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Die Grenzboten. Jg. 40, 1881, Viertes Quartal.

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Zwei Molivre-BzMraphien,

haben, heute den Marquis Posel trcigiren wollte, so würden auch wir uns des
Lächelns nicht erwehren können. Auch Moliöres äußere Erscheinung, wie sie
uns die Zeitgenossen überliefert haben, seine buschigen, beim Sprechen beweg¬
lichen Augenbrauen, sein etwas dickes Gesicht, seine hastige Sprechweise Prä-
destinirte ihn zum Komiker. In spätern Jahren vermied er es übrigens, als
tragischer Darsteller aufzutreten,

Moliöre gehört nicht zu den früh entwickelten Geistern, Wenn man von
seinen nicht zu datireuden und fast sämmtlich verlorenen Farcen absieht, so ent¬
stand seine erste größere Bühnendichtung, die aber noch weit entfernt von dem
Höhepunkte ist, der ^tonräi, als er bereits im Alter von 32--33 Jahren stand.
In den spätern Lebensjahren entfaltete er dann allerdings eine um so erstaun¬
lichere Fruchtbarkeit, anch an Werken gediegneren Gehaltes, Schon aus diesem
äußern Grunde thut Mahrenholtz Unrecht, Mvlivres Entwicklungsgang mit dem
Goethes in Parallele zu stellen. Der Goethische Ausspruch, daß wir' das beste
von dem, was wir haben, den vorausgehenden Generationen verdanken, trifft
nicht bloß für Goethe und Moliöre, sondern für jeden Menschen zu. Für
Moliöre war die Sorge für das Repertoire seiner Bühne die nächste Veran¬
lassung, sich auch seinerseits in der damaligen Modekomödie nach italienischer
Manier zu versuchen. Ans dem praktischen Bedürfniß heraus hat sich so erst
spät Molisres dichterisches Schaffen entwickelt, er ist gewissermaßen in dieser
durch die Anforderungen des Lebens hervorgerufenen Productivität sich seiner
poetischen Gestaltungskraft erst allmählich bewußt geworden, und angesichts dessen
läßt sich die Frage wohl auswerfen, ob letztere bei einem anders gearteten Lebens¬
gange nicht auch hätte latent bleiben können. Ganz anders Goethe, der bei
seinem Schaffen aus dem Innern heraus von frühester Jugend an nie an die
Wirkung auf die außenstehenden dachte, der an einzelnen seiner Werke jahre¬
lang arbeitete, der bei seinem "Faust" -- trotz allem, was man dagegen vor¬
bringen mag -- wohl kaum an die Bühne gedacht hat. Und wenn man letztern
mit den raffinirten Mitteln der heutigen Jnseenirung, wie es neuerdings mit
dem zweiten Theile geschehen ist, zur Darstellung bringt, so kann die Dichtung
als solche, nach unsrer Empfindung, nur Einbuße erleiden. Moliöre dagegen
mußte als Theaterdichter immer die Wirkung auf sein Publicum im Auge be¬
halten. Er sagt selber, daß man seine Stücke nicht lesen, sondern auf der Bühne
dargestellt sehen müsse, um sie richtig zu beurtheilen. Trotzdem hat er Werke
unvergänglichen Ruhmes und von dauerndem Werthe hervorgebracht.

Wir sind bei Moliöre immer genöthigt zu unterscheiden zwischen den Werken,
die nur dem Nepertoirebedttrsniß ihr Entstehen verdanken, und den einer innern
Nothwendigkeit entsprungenen Emanationen seines Geistes. Erstere sinken, anch
nachdem er ans der schabloneumäßigen und possenhaften Komödie, der soge¬
nannten vamsclig, Mi' arts, der italienischen Stegreifkomödic mit ihren stehenden
Figuren, und ans der bloßen Situationskomik sich zu der Sitten- und Charakter-


Zwei Molivre-BzMraphien,

haben, heute den Marquis Posel trcigiren wollte, so würden auch wir uns des
Lächelns nicht erwehren können. Auch Moliöres äußere Erscheinung, wie sie
uns die Zeitgenossen überliefert haben, seine buschigen, beim Sprechen beweg¬
lichen Augenbrauen, sein etwas dickes Gesicht, seine hastige Sprechweise Prä-
destinirte ihn zum Komiker. In spätern Jahren vermied er es übrigens, als
tragischer Darsteller aufzutreten,

Moliöre gehört nicht zu den früh entwickelten Geistern, Wenn man von
seinen nicht zu datireuden und fast sämmtlich verlorenen Farcen absieht, so ent¬
stand seine erste größere Bühnendichtung, die aber noch weit entfernt von dem
Höhepunkte ist, der ^tonräi, als er bereits im Alter von 32—33 Jahren stand.
In den spätern Lebensjahren entfaltete er dann allerdings eine um so erstaun¬
lichere Fruchtbarkeit, anch an Werken gediegneren Gehaltes, Schon aus diesem
äußern Grunde thut Mahrenholtz Unrecht, Mvlivres Entwicklungsgang mit dem
Goethes in Parallele zu stellen. Der Goethische Ausspruch, daß wir' das beste
von dem, was wir haben, den vorausgehenden Generationen verdanken, trifft
nicht bloß für Goethe und Moliöre, sondern für jeden Menschen zu. Für
Moliöre war die Sorge für das Repertoire seiner Bühne die nächste Veran¬
lassung, sich auch seinerseits in der damaligen Modekomödie nach italienischer
Manier zu versuchen. Ans dem praktischen Bedürfniß heraus hat sich so erst
spät Molisres dichterisches Schaffen entwickelt, er ist gewissermaßen in dieser
durch die Anforderungen des Lebens hervorgerufenen Productivität sich seiner
poetischen Gestaltungskraft erst allmählich bewußt geworden, und angesichts dessen
läßt sich die Frage wohl auswerfen, ob letztere bei einem anders gearteten Lebens¬
gange nicht auch hätte latent bleiben können. Ganz anders Goethe, der bei
seinem Schaffen aus dem Innern heraus von frühester Jugend an nie an die
Wirkung auf die außenstehenden dachte, der an einzelnen seiner Werke jahre¬
lang arbeitete, der bei seinem „Faust" — trotz allem, was man dagegen vor¬
bringen mag — wohl kaum an die Bühne gedacht hat. Und wenn man letztern
mit den raffinirten Mitteln der heutigen Jnseenirung, wie es neuerdings mit
dem zweiten Theile geschehen ist, zur Darstellung bringt, so kann die Dichtung
als solche, nach unsrer Empfindung, nur Einbuße erleiden. Moliöre dagegen
mußte als Theaterdichter immer die Wirkung auf sein Publicum im Auge be¬
halten. Er sagt selber, daß man seine Stücke nicht lesen, sondern auf der Bühne
dargestellt sehen müsse, um sie richtig zu beurtheilen. Trotzdem hat er Werke
unvergänglichen Ruhmes und von dauerndem Werthe hervorgebracht.

Wir sind bei Moliöre immer genöthigt zu unterscheiden zwischen den Werken,
die nur dem Nepertoirebedttrsniß ihr Entstehen verdanken, und den einer innern
Nothwendigkeit entsprungenen Emanationen seines Geistes. Erstere sinken, anch
nachdem er ans der schabloneumäßigen und possenhaften Komödie, der soge¬
nannten vamsclig, Mi' arts, der italienischen Stegreifkomödic mit ihren stehenden
Figuren, und ans der bloßen Situationskomik sich zu der Sitten- und Charakter-


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 40, 1881, Viertes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341833_157970/473>, abgerufen am 20.10.2024.