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Die Grenzboten. Jg. 40, 1881, Viertes Quartal.

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Die Schcicksche Gemäldesammlung in München.

selten sicher überlegen ist. Schon nach dem ersten orientirenden Umgange ge¬
winnt man den Eindruck, daß auch über die Zusammenstellung der Gemälde
ein vornehmer, über dem Tagcsgeschmack der Menge erhabener Geist gewaltet
hat. Genelli, Feuerbach, Schwind, Böcklin geben der Abtheilung neuerer Bilder
ihre Signatur, lauter Maler also, welche niemals in Gunst bei dem großen
Publicum standen, weil sie es verschmähten, "lose, faßliche Geberden" zu machen.
Unter den Copien classischer Meister, welche den zweiten, nicht minder werth¬
vollen Bestandtheil der Schnckschen Galerie ausmachen, sind Giovanni Bellini,
Tizian, Palma, Giorgione, Paul Veronese, Tintoretto, Michelangelo, Raffael,
Murillo, Velasquez, Rubens, van Dyck -- also die Großmeister aller Zeiten
bis auf die Holländer vertreten. Auf die letztern allein blickt der Graf mit
einer gewissen Geringschätzung herab, die sich sogar bis zu dem Urtheil versteigt,
Rembrandt sei nur ein Meister zweiten Ranges.

Was mich veranlaßt, auf diese einzige aller Privatgalerien das Interesse
der Leser zu lenken, ist ein kürzlich erschienenes Buch des Grafen, welches ge¬
wissermaßen die Biographie seiner Sammlung enthält.*) Das Buch hat einen
zwiespältigen Eindruck in mir hervorgerufen. Mit lebhafter Theilnahme bin ich
der liebevollen und doch so bescheidenen Schilderung des allmählichen Wachs¬
thums dieser Sammlung gefolgt, einer Erzählung, die ein doppeltes Interesse
dadurch gewinnt, daß persönliche Erinnerungen an die Künstler, welche zu der
Galerie beigetragen haben, hinein verwoben sind. Aber nicht minder lebhaft
war das Bedauern, zu sehen, daß der liebenswürdige Erzähler von der Krank¬
heit, welche unser ganzes öffentliches Leben, das politische zumal, vergiftet hat,
dem Pessimismus, ergriffen ist. Man traut seinen Augen kaum, wenn man am
Schlüsse des Buches die Summe eines thatenreichen Lebens i" folgenden schwarz¬
galligen Sätzen gezogen findet: "Bei der eisigen Kälte und tödtlichen Gleich-
giltigkeit, welche die ganze deutsche Nation von jeher meinem eignen geistigen
Schaffen gezeigt hat und noch jetzt zu zeigen fortfährt, wo mein Abend herein¬
bricht, liegt es wohl oft nahe, daß mich tiefe Niedergeschlagenheit befällt und
daß ich den Wunsch nicht zurückweisen kann, ich möchte lieber in England oder
Italien, in Frankreich oder Spanien geboren worden sein." Es ist betrübend,
solche Worte aus dem Munde eines Dichters zu hören, auf deu die edlern Geister
der Nation immer stolz sein werden. Sollte ein Schack nicht ohne Schmerz
auf die leicht zu erringende Gunst jener breiten Volksmassen, denen Rinaldo
Rinaldini stets lieber gewesen ist als die "Wahlverwandtschaften," verzichten
können? Wer dem Getriebe der Reclame, die im Handumdrehen für die leicht¬
gläubige Menge aus engbrüstigen Dichterlingen staunenswerthe Heroen macht,
näher steht, wer nur einmal in das von unsaubern Händen bewegte Räderwerk



*) Meine Gemäldesammlung. Von Adolf Friedrich Grafen von Schack. Stutt¬
gart, I. G. Cottaschc Buchhandlung, 1381.
Die Schcicksche Gemäldesammlung in München.

selten sicher überlegen ist. Schon nach dem ersten orientirenden Umgange ge¬
winnt man den Eindruck, daß auch über die Zusammenstellung der Gemälde
ein vornehmer, über dem Tagcsgeschmack der Menge erhabener Geist gewaltet
hat. Genelli, Feuerbach, Schwind, Böcklin geben der Abtheilung neuerer Bilder
ihre Signatur, lauter Maler also, welche niemals in Gunst bei dem großen
Publicum standen, weil sie es verschmähten, „lose, faßliche Geberden" zu machen.
Unter den Copien classischer Meister, welche den zweiten, nicht minder werth¬
vollen Bestandtheil der Schnckschen Galerie ausmachen, sind Giovanni Bellini,
Tizian, Palma, Giorgione, Paul Veronese, Tintoretto, Michelangelo, Raffael,
Murillo, Velasquez, Rubens, van Dyck — also die Großmeister aller Zeiten
bis auf die Holländer vertreten. Auf die letztern allein blickt der Graf mit
einer gewissen Geringschätzung herab, die sich sogar bis zu dem Urtheil versteigt,
Rembrandt sei nur ein Meister zweiten Ranges.

Was mich veranlaßt, auf diese einzige aller Privatgalerien das Interesse
der Leser zu lenken, ist ein kürzlich erschienenes Buch des Grafen, welches ge¬
wissermaßen die Biographie seiner Sammlung enthält.*) Das Buch hat einen
zwiespältigen Eindruck in mir hervorgerufen. Mit lebhafter Theilnahme bin ich
der liebevollen und doch so bescheidenen Schilderung des allmählichen Wachs¬
thums dieser Sammlung gefolgt, einer Erzählung, die ein doppeltes Interesse
dadurch gewinnt, daß persönliche Erinnerungen an die Künstler, welche zu der
Galerie beigetragen haben, hinein verwoben sind. Aber nicht minder lebhaft
war das Bedauern, zu sehen, daß der liebenswürdige Erzähler von der Krank¬
heit, welche unser ganzes öffentliches Leben, das politische zumal, vergiftet hat,
dem Pessimismus, ergriffen ist. Man traut seinen Augen kaum, wenn man am
Schlüsse des Buches die Summe eines thatenreichen Lebens i» folgenden schwarz¬
galligen Sätzen gezogen findet: „Bei der eisigen Kälte und tödtlichen Gleich-
giltigkeit, welche die ganze deutsche Nation von jeher meinem eignen geistigen
Schaffen gezeigt hat und noch jetzt zu zeigen fortfährt, wo mein Abend herein¬
bricht, liegt es wohl oft nahe, daß mich tiefe Niedergeschlagenheit befällt und
daß ich den Wunsch nicht zurückweisen kann, ich möchte lieber in England oder
Italien, in Frankreich oder Spanien geboren worden sein." Es ist betrübend,
solche Worte aus dem Munde eines Dichters zu hören, auf deu die edlern Geister
der Nation immer stolz sein werden. Sollte ein Schack nicht ohne Schmerz
auf die leicht zu erringende Gunst jener breiten Volksmassen, denen Rinaldo
Rinaldini stets lieber gewesen ist als die „Wahlverwandtschaften," verzichten
können? Wer dem Getriebe der Reclame, die im Handumdrehen für die leicht¬
gläubige Menge aus engbrüstigen Dichterlingen staunenswerthe Heroen macht,
näher steht, wer nur einmal in das von unsaubern Händen bewegte Räderwerk



*) Meine Gemäldesammlung. Von Adolf Friedrich Grafen von Schack. Stutt¬
gart, I. G. Cottaschc Buchhandlung, 1381.
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[0376] Die Schcicksche Gemäldesammlung in München. selten sicher überlegen ist. Schon nach dem ersten orientirenden Umgange ge¬ winnt man den Eindruck, daß auch über die Zusammenstellung der Gemälde ein vornehmer, über dem Tagcsgeschmack der Menge erhabener Geist gewaltet hat. Genelli, Feuerbach, Schwind, Böcklin geben der Abtheilung neuerer Bilder ihre Signatur, lauter Maler also, welche niemals in Gunst bei dem großen Publicum standen, weil sie es verschmähten, „lose, faßliche Geberden" zu machen. Unter den Copien classischer Meister, welche den zweiten, nicht minder werth¬ vollen Bestandtheil der Schnckschen Galerie ausmachen, sind Giovanni Bellini, Tizian, Palma, Giorgione, Paul Veronese, Tintoretto, Michelangelo, Raffael, Murillo, Velasquez, Rubens, van Dyck — also die Großmeister aller Zeiten bis auf die Holländer vertreten. Auf die letztern allein blickt der Graf mit einer gewissen Geringschätzung herab, die sich sogar bis zu dem Urtheil versteigt, Rembrandt sei nur ein Meister zweiten Ranges. Was mich veranlaßt, auf diese einzige aller Privatgalerien das Interesse der Leser zu lenken, ist ein kürzlich erschienenes Buch des Grafen, welches ge¬ wissermaßen die Biographie seiner Sammlung enthält.*) Das Buch hat einen zwiespältigen Eindruck in mir hervorgerufen. Mit lebhafter Theilnahme bin ich der liebevollen und doch so bescheidenen Schilderung des allmählichen Wachs¬ thums dieser Sammlung gefolgt, einer Erzählung, die ein doppeltes Interesse dadurch gewinnt, daß persönliche Erinnerungen an die Künstler, welche zu der Galerie beigetragen haben, hinein verwoben sind. Aber nicht minder lebhaft war das Bedauern, zu sehen, daß der liebenswürdige Erzähler von der Krank¬ heit, welche unser ganzes öffentliches Leben, das politische zumal, vergiftet hat, dem Pessimismus, ergriffen ist. Man traut seinen Augen kaum, wenn man am Schlüsse des Buches die Summe eines thatenreichen Lebens i» folgenden schwarz¬ galligen Sätzen gezogen findet: „Bei der eisigen Kälte und tödtlichen Gleich- giltigkeit, welche die ganze deutsche Nation von jeher meinem eignen geistigen Schaffen gezeigt hat und noch jetzt zu zeigen fortfährt, wo mein Abend herein¬ bricht, liegt es wohl oft nahe, daß mich tiefe Niedergeschlagenheit befällt und daß ich den Wunsch nicht zurückweisen kann, ich möchte lieber in England oder Italien, in Frankreich oder Spanien geboren worden sein." Es ist betrübend, solche Worte aus dem Munde eines Dichters zu hören, auf deu die edlern Geister der Nation immer stolz sein werden. Sollte ein Schack nicht ohne Schmerz auf die leicht zu erringende Gunst jener breiten Volksmassen, denen Rinaldo Rinaldini stets lieber gewesen ist als die „Wahlverwandtschaften," verzichten können? Wer dem Getriebe der Reclame, die im Handumdrehen für die leicht¬ gläubige Menge aus engbrüstigen Dichterlingen staunenswerthe Heroen macht, näher steht, wer nur einmal in das von unsaubern Händen bewegte Räderwerk *) Meine Gemäldesammlung. Von Adolf Friedrich Grafen von Schack. Stutt¬ gart, I. G. Cottaschc Buchhandlung, 1381.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 40, 1881, Viertes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341833_157970/376>, abgerufen am 15.01.2025.