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Die Grenzboten. Jg. 40, 1881, Viertes Quartal.

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Die akademische Uunstausstellung in Berlin.

sein können. Um wie viel lebendiger ist dagegen des Belgiers Wilhelm de Groot
Statue der "Arbeit" für die innere Halle des Bahnhofs zu Tournai. Es ist
keine trockene Allegorie, sondern die sitzende Gestalt eines muskelstarken Arbeiters
mit Schurzfell und Spitzhacke, der sich gerade erheben will, um ans Werk zu
gehen. Eine höchst wirkungsvolle Arbeit voll Schwung und Bewegung, die
selbst im diesjährigen "Salon," in welchem die Plastik doch so vorzüglich ver¬
treten war, die lebhafteste Bewunderung erregte.

Die Gruppe für ein Kriegerdenkmal des Kreises Mühlheim an der Ruhr
von Fr. Reusch erhebt sich nicht über die bereits gründlich abgenutzte Schab¬
lone: ein Krieger, der uuter dem Schutze einer Siegesgöttin mit Schild und
Lorbeerzweig zum Angriff schreitet. Sußmann-Hellborns Peter Bischer und
Hans Holbein für das Berliner Kunstgewerbemuseum sind tüchtige dceorative
Arbeiten. Von höchstem künstlerischen Verdienste sind zwei Reliefs von Rudolf
Siemering für das Gräfedcnkmal in Berlin. Kein zweiter Bildhauer Deutsche
lands weiß'den Reliefstil mit gleicher Meisterschaft zu behandeln. Der herrliche
Fries, mit welchem er 187l beim Einzuge der siegreichen Truppen das Posta¬
ment einer Germaniastatnc schmückte, ist leider nicht, wie es geplant war, an
irgend einem Denkmale zur Ausführung gelangt. Zehn Jahre sind darüber
hingegangen, ohne daß es ihm glückte, einen monumentalen Auftrag für Berlin
zu erhalten. Das Denkmal für den berühmten Augenarzt ist die erste Probe
seiner Kunst, die an einem öffentlichen Orte Berlins zur Aufstellung kommt.
In zwei meisterhaft componirter Flachreliefs, die sich mit den schönsten Arbeiten
Dvnatcllos messen können, führt er auf der einen Seite die Heilung Suchenden,
auf der andern Seite die Geheilten vor, Figuren von feinster Charakteristik:
hier der unsichere Gang der Blinden und Augenkranken und ihre Führer, zu
rührenden Gruppen vereinigt, dort die freudige Zuversicht der Genesenen und
Genesenden, welche sehnsüchtig dem Lichte entgegenharren.

Die Förderung, welche der monumentalen und idealen Plastik von seiten
der Staatsregierung zu Theil wird, ermuthigt die Künstler augenscheinlich zur
Lösung großer Aufgaben. So hat Johannes Pfuhl, der Schöpfer des Jahu-
uud des Steindenkmals in Berlin, sich zu einer colossalen Gruppe "Perseus befreit
Andromeda" verstiegen, die ihrer ganzen Anlage nach mehr malerisch als plastisch
wirkt, ohne daß es dem Künstler gelungen ist, die der malerischen Wirkung ent¬
gegenstehende Formcnsprödigkeit und -Härte der ältern Berliner Schule zu über¬
winden. In dem pyramidale" Aufbau und in der Bildung der Andromeda er¬
innert das Werk an Müllers Prvmetheusgruppe in der Berliner Nationalgallerie.
Originell ist nur der Gedanke, dem Meerungeheuer die Gestalt eines fischschwün-
zigen Tritonen zu geben, wodurch dasselbe wenigstens für die Plastik darstellbar
wird. Ihrer Darstellungskraft entzieht sich dagegen vollkommen das plötzliche
Erstarren des wilden Mannes vor dem Haupte der Medusa. Hier ist wieder
einmal die Grenze gezogen, an welcher das Gebiet der bildenden Kunst aufhört


Die akademische Uunstausstellung in Berlin.

sein können. Um wie viel lebendiger ist dagegen des Belgiers Wilhelm de Groot
Statue der „Arbeit" für die innere Halle des Bahnhofs zu Tournai. Es ist
keine trockene Allegorie, sondern die sitzende Gestalt eines muskelstarken Arbeiters
mit Schurzfell und Spitzhacke, der sich gerade erheben will, um ans Werk zu
gehen. Eine höchst wirkungsvolle Arbeit voll Schwung und Bewegung, die
selbst im diesjährigen „Salon," in welchem die Plastik doch so vorzüglich ver¬
treten war, die lebhafteste Bewunderung erregte.

Die Gruppe für ein Kriegerdenkmal des Kreises Mühlheim an der Ruhr
von Fr. Reusch erhebt sich nicht über die bereits gründlich abgenutzte Schab¬
lone: ein Krieger, der uuter dem Schutze einer Siegesgöttin mit Schild und
Lorbeerzweig zum Angriff schreitet. Sußmann-Hellborns Peter Bischer und
Hans Holbein für das Berliner Kunstgewerbemuseum sind tüchtige dceorative
Arbeiten. Von höchstem künstlerischen Verdienste sind zwei Reliefs von Rudolf
Siemering für das Gräfedcnkmal in Berlin. Kein zweiter Bildhauer Deutsche
lands weiß'den Reliefstil mit gleicher Meisterschaft zu behandeln. Der herrliche
Fries, mit welchem er 187l beim Einzuge der siegreichen Truppen das Posta¬
ment einer Germaniastatnc schmückte, ist leider nicht, wie es geplant war, an
irgend einem Denkmale zur Ausführung gelangt. Zehn Jahre sind darüber
hingegangen, ohne daß es ihm glückte, einen monumentalen Auftrag für Berlin
zu erhalten. Das Denkmal für den berühmten Augenarzt ist die erste Probe
seiner Kunst, die an einem öffentlichen Orte Berlins zur Aufstellung kommt.
In zwei meisterhaft componirter Flachreliefs, die sich mit den schönsten Arbeiten
Dvnatcllos messen können, führt er auf der einen Seite die Heilung Suchenden,
auf der andern Seite die Geheilten vor, Figuren von feinster Charakteristik:
hier der unsichere Gang der Blinden und Augenkranken und ihre Führer, zu
rührenden Gruppen vereinigt, dort die freudige Zuversicht der Genesenen und
Genesenden, welche sehnsüchtig dem Lichte entgegenharren.

Die Förderung, welche der monumentalen und idealen Plastik von seiten
der Staatsregierung zu Theil wird, ermuthigt die Künstler augenscheinlich zur
Lösung großer Aufgaben. So hat Johannes Pfuhl, der Schöpfer des Jahu-
uud des Steindenkmals in Berlin, sich zu einer colossalen Gruppe „Perseus befreit
Andromeda" verstiegen, die ihrer ganzen Anlage nach mehr malerisch als plastisch
wirkt, ohne daß es dem Künstler gelungen ist, die der malerischen Wirkung ent¬
gegenstehende Formcnsprödigkeit und -Härte der ältern Berliner Schule zu über¬
winden. In dem pyramidale» Aufbau und in der Bildung der Andromeda er¬
innert das Werk an Müllers Prvmetheusgruppe in der Berliner Nationalgallerie.
Originell ist nur der Gedanke, dem Meerungeheuer die Gestalt eines fischschwün-
zigen Tritonen zu geben, wodurch dasselbe wenigstens für die Plastik darstellbar
wird. Ihrer Darstellungskraft entzieht sich dagegen vollkommen das plötzliche
Erstarren des wilden Mannes vor dem Haupte der Medusa. Hier ist wieder
einmal die Grenze gezogen, an welcher das Gebiet der bildenden Kunst aufhört


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[0053] Die akademische Uunstausstellung in Berlin. sein können. Um wie viel lebendiger ist dagegen des Belgiers Wilhelm de Groot Statue der „Arbeit" für die innere Halle des Bahnhofs zu Tournai. Es ist keine trockene Allegorie, sondern die sitzende Gestalt eines muskelstarken Arbeiters mit Schurzfell und Spitzhacke, der sich gerade erheben will, um ans Werk zu gehen. Eine höchst wirkungsvolle Arbeit voll Schwung und Bewegung, die selbst im diesjährigen „Salon," in welchem die Plastik doch so vorzüglich ver¬ treten war, die lebhafteste Bewunderung erregte. Die Gruppe für ein Kriegerdenkmal des Kreises Mühlheim an der Ruhr von Fr. Reusch erhebt sich nicht über die bereits gründlich abgenutzte Schab¬ lone: ein Krieger, der uuter dem Schutze einer Siegesgöttin mit Schild und Lorbeerzweig zum Angriff schreitet. Sußmann-Hellborns Peter Bischer und Hans Holbein für das Berliner Kunstgewerbemuseum sind tüchtige dceorative Arbeiten. Von höchstem künstlerischen Verdienste sind zwei Reliefs von Rudolf Siemering für das Gräfedcnkmal in Berlin. Kein zweiter Bildhauer Deutsche lands weiß'den Reliefstil mit gleicher Meisterschaft zu behandeln. Der herrliche Fries, mit welchem er 187l beim Einzuge der siegreichen Truppen das Posta¬ ment einer Germaniastatnc schmückte, ist leider nicht, wie es geplant war, an irgend einem Denkmale zur Ausführung gelangt. Zehn Jahre sind darüber hingegangen, ohne daß es ihm glückte, einen monumentalen Auftrag für Berlin zu erhalten. Das Denkmal für den berühmten Augenarzt ist die erste Probe seiner Kunst, die an einem öffentlichen Orte Berlins zur Aufstellung kommt. In zwei meisterhaft componirter Flachreliefs, die sich mit den schönsten Arbeiten Dvnatcllos messen können, führt er auf der einen Seite die Heilung Suchenden, auf der andern Seite die Geheilten vor, Figuren von feinster Charakteristik: hier der unsichere Gang der Blinden und Augenkranken und ihre Führer, zu rührenden Gruppen vereinigt, dort die freudige Zuversicht der Genesenen und Genesenden, welche sehnsüchtig dem Lichte entgegenharren. Die Förderung, welche der monumentalen und idealen Plastik von seiten der Staatsregierung zu Theil wird, ermuthigt die Künstler augenscheinlich zur Lösung großer Aufgaben. So hat Johannes Pfuhl, der Schöpfer des Jahu- uud des Steindenkmals in Berlin, sich zu einer colossalen Gruppe „Perseus befreit Andromeda" verstiegen, die ihrer ganzen Anlage nach mehr malerisch als plastisch wirkt, ohne daß es dem Künstler gelungen ist, die der malerischen Wirkung ent¬ gegenstehende Formcnsprödigkeit und -Härte der ältern Berliner Schule zu über¬ winden. In dem pyramidale» Aufbau und in der Bildung der Andromeda er¬ innert das Werk an Müllers Prvmetheusgruppe in der Berliner Nationalgallerie. Originell ist nur der Gedanke, dem Meerungeheuer die Gestalt eines fischschwün- zigen Tritonen zu geben, wodurch dasselbe wenigstens für die Plastik darstellbar wird. Ihrer Darstellungskraft entzieht sich dagegen vollkommen das plötzliche Erstarren des wilden Mannes vor dem Haupte der Medusa. Hier ist wieder einmal die Grenze gezogen, an welcher das Gebiet der bildenden Kunst aufhört

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 40, 1881, Viertes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341833_157970/53>, abgerufen am 15.01.2025.