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Die Grenzboten. Jg. 40, 1881, Viertes Quartal.

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Die neuen Erwerbungen der Dresdener Galerie.

bare" Maske in einer auf keinen Fall entschnldbaren Weise aufs bitterste zu
verhöhnen und aufs gröbste zu beleidigen.

Ich führe alles dieses nur an, um zu zeige", in wie grausamer Art sich
die Kunstforscher unter einander zerfleischen, deren Autorität als Kunstkenner den
Ignoranten von Künstlern gegenüber ausgespielt wird. Für unsern Zweck wollen
wir aus dem Buche des Herrn Morelli nur zwei eclatante Beispiele citiren,
welche sich auf Werke der Dresdener Galerie beziehen.

An zweiter Stelle des Eisenenmannschen Verzeichnisses wird eine Madonna
von Alessandro Bonvicino, bekannter unter den Namen Morello, genannt, auf
welchen Crowe und Cavalcaselle "wesentliche Merkmale von Morellos eigener
Hand" erkannt haben. Morclli-Lermolieff nennt dieses Gemälde eine "erbärm¬
liche Copie aus dem vorigen Jahrhundert"! Ein Gemälde von Tizian,
welches von jeher als eine der Perlen der Dresdener Galerie galt, "Maria mit
dem Kinde und Johannes der Tünfer, denen sich die Heilige Magdalena, Hie-
ronymus und Paulus nahen," wird von Crowe und Cavaleaselle am Ende einer
sehr eingehenden und scharfsinnigen Untersuchung für eine Arbeit des Andrea
Schiavone aus der Zeit, da er in Tizians Atelier war, erklärt, während Ler-
molicff dieses "Wunder leuchtender Farbe," dieses "jugendfrische, glanzvolle"
Werk von Tizian zu derselben Zeit gemalt sein läßt, in welcher er seine berühmte
"Himmelfahrt der Jungfrau Maria" schuf!

Schroffere Widersprüche sind nicht denkbar! Was soll der arme Director
der Dresdener Galerie, ein einfacher Maler, machen, wenn er sieht, daß sich die
Heroen der Kunstgeschichte so in den Haaren liegen? Der eine nennt eine "er¬
bärmliche Copie," was der andre von Morellos eigner Hand gemalt sein läßt,
und dieser erklärt für ein "glanzvolles Werk" des Meisters, was jener als eine
Schülerarbeit charcikterisirt! Eben erst hatte sich Director Hübner, nachdem er
Jahre lang das Stichblatt des Hohns aller privilegirten Kunstforscher vom
Schlage des Herrn Eisenmann gewesen, dazu entschlossen, die Hauptergebnisse
der Forschungen Crowes und Cavalcaselles in seinem Katalog aufzunehmen, da
erscheint ein größerer auf der Bildflüche, welcher jenen beiden noch "über" ist
und welchem die jüngeren begeistert zujubeln, weil er noch gründlicher unter dem
Bilderbestand der deutsche" Galerien aufräumt, noch radicaler zu Werke geht.
So behält auch in diesen Kreisen der radicalcre Recht, ähnlich wie einst Robes-
pierre über Danton Recht behalten hat. Aber nicht lange.

Das Berliner Kupferstichcabinct hat vor kurzem in Madrid eine Zeichnung
erworben, die Heilige Familie mit dem kleinen Johannes und einem Engel vor¬
stellend, welche°stets als Raffael galt und demgemäß auch sehr hoch bezahlt wurde.
Wie hoch, weiß ich nicht, da die amtlichen Berichte der Berliner Museen nicht so
offenherzig sind wie die der Dresdener und darüber keine Auskunft geben. In
seinein oben citirten Buche unterfing sich Morelli, die Urheberschaft Raffaels zu
bestreiten und jene Zeichnung als eine Arbeit seines Lehrmeisters Perugino in


GreiizluM'" IV. 1881. "6
Die neuen Erwerbungen der Dresdener Galerie.

bare» Maske in einer auf keinen Fall entschnldbaren Weise aufs bitterste zu
verhöhnen und aufs gröbste zu beleidigen.

Ich führe alles dieses nur an, um zu zeige«, in wie grausamer Art sich
die Kunstforscher unter einander zerfleischen, deren Autorität als Kunstkenner den
Ignoranten von Künstlern gegenüber ausgespielt wird. Für unsern Zweck wollen
wir aus dem Buche des Herrn Morelli nur zwei eclatante Beispiele citiren,
welche sich auf Werke der Dresdener Galerie beziehen.

An zweiter Stelle des Eisenenmannschen Verzeichnisses wird eine Madonna
von Alessandro Bonvicino, bekannter unter den Namen Morello, genannt, auf
welchen Crowe und Cavalcaselle „wesentliche Merkmale von Morellos eigener
Hand" erkannt haben. Morclli-Lermolieff nennt dieses Gemälde eine „erbärm¬
liche Copie aus dem vorigen Jahrhundert"! Ein Gemälde von Tizian,
welches von jeher als eine der Perlen der Dresdener Galerie galt, „Maria mit
dem Kinde und Johannes der Tünfer, denen sich die Heilige Magdalena, Hie-
ronymus und Paulus nahen," wird von Crowe und Cavaleaselle am Ende einer
sehr eingehenden und scharfsinnigen Untersuchung für eine Arbeit des Andrea
Schiavone aus der Zeit, da er in Tizians Atelier war, erklärt, während Ler-
molicff dieses „Wunder leuchtender Farbe," dieses „jugendfrische, glanzvolle"
Werk von Tizian zu derselben Zeit gemalt sein läßt, in welcher er seine berühmte
„Himmelfahrt der Jungfrau Maria" schuf!

Schroffere Widersprüche sind nicht denkbar! Was soll der arme Director
der Dresdener Galerie, ein einfacher Maler, machen, wenn er sieht, daß sich die
Heroen der Kunstgeschichte so in den Haaren liegen? Der eine nennt eine „er¬
bärmliche Copie," was der andre von Morellos eigner Hand gemalt sein läßt,
und dieser erklärt für ein „glanzvolles Werk" des Meisters, was jener als eine
Schülerarbeit charcikterisirt! Eben erst hatte sich Director Hübner, nachdem er
Jahre lang das Stichblatt des Hohns aller privilegirten Kunstforscher vom
Schlage des Herrn Eisenmann gewesen, dazu entschlossen, die Hauptergebnisse
der Forschungen Crowes und Cavalcaselles in seinem Katalog aufzunehmen, da
erscheint ein größerer auf der Bildflüche, welcher jenen beiden noch „über" ist
und welchem die jüngeren begeistert zujubeln, weil er noch gründlicher unter dem
Bilderbestand der deutsche» Galerien aufräumt, noch radicaler zu Werke geht.
So behält auch in diesen Kreisen der radicalcre Recht, ähnlich wie einst Robes-
pierre über Danton Recht behalten hat. Aber nicht lange.

Das Berliner Kupferstichcabinct hat vor kurzem in Madrid eine Zeichnung
erworben, die Heilige Familie mit dem kleinen Johannes und einem Engel vor¬
stellend, welche°stets als Raffael galt und demgemäß auch sehr hoch bezahlt wurde.
Wie hoch, weiß ich nicht, da die amtlichen Berichte der Berliner Museen nicht so
offenherzig sind wie die der Dresdener und darüber keine Auskunft geben. In
seinein oben citirten Buche unterfing sich Morelli, die Urheberschaft Raffaels zu
bestreiten und jene Zeichnung als eine Arbeit seines Lehrmeisters Perugino in


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[0523] Die neuen Erwerbungen der Dresdener Galerie. bare» Maske in einer auf keinen Fall entschnldbaren Weise aufs bitterste zu verhöhnen und aufs gröbste zu beleidigen. Ich führe alles dieses nur an, um zu zeige«, in wie grausamer Art sich die Kunstforscher unter einander zerfleischen, deren Autorität als Kunstkenner den Ignoranten von Künstlern gegenüber ausgespielt wird. Für unsern Zweck wollen wir aus dem Buche des Herrn Morelli nur zwei eclatante Beispiele citiren, welche sich auf Werke der Dresdener Galerie beziehen. An zweiter Stelle des Eisenenmannschen Verzeichnisses wird eine Madonna von Alessandro Bonvicino, bekannter unter den Namen Morello, genannt, auf welchen Crowe und Cavalcaselle „wesentliche Merkmale von Morellos eigener Hand" erkannt haben. Morclli-Lermolieff nennt dieses Gemälde eine „erbärm¬ liche Copie aus dem vorigen Jahrhundert"! Ein Gemälde von Tizian, welches von jeher als eine der Perlen der Dresdener Galerie galt, „Maria mit dem Kinde und Johannes der Tünfer, denen sich die Heilige Magdalena, Hie- ronymus und Paulus nahen," wird von Crowe und Cavaleaselle am Ende einer sehr eingehenden und scharfsinnigen Untersuchung für eine Arbeit des Andrea Schiavone aus der Zeit, da er in Tizians Atelier war, erklärt, während Ler- molicff dieses „Wunder leuchtender Farbe," dieses „jugendfrische, glanzvolle" Werk von Tizian zu derselben Zeit gemalt sein läßt, in welcher er seine berühmte „Himmelfahrt der Jungfrau Maria" schuf! Schroffere Widersprüche sind nicht denkbar! Was soll der arme Director der Dresdener Galerie, ein einfacher Maler, machen, wenn er sieht, daß sich die Heroen der Kunstgeschichte so in den Haaren liegen? Der eine nennt eine „er¬ bärmliche Copie," was der andre von Morellos eigner Hand gemalt sein läßt, und dieser erklärt für ein „glanzvolles Werk" des Meisters, was jener als eine Schülerarbeit charcikterisirt! Eben erst hatte sich Director Hübner, nachdem er Jahre lang das Stichblatt des Hohns aller privilegirten Kunstforscher vom Schlage des Herrn Eisenmann gewesen, dazu entschlossen, die Hauptergebnisse der Forschungen Crowes und Cavalcaselles in seinem Katalog aufzunehmen, da erscheint ein größerer auf der Bildflüche, welcher jenen beiden noch „über" ist und welchem die jüngeren begeistert zujubeln, weil er noch gründlicher unter dem Bilderbestand der deutsche» Galerien aufräumt, noch radicaler zu Werke geht. So behält auch in diesen Kreisen der radicalcre Recht, ähnlich wie einst Robes- pierre über Danton Recht behalten hat. Aber nicht lange. Das Berliner Kupferstichcabinct hat vor kurzem in Madrid eine Zeichnung erworben, die Heilige Familie mit dem kleinen Johannes und einem Engel vor¬ stellend, welche°stets als Raffael galt und demgemäß auch sehr hoch bezahlt wurde. Wie hoch, weiß ich nicht, da die amtlichen Berichte der Berliner Museen nicht so offenherzig sind wie die der Dresdener und darüber keine Auskunft geben. In seinein oben citirten Buche unterfing sich Morelli, die Urheberschaft Raffaels zu bestreiten und jene Zeichnung als eine Arbeit seines Lehrmeisters Perugino in GreiizluM'» IV. 1881. «6

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 40, 1881, Viertes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341833_157970/523>, abgerufen am 16.01.2025.