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Die Grenzboten. Jg. 40, 1881, Viertes Quartal.

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Freiherr vom Stein und Herr Lügen Richter.

Besonders in dem letzten Jahrzehnt seines Lebens war Stein in der größten
Sorge über die Frage, wie der Bauern- und Arbeiterstand erhalten n"d gehoben
werden könnte; er fürchtete, daß "alle Bauern zu Tagelöhnern theoretisirt werden"
und "statt der Hörigkeit an die Gutsherren, eine viel schlimmere Hörigkeit an
die Juden und Wucherer eintreten" könnte. (V, 575 u. öfters.) Das Man-
chestcrthnm unserer Liberalen hat die Berechtigung dieser Befürchtungen für
Ostpreußen bewiesen. Und da hat man den Muth, sich vor dem Lande
ans Stein zu berufen! "Es folgt -- prophezeit er weiter -- eine Consolidation
in große Gütcrmassen; die Armuth zwingt zu verkaufen; der Reiche, der Wu¬
cherer, der Jude kauft zusammen und läßt durch Tagelöhner bauen. Dies ist
das wahre demokratische Prineip, das mit seiner großen Masse
eigenthumslvsen, vereinzelt stehenden Gesindels unsern büralistisch-
centralisirten Regierungen gefährlicher ist als alle Narrheiten der
Gymnasiasten, Studenten und Professoren. Die politischen Uebel, woran
Frankreich leidet, seine gänzliche Unfähigkeit, eine freie Verfassung zu besitze"
und zu erhalte", rühren her von der Befolgung solcher Principien". (V, 639.
VI, 945.) Und wie prophetisch ist die unheilvolle Entwicklung der Socialdemo-
kratie aus der Lehre des I^isser Küre von Stein vorhergesagt worden! "Ver¬
wandlung der Bauern in Tagelöhner, der Bürger in patentisirte Pfuscher, der
ganzen Nation in Gesindel; Herabsinken eines würdigen Bürger- und Bauern¬
standes zu einem mit Kummer und Nahrungssorgen kämpfenden Pöbel, den eine
dnrch Mangel aufs äußerste gereizte Habsucht zur Gleichgiltigkeit gegen das
Sittliche, zu Laster und Verbrechen verführt! Umformung des Ganzen in
ein Aggregat vvuGesiudel, Juden, neuen Reichen, phantastischen Gelehrten!"
(Steins Denkschriften 39, 224.)

Was sagt nun dein gegenüber der Kämpe der Fortschrittspartei, Herr Engen
Richter? Er dreht die Sache einfach um. Der damaligen Oppositionspartei
schiebt er die Ideen des Kanzlers Stein unter, bürdet diesem dagegen die Ideen
der Opposition, nämlich die der heutigen Mauchcsterpartei, auf und ruft triumvyi-
rend aus: "Ich und meine Freunde vertreten die Grundsätze Steins und Har-
denbergs! Allerdings hat es auch damals nicht an Opposition gefehlt. Lesen
wir die Proteste heute durch, so fehlt darin nicht eines der Stichwvrte, aus
denen sich die Reden des Herrn College" Stöcker zusammenzusetzen Pflegen (Heiter¬
keit). Da ist die Rede von der Theorie, welche alles auf die Erwerbung des
Geldes stellt, ans den bürgerlichen Egoismus und die Irreligiosität, ja, die
Redensart fehlt sogar nicht, daß, wenn diese Grundsätze zur Geltung kämen,
das alte ehrliche Preußen sich in einen neumodischen Judenstaat verwandeln
würde (Heiterkeit). König Friedrich Wilhelm III. schickte den Verfasser des
Actenstückes in wenig parlamentarischer Weise auf die Festung Spandau (Hei¬
terkeit). Wer aber heute uach jenen Stichworten Reden hält, erfreut sich darum
eines Haudschreibeus des Reichskanzlers als Dank für solche Bekämpfung der


Freiherr vom Stein und Herr Lügen Richter.

Besonders in dem letzten Jahrzehnt seines Lebens war Stein in der größten
Sorge über die Frage, wie der Bauern- und Arbeiterstand erhalten n»d gehoben
werden könnte; er fürchtete, daß „alle Bauern zu Tagelöhnern theoretisirt werden"
und „statt der Hörigkeit an die Gutsherren, eine viel schlimmere Hörigkeit an
die Juden und Wucherer eintreten" könnte. (V, 575 u. öfters.) Das Man-
chestcrthnm unserer Liberalen hat die Berechtigung dieser Befürchtungen für
Ostpreußen bewiesen. Und da hat man den Muth, sich vor dem Lande
ans Stein zu berufen! „Es folgt — prophezeit er weiter — eine Consolidation
in große Gütcrmassen; die Armuth zwingt zu verkaufen; der Reiche, der Wu¬
cherer, der Jude kauft zusammen und läßt durch Tagelöhner bauen. Dies ist
das wahre demokratische Prineip, das mit seiner großen Masse
eigenthumslvsen, vereinzelt stehenden Gesindels unsern büralistisch-
centralisirten Regierungen gefährlicher ist als alle Narrheiten der
Gymnasiasten, Studenten und Professoren. Die politischen Uebel, woran
Frankreich leidet, seine gänzliche Unfähigkeit, eine freie Verfassung zu besitze»
und zu erhalte», rühren her von der Befolgung solcher Principien". (V, 639.
VI, 945.) Und wie prophetisch ist die unheilvolle Entwicklung der Socialdemo-
kratie aus der Lehre des I^isser Küre von Stein vorhergesagt worden! „Ver¬
wandlung der Bauern in Tagelöhner, der Bürger in patentisirte Pfuscher, der
ganzen Nation in Gesindel; Herabsinken eines würdigen Bürger- und Bauern¬
standes zu einem mit Kummer und Nahrungssorgen kämpfenden Pöbel, den eine
dnrch Mangel aufs äußerste gereizte Habsucht zur Gleichgiltigkeit gegen das
Sittliche, zu Laster und Verbrechen verführt! Umformung des Ganzen in
ein Aggregat vvuGesiudel, Juden, neuen Reichen, phantastischen Gelehrten!"
(Steins Denkschriften 39, 224.)

Was sagt nun dein gegenüber der Kämpe der Fortschrittspartei, Herr Engen
Richter? Er dreht die Sache einfach um. Der damaligen Oppositionspartei
schiebt er die Ideen des Kanzlers Stein unter, bürdet diesem dagegen die Ideen
der Opposition, nämlich die der heutigen Mauchcsterpartei, auf und ruft triumvyi-
rend aus: „Ich und meine Freunde vertreten die Grundsätze Steins und Har-
denbergs! Allerdings hat es auch damals nicht an Opposition gefehlt. Lesen
wir die Proteste heute durch, so fehlt darin nicht eines der Stichwvrte, aus
denen sich die Reden des Herrn College» Stöcker zusammenzusetzen Pflegen (Heiter¬
keit). Da ist die Rede von der Theorie, welche alles auf die Erwerbung des
Geldes stellt, ans den bürgerlichen Egoismus und die Irreligiosität, ja, die
Redensart fehlt sogar nicht, daß, wenn diese Grundsätze zur Geltung kämen,
das alte ehrliche Preußen sich in einen neumodischen Judenstaat verwandeln
würde (Heiterkeit). König Friedrich Wilhelm III. schickte den Verfasser des
Actenstückes in wenig parlamentarischer Weise auf die Festung Spandau (Hei¬
terkeit). Wer aber heute uach jenen Stichworten Reden hält, erfreut sich darum
eines Haudschreibeus des Reichskanzlers als Dank für solche Bekämpfung der


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[0495] Freiherr vom Stein und Herr Lügen Richter. Besonders in dem letzten Jahrzehnt seines Lebens war Stein in der größten Sorge über die Frage, wie der Bauern- und Arbeiterstand erhalten n»d gehoben werden könnte; er fürchtete, daß „alle Bauern zu Tagelöhnern theoretisirt werden" und „statt der Hörigkeit an die Gutsherren, eine viel schlimmere Hörigkeit an die Juden und Wucherer eintreten" könnte. (V, 575 u. öfters.) Das Man- chestcrthnm unserer Liberalen hat die Berechtigung dieser Befürchtungen für Ostpreußen bewiesen. Und da hat man den Muth, sich vor dem Lande ans Stein zu berufen! „Es folgt — prophezeit er weiter — eine Consolidation in große Gütcrmassen; die Armuth zwingt zu verkaufen; der Reiche, der Wu¬ cherer, der Jude kauft zusammen und läßt durch Tagelöhner bauen. Dies ist das wahre demokratische Prineip, das mit seiner großen Masse eigenthumslvsen, vereinzelt stehenden Gesindels unsern büralistisch- centralisirten Regierungen gefährlicher ist als alle Narrheiten der Gymnasiasten, Studenten und Professoren. Die politischen Uebel, woran Frankreich leidet, seine gänzliche Unfähigkeit, eine freie Verfassung zu besitze» und zu erhalte», rühren her von der Befolgung solcher Principien". (V, 639. VI, 945.) Und wie prophetisch ist die unheilvolle Entwicklung der Socialdemo- kratie aus der Lehre des I^isser Küre von Stein vorhergesagt worden! „Ver¬ wandlung der Bauern in Tagelöhner, der Bürger in patentisirte Pfuscher, der ganzen Nation in Gesindel; Herabsinken eines würdigen Bürger- und Bauern¬ standes zu einem mit Kummer und Nahrungssorgen kämpfenden Pöbel, den eine dnrch Mangel aufs äußerste gereizte Habsucht zur Gleichgiltigkeit gegen das Sittliche, zu Laster und Verbrechen verführt! Umformung des Ganzen in ein Aggregat vvuGesiudel, Juden, neuen Reichen, phantastischen Gelehrten!" (Steins Denkschriften 39, 224.) Was sagt nun dein gegenüber der Kämpe der Fortschrittspartei, Herr Engen Richter? Er dreht die Sache einfach um. Der damaligen Oppositionspartei schiebt er die Ideen des Kanzlers Stein unter, bürdet diesem dagegen die Ideen der Opposition, nämlich die der heutigen Mauchcsterpartei, auf und ruft triumvyi- rend aus: „Ich und meine Freunde vertreten die Grundsätze Steins und Har- denbergs! Allerdings hat es auch damals nicht an Opposition gefehlt. Lesen wir die Proteste heute durch, so fehlt darin nicht eines der Stichwvrte, aus denen sich die Reden des Herrn College» Stöcker zusammenzusetzen Pflegen (Heiter¬ keit). Da ist die Rede von der Theorie, welche alles auf die Erwerbung des Geldes stellt, ans den bürgerlichen Egoismus und die Irreligiosität, ja, die Redensart fehlt sogar nicht, daß, wenn diese Grundsätze zur Geltung kämen, das alte ehrliche Preußen sich in einen neumodischen Judenstaat verwandeln würde (Heiterkeit). König Friedrich Wilhelm III. schickte den Verfasser des Actenstückes in wenig parlamentarischer Weise auf die Festung Spandau (Hei¬ terkeit). Wer aber heute uach jenen Stichworten Reden hält, erfreut sich darum eines Haudschreibeus des Reichskanzlers als Dank für solche Bekämpfung der

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 40, 1881, Viertes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341833_157970/495>, abgerufen am 15.01.2025.