Die Grenzboten. Jg. 40, 1881, Viertes Quartal.Ans dem Tagebuche eines Reactioncirs. öffentlich aber springen sie alle ihm nach. Denn thäte einer das nicht, so könnten Männerstolz vor Königsthrone" -- o ja, das heißt: in gemessener Ent¬ Als Richard Wagners Schrift über das Judenthum in der Musik erschienen Die "Germania" sagt, und hundert Blätter wiederholen es schmunzelnd, "Norddeutschland ist freisinniger als Süddeutschland," schrieb ein Berliner Liberal oder Conscrvativ? Zum Teufel (hätte ich beinahe gesagt) mit den Grenzboten IV. 1881. 43
Ans dem Tagebuche eines Reactioncirs. öffentlich aber springen sie alle ihm nach. Denn thäte einer das nicht, so könnten Männerstolz vor Königsthrone» — o ja, das heißt: in gemessener Ent¬ Als Richard Wagners Schrift über das Judenthum in der Musik erschienen Die „Germania" sagt, und hundert Blätter wiederholen es schmunzelnd, „Norddeutschland ist freisinniger als Süddeutschland," schrieb ein Berliner Liberal oder Conscrvativ? Zum Teufel (hätte ich beinahe gesagt) mit den Grenzboten IV. 1881. 43
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Ans dem Tagebuche eines Reactioncirs.
öffentlich aber springen sie alle ihm nach. Denn thäte einer das nicht, so könnten
ihn die übrigen für nicht „entschieden freisinnig" halten. „Man muß den
Muth einer Meinung haben!" das sagen diejenigen am häufigsten, welche jenen
Muth niemals aufbringen.
Männerstolz vor Königsthrone» — o ja, das heißt: in gemessener Ent¬
fernung; aber Münnerstolz vor dem Janhagel?
Als Richard Wagners Schrift über das Judenthum in der Musik erschienen
war, äußerte ich, dieselbe enthalte viel Wahres und Treffendes. „Ein solches
Urtheil hätte ich von Ihnen nicht erwartet!" rief hierauf eine bei dem Thema
interessirte Dame. Und als ich fragte, ob sie das Heft gelesen habe, antwortete
sie wegwerfend: „Solches Zeug auch noch lesen!" Wie unzählige male habe
ich seitdem fast wörtlich dasselbe vernommen! „Dieser Treitschke! u. f. w." Oder
auch: „Ein solcher Gesetzvorschlag!" Kennen Sie denselben? „Natürlich, ich
habe einen Leitartikel darüber gelesen."
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Die „Germania" sagt, und hundert Blätter wiederholen es schmunzelnd,
die Konservativen würden in Berlin nicht so viele Stimmen erhalten haben,
wenn nicht liberale Antisemiten mit ihnen gegangen wären. Liberale Antisemiten!
Also giebt es solche? Bisher meinten wir doch, daß jeder Liberale, der das
Unglück hat, nicht von Jude» abzustammen, wenigstens trachten müsse, ihnen
ähnlich zu werden in Worten und in Werken. Sehr merkwürdig!
„Norddeutschland ist freisinniger als Süddeutschland," schrieb ein Berliner
Correspondent nach den Wahlen. Damit wollte er sagen, in Süddeutschland
sei man politisch verständiger, lasse man sich nicht so willig durch klingende
Tiraden bethören. In früheren Zeiten war das Verhältniß umgekehrt. Vielleicht
liegt der Umschwung daran, daß die Erfahrungen der Kleinstaatler sie besser
den Bestand des Reiches würdigen lassen, und daß im Norden so viele sich ein¬
bilden, sie hätten das Beste an dem Werke gethan, weil sie die Zuschauer machten
oder — dasselbe zu stören suchten.
Liberal oder Conscrvativ? Zum Teufel (hätte ich beinahe gesagt) mit den
hohlen Schlagwörtern und zum Kuckuk mit all den Fractivnsetiauetten. In
zwei große Heerlager sehe ich das deutsche Volk getheilt. Hier steht die deutsche,
die nationale Partei, mag die andre sich nennen, wie sie wolle, und mag die
große nationale Partei, wenn es nicht anders geht, sich wieder nach Nüancen
spalten, welche dein freien Auge kaum sichtbar sind, aber erst, wenn die große
Arbeit gethan, die Lebensfrage glücklich gelöst ist. Als Deutschland vom äußern
Feinde angegriffen wurde, schwiege» die kleinlichen Fractionszwistez nun ein
Grenzboten IV. 1881. 43
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