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Die Grenzboten. Jg. 40, 1881, Viertes Quartal.

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Friedrichs des Große" erster lvaffeugaug.

dem endlich vorrückenden französisch-bairischen Heere überhnnpt Widerstand ent-
gegensetzen wollte. Einer ernstlichen Belagerung schien Neisze nicht gewachsen.
Da bot nun der König selbst zunächst zu einer militärischen Convention die
Hand, die Neipperg den Abmarsch erleichterte, Reiße sollte ihm nach einer
pro kuriren geführten vierzehntägiger Belagerung übergeben werden; dafür ver¬
pflichtete er sich, nicht offensiv gegen Oesterreich vorzugehen, sondern mir zum
Schein und zur Täuschung seiner Verbündeten den Krieg weiterzuführen, wozu
dann auch die Vornahme von Winterquartieren in Oberschlesien gehören sollte.
Gewann der König hiermit militärisch durch Vertrag nicht gerade mehr, als
was ihm durch den Zwang der Lage binnen einigen Wochen doch zufallen mußte,
so ist es in der That nicht leicht, den Schlüssel zum Verständniß dieser Hand¬
lungsweise zu finden, die in den Augen seiner Verbündeten doch nicht anders
als vertragswidrig erscheinen konnte. Zum guten Theile mag ihn die im Ver¬
laufe dieses ersten Krieges wiederholt hervortretende Ungeduld -- er war erst
29 Jahre alt --, sich der Festung Reiße und damit der sichern Herrschaft über
Niederschlesien zu bemüchtigeu, angetrieben haben, aber Grünhageu betont doch
mit guten Gründen, daß es zugleich in seinen Intentionen lag, der militärischen
Convention auch eine politische Verständigung mit Oesterreich folgen zu lassen,
ehe er sich durch den Zutritt zu dem bairisch-sächsischen Theiluugsvertrage gegen
Oesterreichs Gegner die Hände band. Da ist es denn freilich sehr verwunder¬
lich, daß er die ganze Verhandlung vor seinem Minister Podewils, der sich doch
im Verlaufe des ganzen Krieges als ein tüchtiger Diplomat und ergebener
Diener seines Herrn bewiesen hat, geheim hielt und bei der Schlnßverhandlung
in Kleiuschuelleudvrf sich um die Fassung des von Lord Hhndford darüber auf¬
gesetzten Protveolls, des einzigen in der ganzen Angelegenheit abgefaßten offi-
ciellen Actenstücks, so wenig kümmerte. Formell verpflichtete dasselbe nur ihn
zu einer veränderten politischen Haltung, nicht aber in gleicher Weise die Oester¬
reichs; er hatte für sich nur de" recht bedenklichen Ausweg jener Erklärung,
daß er sich an nichts gebunden halten^ ja alle Verabredungen ableugnen werde,
wenn Oesterreich nicht binnen wenigen Wochen unter Abtretung von Schlesien
mit Reiße Frieden mache und bis dahin das tiefste Geheimniß bewahre. Auch
die Haltung Neippergs, die summarische und mangelhafte Art, wie er über seine
Zusammenkunft mit dem König und dessen dabei vorgetragene Absichten be¬
richtet, ist, wie Grünhagcn hervorhebt, überaus verwunderlich. Der Wiener Hof
kam dadurch in die Lage, begehrliche Gegeuforderuugeu aufzustellen, die Friedrich
gegen Neipperg schon bestimmt abgelehnt hatte, wie namentlich seine Stimme
für die Kniserwahl Franz Stephans, und so erfolgte denn auch keine Verstän¬
digung- Friedrich selbst gab den Gedanken an die Möglichkeit, auf diesem Wege
eine solche zu erzielen, innerlich schon auf, ehe er noch durch die Verletzung des
stipulirten Geheimnisses einen formellen Grund dazu erhielt. So trat er schließlich
doch am 4. November dein Partagetraetat bei, dessen Bestimmungen ihm um-


Friedrichs des Große» erster lvaffeugaug.

dem endlich vorrückenden französisch-bairischen Heere überhnnpt Widerstand ent-
gegensetzen wollte. Einer ernstlichen Belagerung schien Neisze nicht gewachsen.
Da bot nun der König selbst zunächst zu einer militärischen Convention die
Hand, die Neipperg den Abmarsch erleichterte, Reiße sollte ihm nach einer
pro kuriren geführten vierzehntägiger Belagerung übergeben werden; dafür ver¬
pflichtete er sich, nicht offensiv gegen Oesterreich vorzugehen, sondern mir zum
Schein und zur Täuschung seiner Verbündeten den Krieg weiterzuführen, wozu
dann auch die Vornahme von Winterquartieren in Oberschlesien gehören sollte.
Gewann der König hiermit militärisch durch Vertrag nicht gerade mehr, als
was ihm durch den Zwang der Lage binnen einigen Wochen doch zufallen mußte,
so ist es in der That nicht leicht, den Schlüssel zum Verständniß dieser Hand¬
lungsweise zu finden, die in den Augen seiner Verbündeten doch nicht anders
als vertragswidrig erscheinen konnte. Zum guten Theile mag ihn die im Ver¬
laufe dieses ersten Krieges wiederholt hervortretende Ungeduld — er war erst
29 Jahre alt —, sich der Festung Reiße und damit der sichern Herrschaft über
Niederschlesien zu bemüchtigeu, angetrieben haben, aber Grünhageu betont doch
mit guten Gründen, daß es zugleich in seinen Intentionen lag, der militärischen
Convention auch eine politische Verständigung mit Oesterreich folgen zu lassen,
ehe er sich durch den Zutritt zu dem bairisch-sächsischen Theiluugsvertrage gegen
Oesterreichs Gegner die Hände band. Da ist es denn freilich sehr verwunder¬
lich, daß er die ganze Verhandlung vor seinem Minister Podewils, der sich doch
im Verlaufe des ganzen Krieges als ein tüchtiger Diplomat und ergebener
Diener seines Herrn bewiesen hat, geheim hielt und bei der Schlnßverhandlung
in Kleiuschuelleudvrf sich um die Fassung des von Lord Hhndford darüber auf¬
gesetzten Protveolls, des einzigen in der ganzen Angelegenheit abgefaßten offi-
ciellen Actenstücks, so wenig kümmerte. Formell verpflichtete dasselbe nur ihn
zu einer veränderten politischen Haltung, nicht aber in gleicher Weise die Oester¬
reichs; er hatte für sich nur de» recht bedenklichen Ausweg jener Erklärung,
daß er sich an nichts gebunden halten^ ja alle Verabredungen ableugnen werde,
wenn Oesterreich nicht binnen wenigen Wochen unter Abtretung von Schlesien
mit Reiße Frieden mache und bis dahin das tiefste Geheimniß bewahre. Auch
die Haltung Neippergs, die summarische und mangelhafte Art, wie er über seine
Zusammenkunft mit dem König und dessen dabei vorgetragene Absichten be¬
richtet, ist, wie Grünhagcn hervorhebt, überaus verwunderlich. Der Wiener Hof
kam dadurch in die Lage, begehrliche Gegeuforderuugeu aufzustellen, die Friedrich
gegen Neipperg schon bestimmt abgelehnt hatte, wie namentlich seine Stimme
für die Kniserwahl Franz Stephans, und so erfolgte denn auch keine Verstän¬
digung- Friedrich selbst gab den Gedanken an die Möglichkeit, auf diesem Wege
eine solche zu erzielen, innerlich schon auf, ehe er noch durch die Verletzung des
stipulirten Geheimnisses einen formellen Grund dazu erhielt. So trat er schließlich
doch am 4. November dein Partagetraetat bei, dessen Bestimmungen ihm um-


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[0461] Friedrichs des Große» erster lvaffeugaug. dem endlich vorrückenden französisch-bairischen Heere überhnnpt Widerstand ent- gegensetzen wollte. Einer ernstlichen Belagerung schien Neisze nicht gewachsen. Da bot nun der König selbst zunächst zu einer militärischen Convention die Hand, die Neipperg den Abmarsch erleichterte, Reiße sollte ihm nach einer pro kuriren geführten vierzehntägiger Belagerung übergeben werden; dafür ver¬ pflichtete er sich, nicht offensiv gegen Oesterreich vorzugehen, sondern mir zum Schein und zur Täuschung seiner Verbündeten den Krieg weiterzuführen, wozu dann auch die Vornahme von Winterquartieren in Oberschlesien gehören sollte. Gewann der König hiermit militärisch durch Vertrag nicht gerade mehr, als was ihm durch den Zwang der Lage binnen einigen Wochen doch zufallen mußte, so ist es in der That nicht leicht, den Schlüssel zum Verständniß dieser Hand¬ lungsweise zu finden, die in den Augen seiner Verbündeten doch nicht anders als vertragswidrig erscheinen konnte. Zum guten Theile mag ihn die im Ver¬ laufe dieses ersten Krieges wiederholt hervortretende Ungeduld — er war erst 29 Jahre alt —, sich der Festung Reiße und damit der sichern Herrschaft über Niederschlesien zu bemüchtigeu, angetrieben haben, aber Grünhageu betont doch mit guten Gründen, daß es zugleich in seinen Intentionen lag, der militärischen Convention auch eine politische Verständigung mit Oesterreich folgen zu lassen, ehe er sich durch den Zutritt zu dem bairisch-sächsischen Theiluugsvertrage gegen Oesterreichs Gegner die Hände band. Da ist es denn freilich sehr verwunder¬ lich, daß er die ganze Verhandlung vor seinem Minister Podewils, der sich doch im Verlaufe des ganzen Krieges als ein tüchtiger Diplomat und ergebener Diener seines Herrn bewiesen hat, geheim hielt und bei der Schlnßverhandlung in Kleiuschuelleudvrf sich um die Fassung des von Lord Hhndford darüber auf¬ gesetzten Protveolls, des einzigen in der ganzen Angelegenheit abgefaßten offi- ciellen Actenstücks, so wenig kümmerte. Formell verpflichtete dasselbe nur ihn zu einer veränderten politischen Haltung, nicht aber in gleicher Weise die Oester¬ reichs; er hatte für sich nur de» recht bedenklichen Ausweg jener Erklärung, daß er sich an nichts gebunden halten^ ja alle Verabredungen ableugnen werde, wenn Oesterreich nicht binnen wenigen Wochen unter Abtretung von Schlesien mit Reiße Frieden mache und bis dahin das tiefste Geheimniß bewahre. Auch die Haltung Neippergs, die summarische und mangelhafte Art, wie er über seine Zusammenkunft mit dem König und dessen dabei vorgetragene Absichten be¬ richtet, ist, wie Grünhagcn hervorhebt, überaus verwunderlich. Der Wiener Hof kam dadurch in die Lage, begehrliche Gegeuforderuugeu aufzustellen, die Friedrich gegen Neipperg schon bestimmt abgelehnt hatte, wie namentlich seine Stimme für die Kniserwahl Franz Stephans, und so erfolgte denn auch keine Verstän¬ digung- Friedrich selbst gab den Gedanken an die Möglichkeit, auf diesem Wege eine solche zu erzielen, innerlich schon auf, ehe er noch durch die Verletzung des stipulirten Geheimnisses einen formellen Grund dazu erhielt. So trat er schließlich doch am 4. November dein Partagetraetat bei, dessen Bestimmungen ihm um-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 40, 1881, Viertes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341833_157970/461>, abgerufen am 19.10.2024.