Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 40, 1881, Viertes Quartal.

Bild:
<< vorherige Seite
Zola und der Naturalismus auf dem Theater.

daß hierdurch die Vortrags- und Spielweise der französischen Darsteller und
Dichter in einen Conventionalismus und Schematismus gerathen sei, der das
malerische Element der schauspielerischen Action völlig ausschloß. Er forderte
die Wahrheit und das volle Leben der letztern auch um der malerischen Wirkung
willen. Den größten Widerstand fand er aber gerade bei denen, die ihm dafür
hätten danken sollen, bei den Schauspielern. Es war Mad. Riccoboni, die
sich ihm mit einer besondern Schrift entgegenstellte und auf die Einrichtung
der Bühne berief. "Wohl -- erwiederte Diderot --, wenn diese wirklich die Dar¬
stellung einer wahrhaft dramatischen Handlung unmöglich macht, so ändert diese
verkehrte Einrichtung der Bühne und das durch sie bedingte falsche System eures
Vortrags."

Das neue naturalistische Drama, das man auf diesen Schriftsteller zurück¬
führt, war aber schon vor ihm da. Er stellte das bürgerliche Rührstück nur
mit einer größern Entschiedenheit als neue Gattung der classischen Tragödie
gegenüber. Mercier führte dann noch ein volksthümliches Element in dasselbe ein.
Er bahnte hierdurch den Weg zu der Volkstragödie, die man im Melodrama
der in der Revolution und unter dem Consulate und Kaiserreich wieder auf¬
lebenden classischen Tragödie entgegenstellte. Das romantische Drama hat hier
seine Wurzel, aber hier nicht allein. Der Romanticismus entsprang derselben
Quelle, welcher die Sentimentalität schon entsprungen war, dem Subjectivismus
der Zeit. Im Drama trat noch der Einfluß Shakespeares und der von ihm
angeregten neuern deutschen und englischen Dichter hinzu. In der Epik und
Lyrik schlug er zunächst eine rückläufige Richtung, im Drama dagegen eine vor¬
wärtsdrängende, revolutionäre ein. Beide aber erklärten sich mit Entschieden¬
heit gegen den Geist des alten conventionellen classischen Dramas, gegen den
höfischen Akademismus.

Zola leitet den Romanticismus dagegen lediglich von der naturalistischen
Bewegung der Zeit ab. Er ist ihm nichts als eine Exaltation, welche die
Revolution in die von ihr erfaßten Gemüther geworfen habe. Diese Vorkämpfer
der ersten Stunde, die ihm nichts als überspannte Träumer sind, fanden nach
ihm rasch ihren Untergang, weil das Jahrhundert den Naturalisten, den echten
Söhnen Diderots, gehören sollte, deren solide Bataillone ihnen folgten. Diderot
stand allerdings an der Spitze der Bewegung, die Zola die naturalistische nennt,
die alles bekämpfte, was Convention und Vorurtheil war und was sie so nannte,
im Interesse einer Wahrheit, die eine ganz einseitige war, weil sie nichts als
die äußere Sinneswahrnehmung in Betracht zog und hierdurch zu der schlechthin
mechanischen Weltauffassung führte, welche in dem heutigen Materialismus in
ein System gebracht worden ist. Die dramatische Thätigkeit Diderots ist nur
ein wilder Schößling seines philosophischen Wirkens und das romantische Drama
Victor Hugos keineswegs unmittelbar der auf Wahrheit gerichteten Bewegung
der Zeit, sondern vielmehr der Materialistrung des Lebens erlegen, welches


Zola und der Naturalismus auf dem Theater.

daß hierdurch die Vortrags- und Spielweise der französischen Darsteller und
Dichter in einen Conventionalismus und Schematismus gerathen sei, der das
malerische Element der schauspielerischen Action völlig ausschloß. Er forderte
die Wahrheit und das volle Leben der letztern auch um der malerischen Wirkung
willen. Den größten Widerstand fand er aber gerade bei denen, die ihm dafür
hätten danken sollen, bei den Schauspielern. Es war Mad. Riccoboni, die
sich ihm mit einer besondern Schrift entgegenstellte und auf die Einrichtung
der Bühne berief. „Wohl — erwiederte Diderot —, wenn diese wirklich die Dar¬
stellung einer wahrhaft dramatischen Handlung unmöglich macht, so ändert diese
verkehrte Einrichtung der Bühne und das durch sie bedingte falsche System eures
Vortrags."

Das neue naturalistische Drama, das man auf diesen Schriftsteller zurück¬
führt, war aber schon vor ihm da. Er stellte das bürgerliche Rührstück nur
mit einer größern Entschiedenheit als neue Gattung der classischen Tragödie
gegenüber. Mercier führte dann noch ein volksthümliches Element in dasselbe ein.
Er bahnte hierdurch den Weg zu der Volkstragödie, die man im Melodrama
der in der Revolution und unter dem Consulate und Kaiserreich wieder auf¬
lebenden classischen Tragödie entgegenstellte. Das romantische Drama hat hier
seine Wurzel, aber hier nicht allein. Der Romanticismus entsprang derselben
Quelle, welcher die Sentimentalität schon entsprungen war, dem Subjectivismus
der Zeit. Im Drama trat noch der Einfluß Shakespeares und der von ihm
angeregten neuern deutschen und englischen Dichter hinzu. In der Epik und
Lyrik schlug er zunächst eine rückläufige Richtung, im Drama dagegen eine vor¬
wärtsdrängende, revolutionäre ein. Beide aber erklärten sich mit Entschieden¬
heit gegen den Geist des alten conventionellen classischen Dramas, gegen den
höfischen Akademismus.

Zola leitet den Romanticismus dagegen lediglich von der naturalistischen
Bewegung der Zeit ab. Er ist ihm nichts als eine Exaltation, welche die
Revolution in die von ihr erfaßten Gemüther geworfen habe. Diese Vorkämpfer
der ersten Stunde, die ihm nichts als überspannte Träumer sind, fanden nach
ihm rasch ihren Untergang, weil das Jahrhundert den Naturalisten, den echten
Söhnen Diderots, gehören sollte, deren solide Bataillone ihnen folgten. Diderot
stand allerdings an der Spitze der Bewegung, die Zola die naturalistische nennt,
die alles bekämpfte, was Convention und Vorurtheil war und was sie so nannte,
im Interesse einer Wahrheit, die eine ganz einseitige war, weil sie nichts als
die äußere Sinneswahrnehmung in Betracht zog und hierdurch zu der schlechthin
mechanischen Weltauffassung führte, welche in dem heutigen Materialismus in
ein System gebracht worden ist. Die dramatische Thätigkeit Diderots ist nur
ein wilder Schößling seines philosophischen Wirkens und das romantische Drama
Victor Hugos keineswegs unmittelbar der auf Wahrheit gerichteten Bewegung
der Zeit, sondern vielmehr der Materialistrung des Lebens erlegen, welches


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0321" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/151043"/>
          <fw type="header" place="top"> Zola und der Naturalismus auf dem Theater.</fw><lb/>
          <p xml:id="ID_1068" prev="#ID_1067"> daß hierdurch die Vortrags- und Spielweise der französischen Darsteller und<lb/>
Dichter in einen Conventionalismus und Schematismus gerathen sei, der das<lb/>
malerische Element der schauspielerischen Action völlig ausschloß. Er forderte<lb/>
die Wahrheit und das volle Leben der letztern auch um der malerischen Wirkung<lb/>
willen. Den größten Widerstand fand er aber gerade bei denen, die ihm dafür<lb/>
hätten danken sollen, bei den Schauspielern. Es war Mad. Riccoboni, die<lb/>
sich ihm mit einer besondern Schrift entgegenstellte und auf die Einrichtung<lb/>
der Bühne berief. &#x201E;Wohl &#x2014; erwiederte Diderot &#x2014;, wenn diese wirklich die Dar¬<lb/>
stellung einer wahrhaft dramatischen Handlung unmöglich macht, so ändert diese<lb/>
verkehrte Einrichtung der Bühne und das durch sie bedingte falsche System eures<lb/>
Vortrags."</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1069"> Das neue naturalistische Drama, das man auf diesen Schriftsteller zurück¬<lb/>
führt, war aber schon vor ihm da. Er stellte das bürgerliche Rührstück nur<lb/>
mit einer größern Entschiedenheit als neue Gattung der classischen Tragödie<lb/>
gegenüber. Mercier führte dann noch ein volksthümliches Element in dasselbe ein.<lb/>
Er bahnte hierdurch den Weg zu der Volkstragödie, die man im Melodrama<lb/>
der in der Revolution und unter dem Consulate und Kaiserreich wieder auf¬<lb/>
lebenden classischen Tragödie entgegenstellte. Das romantische Drama hat hier<lb/>
seine Wurzel, aber hier nicht allein. Der Romanticismus entsprang derselben<lb/>
Quelle, welcher die Sentimentalität schon entsprungen war, dem Subjectivismus<lb/>
der Zeit. Im Drama trat noch der Einfluß Shakespeares und der von ihm<lb/>
angeregten neuern deutschen und englischen Dichter hinzu. In der Epik und<lb/>
Lyrik schlug er zunächst eine rückläufige Richtung, im Drama dagegen eine vor¬<lb/>
wärtsdrängende, revolutionäre ein. Beide aber erklärten sich mit Entschieden¬<lb/>
heit gegen den Geist des alten conventionellen classischen Dramas, gegen den<lb/>
höfischen Akademismus.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1070" next="#ID_1071"> Zola leitet den Romanticismus dagegen lediglich von der naturalistischen<lb/>
Bewegung der Zeit ab. Er ist ihm nichts als eine Exaltation, welche die<lb/>
Revolution in die von ihr erfaßten Gemüther geworfen habe. Diese Vorkämpfer<lb/>
der ersten Stunde, die ihm nichts als überspannte Träumer sind, fanden nach<lb/>
ihm rasch ihren Untergang, weil das Jahrhundert den Naturalisten, den echten<lb/>
Söhnen Diderots, gehören sollte, deren solide Bataillone ihnen folgten. Diderot<lb/>
stand allerdings an der Spitze der Bewegung, die Zola die naturalistische nennt,<lb/>
die alles bekämpfte, was Convention und Vorurtheil war und was sie so nannte,<lb/>
im Interesse einer Wahrheit, die eine ganz einseitige war, weil sie nichts als<lb/>
die äußere Sinneswahrnehmung in Betracht zog und hierdurch zu der schlechthin<lb/>
mechanischen Weltauffassung führte, welche in dem heutigen Materialismus in<lb/>
ein System gebracht worden ist. Die dramatische Thätigkeit Diderots ist nur<lb/>
ein wilder Schößling seines philosophischen Wirkens und das romantische Drama<lb/>
Victor Hugos keineswegs unmittelbar der auf Wahrheit gerichteten Bewegung<lb/>
der Zeit, sondern vielmehr der Materialistrung des Lebens erlegen, welches</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0321] Zola und der Naturalismus auf dem Theater. daß hierdurch die Vortrags- und Spielweise der französischen Darsteller und Dichter in einen Conventionalismus und Schematismus gerathen sei, der das malerische Element der schauspielerischen Action völlig ausschloß. Er forderte die Wahrheit und das volle Leben der letztern auch um der malerischen Wirkung willen. Den größten Widerstand fand er aber gerade bei denen, die ihm dafür hätten danken sollen, bei den Schauspielern. Es war Mad. Riccoboni, die sich ihm mit einer besondern Schrift entgegenstellte und auf die Einrichtung der Bühne berief. „Wohl — erwiederte Diderot —, wenn diese wirklich die Dar¬ stellung einer wahrhaft dramatischen Handlung unmöglich macht, so ändert diese verkehrte Einrichtung der Bühne und das durch sie bedingte falsche System eures Vortrags." Das neue naturalistische Drama, das man auf diesen Schriftsteller zurück¬ führt, war aber schon vor ihm da. Er stellte das bürgerliche Rührstück nur mit einer größern Entschiedenheit als neue Gattung der classischen Tragödie gegenüber. Mercier führte dann noch ein volksthümliches Element in dasselbe ein. Er bahnte hierdurch den Weg zu der Volkstragödie, die man im Melodrama der in der Revolution und unter dem Consulate und Kaiserreich wieder auf¬ lebenden classischen Tragödie entgegenstellte. Das romantische Drama hat hier seine Wurzel, aber hier nicht allein. Der Romanticismus entsprang derselben Quelle, welcher die Sentimentalität schon entsprungen war, dem Subjectivismus der Zeit. Im Drama trat noch der Einfluß Shakespeares und der von ihm angeregten neuern deutschen und englischen Dichter hinzu. In der Epik und Lyrik schlug er zunächst eine rückläufige Richtung, im Drama dagegen eine vor¬ wärtsdrängende, revolutionäre ein. Beide aber erklärten sich mit Entschieden¬ heit gegen den Geist des alten conventionellen classischen Dramas, gegen den höfischen Akademismus. Zola leitet den Romanticismus dagegen lediglich von der naturalistischen Bewegung der Zeit ab. Er ist ihm nichts als eine Exaltation, welche die Revolution in die von ihr erfaßten Gemüther geworfen habe. Diese Vorkämpfer der ersten Stunde, die ihm nichts als überspannte Träumer sind, fanden nach ihm rasch ihren Untergang, weil das Jahrhundert den Naturalisten, den echten Söhnen Diderots, gehören sollte, deren solide Bataillone ihnen folgten. Diderot stand allerdings an der Spitze der Bewegung, die Zola die naturalistische nennt, die alles bekämpfte, was Convention und Vorurtheil war und was sie so nannte, im Interesse einer Wahrheit, die eine ganz einseitige war, weil sie nichts als die äußere Sinneswahrnehmung in Betracht zog und hierdurch zu der schlechthin mechanischen Weltauffassung führte, welche in dem heutigen Materialismus in ein System gebracht worden ist. Die dramatische Thätigkeit Diderots ist nur ein wilder Schößling seines philosophischen Wirkens und das romantische Drama Victor Hugos keineswegs unmittelbar der auf Wahrheit gerichteten Bewegung der Zeit, sondern vielmehr der Materialistrung des Lebens erlegen, welches

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341833_157970
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341833_157970/321
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 40, 1881, Viertes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341833_157970/321>, abgerufen am 16.01.2025.