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Die Grenzboten. Jg. 40, 1881, Viertes Quartal.

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Karl der Zweite, Herzog zu Braunschweig und Lüneburg.

sie waren zum großen Theile erkauft und verkündeten absichtlich die Unwahr¬
heit, Daher muß jeder, der diese Schriften als Geschichtsquellen benutzen will,
mit äußerster Vorsicht verfahren. Nur mit strenger Kritik darf er hoffen,
wahres aus ihnen zu schöpfen. Die volle Wahrheit aber kann er über jene Periode
mit alleiniger Hilfe dieser Schriften überhaupt wohl niemals ans Licht bringen.
Denn das bisher bekannte Material läßt mehrfach höchst fühlbare Lücken er¬
kennen. Es gilt daher vor allem, neue Quellen für die Geschichte dieser Zeit
zu eröffnen. Ob dergleichen aus den Staatsarchiven oder aus Privatbesitz noch
werde zu gewinnen sein, muß für jetzt dahin gestellt bleiben. Für einen Bio¬
graphen Herzog Karls wäre jedenfalls der Versuch, neues actenmäßiges Ma¬
terial herbeizuschaffen, das erste Erfordernis?, wenn er überhaupt seiner Dar¬
stellung eine sichere Grundlage verleihen will. Kann er dasselbe nicht erlangen,
so ist schlechterdings nicht abzusehen, wie er seiner Aufgabe gerecht werden will.
Daß er ferner auch mit der frühern braunschweigischen Geschichte, mit allen
Verhältnissen und Einrichtungen des Landes innig vertraut sein muß, versteht
sich von selbst. Solche Kenntniß ist gerade für die Beurtheilung dieser Regie¬
rungsperiode umsomehr erforderlich, da sich dieselbe ja zu allen Institutionen
des kleinen Staatswesens in so scharfen Gegensatz stellte.

Die Erwartung, ein derartiges gründliches Werk in dem Diamanten¬
herzoge von Karl Braun-Wiesbaden zu erhalten, war nach den Ankün¬
digungen, welche dem Werke vorausgingen, sehr hoch gespannt. Aber nicht leicht
ist eine Hoffnung gründlicher getäuscht worden als diese. Denn allen jenen An¬
forderungen entspricht bei unbefangener Prüfung dieses Buch nicht im geringsten.
Braun verräth grobe Unkenntniß in der frühern braunschweigischen Geschichte
und eine nur sehr oberflächliche Bekanntschaft mit den in Betracht kommenden
Verhältnissen des Herzogthums. Er hat die veröffentlichten Quellen ohne sorg¬
same Kritik und noch dazu sehr unvollständig benutzt. Die Beurtheilung mancher
Persönlichkeiten ist daher schief, zum Theil geradezu falsch. Neuen Stoff für
die Regierung und Vertreibung des Herzogs hat er nicht geliefert. Zwar bringt
er für die spätere Geschichte des Herzogs, den Proceß seiner natürlichen Tochter,
der Gräfin Civrh u. f. w., manches Material, das bisher wenigstens noch nicht
bequem zugänglich war. Aber wesentlich neues liefert er für denjenigen, welcher
mit einiger Aufmerksamkeit der Geschichte des Herzogs gefolgt ist, auch hier
nicht, wenn er sich auch durch die Zusammenstellung dieser verhältnißmäßig un¬
wichtigen Nachrichten einiges Verdienst erworben hat -- das einzige Verdienst,
das man dem Buche zuerkennen kann. Leider aber sind diese Dinge mit einer
Breite behandelt, welcher der historische Werth derselben keineswegs entspricht.

Herr Braun behauptet zwar S. 3 ausdrücklich: "Ich habe die frühere Geschichte
von Braunschweig studirt." Dennoch begeht er hier die unglaublichsten Irrthümer,
die er nach dem kleinsten Handbuche der braunschweigischen Geschichte hätte be¬
richtigen können. So sagt er S. 16, die mittlere braunschweigische Linie sei


Grenzboten IV. 1331. 4S
Karl der Zweite, Herzog zu Braunschweig und Lüneburg.

sie waren zum großen Theile erkauft und verkündeten absichtlich die Unwahr¬
heit, Daher muß jeder, der diese Schriften als Geschichtsquellen benutzen will,
mit äußerster Vorsicht verfahren. Nur mit strenger Kritik darf er hoffen,
wahres aus ihnen zu schöpfen. Die volle Wahrheit aber kann er über jene Periode
mit alleiniger Hilfe dieser Schriften überhaupt wohl niemals ans Licht bringen.
Denn das bisher bekannte Material läßt mehrfach höchst fühlbare Lücken er¬
kennen. Es gilt daher vor allem, neue Quellen für die Geschichte dieser Zeit
zu eröffnen. Ob dergleichen aus den Staatsarchiven oder aus Privatbesitz noch
werde zu gewinnen sein, muß für jetzt dahin gestellt bleiben. Für einen Bio¬
graphen Herzog Karls wäre jedenfalls der Versuch, neues actenmäßiges Ma¬
terial herbeizuschaffen, das erste Erfordernis?, wenn er überhaupt seiner Dar¬
stellung eine sichere Grundlage verleihen will. Kann er dasselbe nicht erlangen,
so ist schlechterdings nicht abzusehen, wie er seiner Aufgabe gerecht werden will.
Daß er ferner auch mit der frühern braunschweigischen Geschichte, mit allen
Verhältnissen und Einrichtungen des Landes innig vertraut sein muß, versteht
sich von selbst. Solche Kenntniß ist gerade für die Beurtheilung dieser Regie¬
rungsperiode umsomehr erforderlich, da sich dieselbe ja zu allen Institutionen
des kleinen Staatswesens in so scharfen Gegensatz stellte.

Die Erwartung, ein derartiges gründliches Werk in dem Diamanten¬
herzoge von Karl Braun-Wiesbaden zu erhalten, war nach den Ankün¬
digungen, welche dem Werke vorausgingen, sehr hoch gespannt. Aber nicht leicht
ist eine Hoffnung gründlicher getäuscht worden als diese. Denn allen jenen An¬
forderungen entspricht bei unbefangener Prüfung dieses Buch nicht im geringsten.
Braun verräth grobe Unkenntniß in der frühern braunschweigischen Geschichte
und eine nur sehr oberflächliche Bekanntschaft mit den in Betracht kommenden
Verhältnissen des Herzogthums. Er hat die veröffentlichten Quellen ohne sorg¬
same Kritik und noch dazu sehr unvollständig benutzt. Die Beurtheilung mancher
Persönlichkeiten ist daher schief, zum Theil geradezu falsch. Neuen Stoff für
die Regierung und Vertreibung des Herzogs hat er nicht geliefert. Zwar bringt
er für die spätere Geschichte des Herzogs, den Proceß seiner natürlichen Tochter,
der Gräfin Civrh u. f. w., manches Material, das bisher wenigstens noch nicht
bequem zugänglich war. Aber wesentlich neues liefert er für denjenigen, welcher
mit einiger Aufmerksamkeit der Geschichte des Herzogs gefolgt ist, auch hier
nicht, wenn er sich auch durch die Zusammenstellung dieser verhältnißmäßig un¬
wichtigen Nachrichten einiges Verdienst erworben hat — das einzige Verdienst,
das man dem Buche zuerkennen kann. Leider aber sind diese Dinge mit einer
Breite behandelt, welcher der historische Werth derselben keineswegs entspricht.

Herr Braun behauptet zwar S. 3 ausdrücklich: „Ich habe die frühere Geschichte
von Braunschweig studirt." Dennoch begeht er hier die unglaublichsten Irrthümer,
die er nach dem kleinsten Handbuche der braunschweigischen Geschichte hätte be¬
richtigen können. So sagt er S. 16, die mittlere braunschweigische Linie sei


Grenzboten IV. 1331. 4S
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[0355] Karl der Zweite, Herzog zu Braunschweig und Lüneburg. sie waren zum großen Theile erkauft und verkündeten absichtlich die Unwahr¬ heit, Daher muß jeder, der diese Schriften als Geschichtsquellen benutzen will, mit äußerster Vorsicht verfahren. Nur mit strenger Kritik darf er hoffen, wahres aus ihnen zu schöpfen. Die volle Wahrheit aber kann er über jene Periode mit alleiniger Hilfe dieser Schriften überhaupt wohl niemals ans Licht bringen. Denn das bisher bekannte Material läßt mehrfach höchst fühlbare Lücken er¬ kennen. Es gilt daher vor allem, neue Quellen für die Geschichte dieser Zeit zu eröffnen. Ob dergleichen aus den Staatsarchiven oder aus Privatbesitz noch werde zu gewinnen sein, muß für jetzt dahin gestellt bleiben. Für einen Bio¬ graphen Herzog Karls wäre jedenfalls der Versuch, neues actenmäßiges Ma¬ terial herbeizuschaffen, das erste Erfordernis?, wenn er überhaupt seiner Dar¬ stellung eine sichere Grundlage verleihen will. Kann er dasselbe nicht erlangen, so ist schlechterdings nicht abzusehen, wie er seiner Aufgabe gerecht werden will. Daß er ferner auch mit der frühern braunschweigischen Geschichte, mit allen Verhältnissen und Einrichtungen des Landes innig vertraut sein muß, versteht sich von selbst. Solche Kenntniß ist gerade für die Beurtheilung dieser Regie¬ rungsperiode umsomehr erforderlich, da sich dieselbe ja zu allen Institutionen des kleinen Staatswesens in so scharfen Gegensatz stellte. Die Erwartung, ein derartiges gründliches Werk in dem Diamanten¬ herzoge von Karl Braun-Wiesbaden zu erhalten, war nach den Ankün¬ digungen, welche dem Werke vorausgingen, sehr hoch gespannt. Aber nicht leicht ist eine Hoffnung gründlicher getäuscht worden als diese. Denn allen jenen An¬ forderungen entspricht bei unbefangener Prüfung dieses Buch nicht im geringsten. Braun verräth grobe Unkenntniß in der frühern braunschweigischen Geschichte und eine nur sehr oberflächliche Bekanntschaft mit den in Betracht kommenden Verhältnissen des Herzogthums. Er hat die veröffentlichten Quellen ohne sorg¬ same Kritik und noch dazu sehr unvollständig benutzt. Die Beurtheilung mancher Persönlichkeiten ist daher schief, zum Theil geradezu falsch. Neuen Stoff für die Regierung und Vertreibung des Herzogs hat er nicht geliefert. Zwar bringt er für die spätere Geschichte des Herzogs, den Proceß seiner natürlichen Tochter, der Gräfin Civrh u. f. w., manches Material, das bisher wenigstens noch nicht bequem zugänglich war. Aber wesentlich neues liefert er für denjenigen, welcher mit einiger Aufmerksamkeit der Geschichte des Herzogs gefolgt ist, auch hier nicht, wenn er sich auch durch die Zusammenstellung dieser verhältnißmäßig un¬ wichtigen Nachrichten einiges Verdienst erworben hat — das einzige Verdienst, das man dem Buche zuerkennen kann. Leider aber sind diese Dinge mit einer Breite behandelt, welcher der historische Werth derselben keineswegs entspricht. Herr Braun behauptet zwar S. 3 ausdrücklich: „Ich habe die frühere Geschichte von Braunschweig studirt." Dennoch begeht er hier die unglaublichsten Irrthümer, die er nach dem kleinsten Handbuche der braunschweigischen Geschichte hätte be¬ richtigen können. So sagt er S. 16, die mittlere braunschweigische Linie sei Grenzboten IV. 1331. 4S

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 40, 1881, Viertes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341833_157970/355>, abgerufen am 15.01.2025.