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Die Grenzboten. Jg. 40, 1881, Viertes Quartal.

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Die Frauen der italienischen Renaissance.

J>l Rom, wo Vittoria seit 1536 weilte, suchten die vornehmsten Geister
ihre" Umgang. Am berühmtesten ist ihr Verhältniß zu Michelangelo, mit dessen
Namen der ihrige für immer verbunden ist. Daß das Gefühl, welches der
mehr als sechzigjährige Meister für sie hegte, nicht bloß ein freundschaftliches
blieb, sondern sich zu glühender Liebe steigerte, darüber läßt eine Anzahl der
Gedichte, die uns von ihm erhalten sind, keinen Zweifel. Ihm, dem Titanen,
der sich mit seinem kühnen Streben in der Welt verwaist fühlte, trat hier zum
ersten und cinzigenmale ein weibliches Wesen entgegen, das ihn zu fassen ver¬
mochte, das seine in sich gekehrte verschlossene Natur zur Mittheilung ihrer selbst
zu bewegen verstand, ihn so zu behandeln wußte, daß er sich fügsam zeigte wie
ein Kind, und daß das Herbe und Rauhe zurückgedrängt ward, das sein Cha¬
rakter inmitten des feindlichen Lebens angenommen hatte.

Die Klugheit und Liebenswürdigkeit, durch welche die Freundin den großen
Künstler mehr als irgend jemand beherrschte, zeigt recht anschaulich der Bericht,
den der portugiesische Maler Francisco d'Ollcmda von zwei Zusammenkünften
giebt, die unter seinem Beisein zwischen Vittoria, Michelangelo und einigen an¬
dern Persönlichkeiten in der Kirche San Silvestro auf Monte Cavallo statt¬
fanden.*) Wohl wissend, welche Abneigung der Meister dagegen hatte, sich über
Dinge zu äußern, die seine Kunst betrafen, bedient sich die Marchesa der ge¬
schicktesten Umwege und Wendungen, um das Gespräch dennoch auf Gegenstände
der Kunst hinzulenken, und schließlich giebt Michelangelo ein ausführliches Ur¬
theil über die niederländische Malerei ab, das sie von ihm erbeten. Interessant
ist es, bei dieser Gelegenheit den Standpunkt kennen zu lernen, von welchem
Vittoria selbst die Werke der bildenden Kunst betrachtete; auch hier ist vor allem
ihre religiöse Richtung bestimmend, wie eine längere Auseinandersetzung ergiebt,
aus welcher folgende Stellen angeführt sein mögen:

"Welcher tugendhafte und weise Mensch wird nicht alle seine Andacht ver¬
einigen in der geistigen und frommen Betrachtung der heiligen Malerei? . . .
Sie erzeugt Frohsinn bei dem Melancholischen, die Kenntniß des menschlichen
Elends beim Verschwender und Überspannten; sie erweckt Zerknirschung bei dem
.Halsstarrigen, führt den Weltmenschen zur Buße, den beschaulich angelegten zum
Nachdenken, zur Furcht und Neue. Sie vergegenwärtigt uns die Qualen und



*) In Uebersetzung mitgetheilt von Raczynski. I^es fre8 ol> ?->rwMl, S. 8 Sö.
Die Frauen der italienischen Renaissance.

J>l Rom, wo Vittoria seit 1536 weilte, suchten die vornehmsten Geister
ihre» Umgang. Am berühmtesten ist ihr Verhältniß zu Michelangelo, mit dessen
Namen der ihrige für immer verbunden ist. Daß das Gefühl, welches der
mehr als sechzigjährige Meister für sie hegte, nicht bloß ein freundschaftliches
blieb, sondern sich zu glühender Liebe steigerte, darüber läßt eine Anzahl der
Gedichte, die uns von ihm erhalten sind, keinen Zweifel. Ihm, dem Titanen,
der sich mit seinem kühnen Streben in der Welt verwaist fühlte, trat hier zum
ersten und cinzigenmale ein weibliches Wesen entgegen, das ihn zu fassen ver¬
mochte, das seine in sich gekehrte verschlossene Natur zur Mittheilung ihrer selbst
zu bewegen verstand, ihn so zu behandeln wußte, daß er sich fügsam zeigte wie
ein Kind, und daß das Herbe und Rauhe zurückgedrängt ward, das sein Cha¬
rakter inmitten des feindlichen Lebens angenommen hatte.

Die Klugheit und Liebenswürdigkeit, durch welche die Freundin den großen
Künstler mehr als irgend jemand beherrschte, zeigt recht anschaulich der Bericht,
den der portugiesische Maler Francisco d'Ollcmda von zwei Zusammenkünften
giebt, die unter seinem Beisein zwischen Vittoria, Michelangelo und einigen an¬
dern Persönlichkeiten in der Kirche San Silvestro auf Monte Cavallo statt¬
fanden.*) Wohl wissend, welche Abneigung der Meister dagegen hatte, sich über
Dinge zu äußern, die seine Kunst betrafen, bedient sich die Marchesa der ge¬
schicktesten Umwege und Wendungen, um das Gespräch dennoch auf Gegenstände
der Kunst hinzulenken, und schließlich giebt Michelangelo ein ausführliches Ur¬
theil über die niederländische Malerei ab, das sie von ihm erbeten. Interessant
ist es, bei dieser Gelegenheit den Standpunkt kennen zu lernen, von welchem
Vittoria selbst die Werke der bildenden Kunst betrachtete; auch hier ist vor allem
ihre religiöse Richtung bestimmend, wie eine längere Auseinandersetzung ergiebt,
aus welcher folgende Stellen angeführt sein mögen:

„Welcher tugendhafte und weise Mensch wird nicht alle seine Andacht ver¬
einigen in der geistigen und frommen Betrachtung der heiligen Malerei? . . .
Sie erzeugt Frohsinn bei dem Melancholischen, die Kenntniß des menschlichen
Elends beim Verschwender und Überspannten; sie erweckt Zerknirschung bei dem
.Halsstarrigen, führt den Weltmenschen zur Buße, den beschaulich angelegten zum
Nachdenken, zur Furcht und Neue. Sie vergegenwärtigt uns die Qualen und



*) In Uebersetzung mitgetheilt von Raczynski. I^es fre8 ol> ?->rwMl, S. 8 Sö.
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[0415] Die Frauen der italienischen Renaissance. J>l Rom, wo Vittoria seit 1536 weilte, suchten die vornehmsten Geister ihre» Umgang. Am berühmtesten ist ihr Verhältniß zu Michelangelo, mit dessen Namen der ihrige für immer verbunden ist. Daß das Gefühl, welches der mehr als sechzigjährige Meister für sie hegte, nicht bloß ein freundschaftliches blieb, sondern sich zu glühender Liebe steigerte, darüber läßt eine Anzahl der Gedichte, die uns von ihm erhalten sind, keinen Zweifel. Ihm, dem Titanen, der sich mit seinem kühnen Streben in der Welt verwaist fühlte, trat hier zum ersten und cinzigenmale ein weibliches Wesen entgegen, das ihn zu fassen ver¬ mochte, das seine in sich gekehrte verschlossene Natur zur Mittheilung ihrer selbst zu bewegen verstand, ihn so zu behandeln wußte, daß er sich fügsam zeigte wie ein Kind, und daß das Herbe und Rauhe zurückgedrängt ward, das sein Cha¬ rakter inmitten des feindlichen Lebens angenommen hatte. Die Klugheit und Liebenswürdigkeit, durch welche die Freundin den großen Künstler mehr als irgend jemand beherrschte, zeigt recht anschaulich der Bericht, den der portugiesische Maler Francisco d'Ollcmda von zwei Zusammenkünften giebt, die unter seinem Beisein zwischen Vittoria, Michelangelo und einigen an¬ dern Persönlichkeiten in der Kirche San Silvestro auf Monte Cavallo statt¬ fanden.*) Wohl wissend, welche Abneigung der Meister dagegen hatte, sich über Dinge zu äußern, die seine Kunst betrafen, bedient sich die Marchesa der ge¬ schicktesten Umwege und Wendungen, um das Gespräch dennoch auf Gegenstände der Kunst hinzulenken, und schließlich giebt Michelangelo ein ausführliches Ur¬ theil über die niederländische Malerei ab, das sie von ihm erbeten. Interessant ist es, bei dieser Gelegenheit den Standpunkt kennen zu lernen, von welchem Vittoria selbst die Werke der bildenden Kunst betrachtete; auch hier ist vor allem ihre religiöse Richtung bestimmend, wie eine längere Auseinandersetzung ergiebt, aus welcher folgende Stellen angeführt sein mögen: „Welcher tugendhafte und weise Mensch wird nicht alle seine Andacht ver¬ einigen in der geistigen und frommen Betrachtung der heiligen Malerei? . . . Sie erzeugt Frohsinn bei dem Melancholischen, die Kenntniß des menschlichen Elends beim Verschwender und Überspannten; sie erweckt Zerknirschung bei dem .Halsstarrigen, führt den Weltmenschen zur Buße, den beschaulich angelegten zum Nachdenken, zur Furcht und Neue. Sie vergegenwärtigt uns die Qualen und *) In Uebersetzung mitgetheilt von Raczynski. I^es fre8 ol> ?->rwMl, S. 8 Sö.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 40, 1881, Viertes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341833_157970/415>, abgerufen am 15.01.2025.