Hieraus ergeben sich zwei verhängnisvolle Folgen. Erstens<lb/> bleibt als Vermitteluder und einigender Faktor der Volks- und Staatseutwick-<lb/> luug uur das Parlament übrig, und zweitens fehlen für letzteres die natürlichen<lb/> Voraussetzungen einer Znsammensetzung, in der es wirklich vermitteln und einigen<lb/> könnte. Sowohl die auf die äußere Reichseinheit gerichteten Bemühungen der<lb/> Regierung im allgemeinen als anch beinahe alle Einzelanträge, welche höhere<lb/> Gesichtspunkte innerer Gemeinschastsinteressen der Nation betreffen, sind von<lb/> Jahr zu Jahr auf größere Schwierigkeit«:« gestoßen. Das parlamentarische<lb/> Wesen hat sich selbst unter einer so patriotischen und energischen Regierung wie<lb/> der jetzigen wenig fruchtbar gezeigt, und so liegt es nUf der Hand, daß es noch<lb/> weniger befähigt ist, die nationale, politische und ethische Einheitlichkeit deutschen<lb/> Stnatsbürgersinues anzubahnen. Diesen Notstand steigern zwei Wahnvorstel¬<lb/> lungen. Man meint, daß alles politische Heil in einer jeweiligen Parlaments¬<lb/> majorität gegeben sei, und so wird von jeder Partei mit dem Aufgebot aller<lb/> Kräfte auf dieses Ziel hin und gegen jede andre Partei gearbeitet, während<lb/> doch teil? Volk dadurch politisch gesunden wird, daß man ein Parlament funk¬<lb/> tionsfähig macht. Wie bei jedem Einzelleben, handelt es sich auch bei dem<lb/> Leben der Gesammtheit uicht um Machen, sondern um Werden. Ferner wähnt<lb/> man alles Gute sich selbst oder dem guten Glücke zu verdanken und alles Übeln<lb/> im letzte« Gründe der Regierung zuschreiben zu dürfen. Nur infolge eiues<lb/> mangelnden oder nicht genügend ausgebildeten Pflichtgefühls und infolge des<lb/> mangelnden Bewußtseins, daß man für alle seine Schritte selbst verantwortlich<lb/> ist, konnte es dahin kommen, daß sämmtliche Parteien in ihren Sonderzwecken<lb/> das alleinige Maß ihres Verfahrens erblickten. Dies gilt auch vou den Kor-</p><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0011]
War u cet (Leipzig, G. Reichnrdts Verlag, 1882). Die Schrift hat ihre for¬
malen Mängel. Eine häufig abspringende Gebaut'enentwicklung, bei welcher der
Verfasser sich nicht selten wiederholt^ und breit wird, überreichliche Bilder, eine
oft gesucht geistreiche Ausdrucksweise und eine Mille von Fremdwörtern, von
denen viele entbehrlich sind, machen das Buch zu keiner besonders angenehmen
Lektüre, ja man wird geradezu zuweilen verdrießlich darüber. Der Inhalt aber
ist, soweit er sich aus der mitunter etwas nebelhaften Darstellung herausfinden
läßt, bis auf einige Nebenpunkte beherzigenswert, und so versuchen wir im Fol¬
genden, seine Hnuptgedauleu, entweder wörtlich oder aus dem Akademischen in
einfaches Deutsch übertragen, kurz wiederzugeben.
Was wir Deutschen vor allem bedürfen, das ist ein einheitlich sich zu¬
sammenschließender Staatsbürgersinn, der dnrch das homogene Zusammenwirken
und SichercMzen vou drei Grundbedingungen, dem nationalen, politischen und
ethischen Momente, entsteht und erhalten wird. Gegen die Einheit des natio¬
nalen Stantsbürgersinns wirken in Deutschland der Partikularismus und der
Dualismus des Bekenntnisses, gegen die des politischen der zur Republik trei¬
bende Liberalismus und Sozialismus, gegen die des ethischen der Materialis¬
mus und Atheismus. Hieraus ergeben sich zwei verhängnisvolle Folgen. Erstens
bleibt als Vermitteluder und einigender Faktor der Volks- und Staatseutwick-
luug uur das Parlament übrig, und zweitens fehlen für letzteres die natürlichen
Voraussetzungen einer Znsammensetzung, in der es wirklich vermitteln und einigen
könnte. Sowohl die auf die äußere Reichseinheit gerichteten Bemühungen der
Regierung im allgemeinen als anch beinahe alle Einzelanträge, welche höhere
Gesichtspunkte innerer Gemeinschastsinteressen der Nation betreffen, sind von
Jahr zu Jahr auf größere Schwierigkeit«:« gestoßen. Das parlamentarische
Wesen hat sich selbst unter einer so patriotischen und energischen Regierung wie
der jetzigen wenig fruchtbar gezeigt, und so liegt es nUf der Hand, daß es noch
weniger befähigt ist, die nationale, politische und ethische Einheitlichkeit deutschen
Stnatsbürgersinues anzubahnen. Diesen Notstand steigern zwei Wahnvorstel¬
lungen. Man meint, daß alles politische Heil in einer jeweiligen Parlaments¬
majorität gegeben sei, und so wird von jeder Partei mit dem Aufgebot aller
Kräfte auf dieses Ziel hin und gegen jede andre Partei gearbeitet, während
doch teil? Volk dadurch politisch gesunden wird, daß man ein Parlament funk¬
tionsfähig macht. Wie bei jedem Einzelleben, handelt es sich auch bei dem
Leben der Gesammtheit uicht um Machen, sondern um Werden. Ferner wähnt
man alles Gute sich selbst oder dem guten Glücke zu verdanken und alles Übeln
im letzte« Gründe der Regierung zuschreiben zu dürfen. Nur infolge eiues
mangelnden oder nicht genügend ausgebildeten Pflichtgefühls und infolge des
mangelnden Bewußtseins, daß man für alle seine Schritte selbst verantwortlich
ist, konnte es dahin kommen, daß sämmtliche Parteien in ihren Sonderzwecken
das alleinige Maß ihres Verfahrens erblickten. Dies gilt auch vou den Kor-
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