Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 40, 1881, Viertes Quartal.

Bild:
<< vorherige Seite
Haildelsprivilegien,

einen Zuschuß zahlt. Auch aus dieser exceptionellen Steuerfreiheit zieht außer den
vermögenden Klassen fast mir der Handel Vortheil. Denn durch dieselbe wird
dem Großindustriellen nud dem Zwischenhändler die Concurrenz mit dem Hand¬
werker und dem auf seine nächste Umgebung angewiesenen kleinen Industriellen
noch erleichtert. Einer der Gründe, warum unsre Nachbarstaaten trotz ihrer
großen Schuldenlast unter den modernen Verhältnissen weniger schwer als wir
leiden, ist unzweifelhaft der, daß sie in dieser Hinsicht rationeller verfahren. Sie
lassen es sich wenigstens nicht noch Geld kosten, um dem Großen bei der Ver¬
nichtung des Kleinen zu helfen, sondern schützen letztern, freilich unbewußt und
mehr aus fiscalischen als aus allgemeinen wirthschaftlichen und socialen Rück¬
sichten, durch Erhebung einer Reisesteuer, zum Theil auch einer Transportsteuer.
Dafür ist aber auch Deutschland das gelobte Land der "Freihändler!"

Wir meinen, die angeführten Beispiele könnten genügen, um zu zeige",
was es mit der Phrase des sogenannten Freihandels, daß er keinerlei Bevor¬
zugung beanspruche, auf sich hat. Indeß giebt es Handelsprivilegieu, bei welchen
die Schäden des heutigen Systems und der in demselben liegende innere Wider¬
spruch noch klarer zu Tage treten. "Alle indirecten Steuern, die einen nennens-
werthen Ertrag liefern sollen, müssen den Consum der großen: Masse des
Volkes, der Unbegüterten treffen" -- das ist ein fast zum Dogma gewordener
Satz, welcher der Freihcmdelsüra außerordentlich bequem war. Man wollte
eben den Consum der Reichen nicht treffen, oder besser: man durfte ihn nicht
treffen, weil derselbe diejenigen Artikel umfaßt, welche in verhältnißmäßig kleinem
Volumen einen großen Werth repräsentiren und sich zu weiter Versendung, auch
ins Ausland, am besten eignen. Eine Besteuerung derselben hätte ja den
Handel betroffen, und der mußte ja steuerfrei bleiben! So oft daher zufällig
einmal auch Luxusartikel von einer erträglichen Steuer betroffen wurden, mußte
gerade für diese die Steuerfreiheit wieder hergestellt werden. Während der Arme
sein Salz und seinen Branntwein versteuert, muß derjenige Theil, welcher zur
Herstellung von Handelsartikeln gebraucht wird, mit Kostenaufwand denaturirt
und steuerfrei gelassen werden. Diese verwickelte, zu Uuterschleifen verführende,
Leben und Gesundheit schädigende Manipulation wird ausgeführt im Namen
der Freiheit! In andern Fällen tritt das Streben, die Waare dem Auslande
aufzudrängen, dieselben den fremden und fernen Consumenten billiger zu liefern
als dem eignen Mitbürger in den Rückvergütungen hervor, welche für Artikel
gewährt werden, die im Inlande einer Steuer unterliegen. Da nun diese Ver¬
gütung oft mehr beträgt als der Transport ins Ausland, so kann bei offenen
Grenzen der fremde Producent fast jeden Artikel billiger liefern als der ein¬
heimische, mit einer Steuer belastete Erzeuger. Und so ist man denn durch die
Handelsprivilegien zu dem auffallenden Zustande gekommen, daß jedes Volk,
welches sich eine eigne Industrie schaffen oder erhalten will, sich gegen die im
Auslande steuerfrei gebliebenen Artikel abschließen muß, daß ein höchst kiinst-


Haildelsprivilegien,

einen Zuschuß zahlt. Auch aus dieser exceptionellen Steuerfreiheit zieht außer den
vermögenden Klassen fast mir der Handel Vortheil. Denn durch dieselbe wird
dem Großindustriellen nud dem Zwischenhändler die Concurrenz mit dem Hand¬
werker und dem auf seine nächste Umgebung angewiesenen kleinen Industriellen
noch erleichtert. Einer der Gründe, warum unsre Nachbarstaaten trotz ihrer
großen Schuldenlast unter den modernen Verhältnissen weniger schwer als wir
leiden, ist unzweifelhaft der, daß sie in dieser Hinsicht rationeller verfahren. Sie
lassen es sich wenigstens nicht noch Geld kosten, um dem Großen bei der Ver¬
nichtung des Kleinen zu helfen, sondern schützen letztern, freilich unbewußt und
mehr aus fiscalischen als aus allgemeinen wirthschaftlichen und socialen Rück¬
sichten, durch Erhebung einer Reisesteuer, zum Theil auch einer Transportsteuer.
Dafür ist aber auch Deutschland das gelobte Land der „Freihändler!"

Wir meinen, die angeführten Beispiele könnten genügen, um zu zeige»,
was es mit der Phrase des sogenannten Freihandels, daß er keinerlei Bevor¬
zugung beanspruche, auf sich hat. Indeß giebt es Handelsprivilegieu, bei welchen
die Schäden des heutigen Systems und der in demselben liegende innere Wider¬
spruch noch klarer zu Tage treten. „Alle indirecten Steuern, die einen nennens-
werthen Ertrag liefern sollen, müssen den Consum der großen: Masse des
Volkes, der Unbegüterten treffen" — das ist ein fast zum Dogma gewordener
Satz, welcher der Freihcmdelsüra außerordentlich bequem war. Man wollte
eben den Consum der Reichen nicht treffen, oder besser: man durfte ihn nicht
treffen, weil derselbe diejenigen Artikel umfaßt, welche in verhältnißmäßig kleinem
Volumen einen großen Werth repräsentiren und sich zu weiter Versendung, auch
ins Ausland, am besten eignen. Eine Besteuerung derselben hätte ja den
Handel betroffen, und der mußte ja steuerfrei bleiben! So oft daher zufällig
einmal auch Luxusartikel von einer erträglichen Steuer betroffen wurden, mußte
gerade für diese die Steuerfreiheit wieder hergestellt werden. Während der Arme
sein Salz und seinen Branntwein versteuert, muß derjenige Theil, welcher zur
Herstellung von Handelsartikeln gebraucht wird, mit Kostenaufwand denaturirt
und steuerfrei gelassen werden. Diese verwickelte, zu Uuterschleifen verführende,
Leben und Gesundheit schädigende Manipulation wird ausgeführt im Namen
der Freiheit! In andern Fällen tritt das Streben, die Waare dem Auslande
aufzudrängen, dieselben den fremden und fernen Consumenten billiger zu liefern
als dem eignen Mitbürger in den Rückvergütungen hervor, welche für Artikel
gewährt werden, die im Inlande einer Steuer unterliegen. Da nun diese Ver¬
gütung oft mehr beträgt als der Transport ins Ausland, so kann bei offenen
Grenzen der fremde Producent fast jeden Artikel billiger liefern als der ein¬
heimische, mit einer Steuer belastete Erzeuger. Und so ist man denn durch die
Handelsprivilegien zu dem auffallenden Zustande gekommen, daß jedes Volk,
welches sich eine eigne Industrie schaffen oder erhalten will, sich gegen die im
Auslande steuerfrei gebliebenen Artikel abschließen muß, daß ein höchst kiinst-


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0551" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/151273"/>
          <fw type="header" place="top"> Haildelsprivilegien,</fw><lb/>
          <p xml:id="ID_1787" prev="#ID_1786"> einen Zuschuß zahlt. Auch aus dieser exceptionellen Steuerfreiheit zieht außer den<lb/>
vermögenden Klassen fast mir der Handel Vortheil. Denn durch dieselbe wird<lb/>
dem Großindustriellen nud dem Zwischenhändler die Concurrenz mit dem Hand¬<lb/>
werker und dem auf seine nächste Umgebung angewiesenen kleinen Industriellen<lb/>
noch erleichtert. Einer der Gründe, warum unsre Nachbarstaaten trotz ihrer<lb/>
großen Schuldenlast unter den modernen Verhältnissen weniger schwer als wir<lb/>
leiden, ist unzweifelhaft der, daß sie in dieser Hinsicht rationeller verfahren. Sie<lb/>
lassen es sich wenigstens nicht noch Geld kosten, um dem Großen bei der Ver¬<lb/>
nichtung des Kleinen zu helfen, sondern schützen letztern, freilich unbewußt und<lb/>
mehr aus fiscalischen als aus allgemeinen wirthschaftlichen und socialen Rück¬<lb/>
sichten, durch Erhebung einer Reisesteuer, zum Theil auch einer Transportsteuer.<lb/>
Dafür ist aber auch Deutschland das gelobte Land der &#x201E;Freihändler!"</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1788" next="#ID_1789"> Wir meinen, die angeführten Beispiele könnten genügen, um zu zeige»,<lb/>
was es mit der Phrase des sogenannten Freihandels, daß er keinerlei Bevor¬<lb/>
zugung beanspruche, auf sich hat. Indeß giebt es Handelsprivilegieu, bei welchen<lb/>
die Schäden des heutigen Systems und der in demselben liegende innere Wider¬<lb/>
spruch noch klarer zu Tage treten. &#x201E;Alle indirecten Steuern, die einen nennens-<lb/>
werthen Ertrag liefern sollen, müssen den Consum der großen: Masse des<lb/>
Volkes, der Unbegüterten treffen" &#x2014; das ist ein fast zum Dogma gewordener<lb/>
Satz, welcher der Freihcmdelsüra außerordentlich bequem war. Man wollte<lb/>
eben den Consum der Reichen nicht treffen, oder besser: man durfte ihn nicht<lb/>
treffen, weil derselbe diejenigen Artikel umfaßt, welche in verhältnißmäßig kleinem<lb/>
Volumen einen großen Werth repräsentiren und sich zu weiter Versendung, auch<lb/>
ins Ausland, am besten eignen. Eine Besteuerung derselben hätte ja den<lb/>
Handel betroffen, und der mußte ja steuerfrei bleiben! So oft daher zufällig<lb/>
einmal auch Luxusartikel von einer erträglichen Steuer betroffen wurden, mußte<lb/>
gerade für diese die Steuerfreiheit wieder hergestellt werden. Während der Arme<lb/>
sein Salz und seinen Branntwein versteuert, muß derjenige Theil, welcher zur<lb/>
Herstellung von Handelsartikeln gebraucht wird, mit Kostenaufwand denaturirt<lb/>
und steuerfrei gelassen werden. Diese verwickelte, zu Uuterschleifen verführende,<lb/>
Leben und Gesundheit schädigende Manipulation wird ausgeführt im Namen<lb/>
der Freiheit! In andern Fällen tritt das Streben, die Waare dem Auslande<lb/>
aufzudrängen, dieselben den fremden und fernen Consumenten billiger zu liefern<lb/>
als dem eignen Mitbürger in den Rückvergütungen hervor, welche für Artikel<lb/>
gewährt werden, die im Inlande einer Steuer unterliegen. Da nun diese Ver¬<lb/>
gütung oft mehr beträgt als der Transport ins Ausland, so kann bei offenen<lb/>
Grenzen der fremde Producent fast jeden Artikel billiger liefern als der ein¬<lb/>
heimische, mit einer Steuer belastete Erzeuger. Und so ist man denn durch die<lb/>
Handelsprivilegien zu dem auffallenden Zustande gekommen, daß jedes Volk,<lb/>
welches sich eine eigne Industrie schaffen oder erhalten will, sich gegen die im<lb/>
Auslande steuerfrei gebliebenen Artikel abschließen muß, daß ein höchst kiinst-</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0551] Haildelsprivilegien, einen Zuschuß zahlt. Auch aus dieser exceptionellen Steuerfreiheit zieht außer den vermögenden Klassen fast mir der Handel Vortheil. Denn durch dieselbe wird dem Großindustriellen nud dem Zwischenhändler die Concurrenz mit dem Hand¬ werker und dem auf seine nächste Umgebung angewiesenen kleinen Industriellen noch erleichtert. Einer der Gründe, warum unsre Nachbarstaaten trotz ihrer großen Schuldenlast unter den modernen Verhältnissen weniger schwer als wir leiden, ist unzweifelhaft der, daß sie in dieser Hinsicht rationeller verfahren. Sie lassen es sich wenigstens nicht noch Geld kosten, um dem Großen bei der Ver¬ nichtung des Kleinen zu helfen, sondern schützen letztern, freilich unbewußt und mehr aus fiscalischen als aus allgemeinen wirthschaftlichen und socialen Rück¬ sichten, durch Erhebung einer Reisesteuer, zum Theil auch einer Transportsteuer. Dafür ist aber auch Deutschland das gelobte Land der „Freihändler!" Wir meinen, die angeführten Beispiele könnten genügen, um zu zeige», was es mit der Phrase des sogenannten Freihandels, daß er keinerlei Bevor¬ zugung beanspruche, auf sich hat. Indeß giebt es Handelsprivilegieu, bei welchen die Schäden des heutigen Systems und der in demselben liegende innere Wider¬ spruch noch klarer zu Tage treten. „Alle indirecten Steuern, die einen nennens- werthen Ertrag liefern sollen, müssen den Consum der großen: Masse des Volkes, der Unbegüterten treffen" — das ist ein fast zum Dogma gewordener Satz, welcher der Freihcmdelsüra außerordentlich bequem war. Man wollte eben den Consum der Reichen nicht treffen, oder besser: man durfte ihn nicht treffen, weil derselbe diejenigen Artikel umfaßt, welche in verhältnißmäßig kleinem Volumen einen großen Werth repräsentiren und sich zu weiter Versendung, auch ins Ausland, am besten eignen. Eine Besteuerung derselben hätte ja den Handel betroffen, und der mußte ja steuerfrei bleiben! So oft daher zufällig einmal auch Luxusartikel von einer erträglichen Steuer betroffen wurden, mußte gerade für diese die Steuerfreiheit wieder hergestellt werden. Während der Arme sein Salz und seinen Branntwein versteuert, muß derjenige Theil, welcher zur Herstellung von Handelsartikeln gebraucht wird, mit Kostenaufwand denaturirt und steuerfrei gelassen werden. Diese verwickelte, zu Uuterschleifen verführende, Leben und Gesundheit schädigende Manipulation wird ausgeführt im Namen der Freiheit! In andern Fällen tritt das Streben, die Waare dem Auslande aufzudrängen, dieselben den fremden und fernen Consumenten billiger zu liefern als dem eignen Mitbürger in den Rückvergütungen hervor, welche für Artikel gewährt werden, die im Inlande einer Steuer unterliegen. Da nun diese Ver¬ gütung oft mehr beträgt als der Transport ins Ausland, so kann bei offenen Grenzen der fremde Producent fast jeden Artikel billiger liefern als der ein¬ heimische, mit einer Steuer belastete Erzeuger. Und so ist man denn durch die Handelsprivilegien zu dem auffallenden Zustande gekommen, daß jedes Volk, welches sich eine eigne Industrie schaffen oder erhalten will, sich gegen die im Auslande steuerfrei gebliebenen Artikel abschließen muß, daß ein höchst kiinst-

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341833_157970
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341833_157970/551
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 40, 1881, Viertes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341833_157970/551>, abgerufen am 15.01.2025.