Die Grenzboten. Jg. 40, 1881, Viertes Quartal.Zola und der Naturalismus auf dem Theater. berechtigte Convention von der unberechtigten und mit ihr in Widerspruch Wie es nach Zola heute noch kein französisches Drama giebt, welches den Zola und der Naturalismus auf dem Theater. berechtigte Convention von der unberechtigten und mit ihr in Widerspruch Wie es nach Zola heute noch kein französisches Drama giebt, welches den <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0318" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/151040"/> <fw type="header" place="top"> Zola und der Naturalismus auf dem Theater.</fw><lb/> <p xml:id="ID_1061" prev="#ID_1060"> berechtigte Convention von der unberechtigten und mit ihr in Widerspruch<lb/> stehenden zu unterscheiden und festzustellen?</p><lb/> <p xml:id="ID_1062"> Wie es nach Zola heute noch kein französisches Drama giebt, welches den<lb/> Forderungen des Zeitgeistes, der naturalistische» Evolution, genügt, so giebt es<lb/> in diesem Sinne, nach ihm, auch keine Schauspielkunst: I^Sö p1g.ne.usf co<lb/> tZMtrs «out viäss. Die conventionelle Tradition der Bühne habe die schau¬<lb/> spielerische Wahrheit getödtet und die Schule des Conservatoire trage noch dazu<lb/> bei, diese Tradition zu verewigen. Es sind aber doch noch verschiedene andere<lb/> Ursachen, welche den französischen Schauspieler in die conventionelle Manier<lb/> gedrängt haben. Den Grund dazu hat die Entwicklung des französischen Dramas<lb/> selber gelegt, welches nicht von der Nachahmung der Natur, nicht von den volks-<lb/> thümlichen Antrieben des nationalen Geistes, sondern von der Nachahmung der<lb/> Vorbilder der Alten und von deren mißverstandenen Regeln seinen Ausgang<lb/> nahm. Dazu trat jene Methode des Geistes, welche Ccirtesins in Aufnahme<lb/> brachte, und welche ebenfalls (nur in ganz andrer Weise) darauf ausging, die<lb/> Wahrheit zu suchen und zu vollkommenem, reinem Ausdruck zu bringen. Sie<lb/> legte fast das alleinige Gewicht auf die klare Übersichtlichkeit und Propor¬<lb/> tionalität der äußern Anordnung, auf Glätte, Correctheit und Regelmäßigkeit.<lb/> Das französische Drama, aller Volksthümlichkeit bar, von den Händen der Ge¬<lb/> lehrten entwickelt, gerieth fast gleichzeitig in den Dienst des Hofes und unter<lb/> die Oberaufsicht der akademischen Schule. Der Gebrauch des gereimten Alexan¬<lb/> driners entsprach diesem ganzen Gange seiner Entwicklung, sie schlug das fran¬<lb/> zösische Drama in die conventionellen Fesseln, aus denen es sich trotz aller<lb/> Bemühungen dieses Jahrhunderts und trotz des völlig veränderten Geistes der<lb/> Zeit noch heute nicht ganz zu befreien vermochte. Das Lustspiel ist naturgemäß<lb/> davon freier als die Tragödie, und auch das neue Drama ist es dadurch ge¬<lb/> worden, daß es den Alexandriner mit der Prosa vertauschte. Der französische<lb/> Schauspieler ist hier ein völlig andrer als in der Tragödie. Er ist wie ver¬<lb/> wandelt, sobald er den Alexandriner im Munde fühlt, er fällt, wie Zola es<lb/> ausgedrückt hat, sofort aus der Natur in die Convention. Läßt sich an unsern<lb/> Schauspielern doch etwas ähnliches beobachten. So viel freier der Blankvers<lb/> auch ist, so sind doch auch sie wie vertauscht, sobald sie das Gebiet des Vers¬<lb/> dramas berühren. Ich bin manchmal erschrocken, wenn ich bei schon begonnener<lb/> Vorstellung in das Theater eintrat und, noch ehe ich etwas sah, die Declamation<lb/> und nicht einen einzigen natürlichen Ton hörte. Nicht daß ich den Vers ver¬<lb/> bannt wissen wollte oder unter der Natur der Rede des Schauspielers den Ton<lb/> und die Sprache der Gasse verstände. Auch Zola, welcher die Sprache meisterhaft<lb/> zu behandeln versteht, würde der letzte sein, der das wollte, obwohl sein Princip<lb/> der Naturwahrheit, welches alles Reale, schon weil es wirklich ist, für unmittelbar<lb/> künstlerisch brauchbar und jede Abweichung von der Natur und Wirklichkeit für<lb/> Lüge erklärt, das letztere, sobald er die Gasse schildert, eigentlich fordern müßte.</p><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0318]
Zola und der Naturalismus auf dem Theater.
berechtigte Convention von der unberechtigten und mit ihr in Widerspruch
stehenden zu unterscheiden und festzustellen?
Wie es nach Zola heute noch kein französisches Drama giebt, welches den
Forderungen des Zeitgeistes, der naturalistische» Evolution, genügt, so giebt es
in diesem Sinne, nach ihm, auch keine Schauspielkunst: I^Sö p1g.ne.usf co
tZMtrs «out viäss. Die conventionelle Tradition der Bühne habe die schau¬
spielerische Wahrheit getödtet und die Schule des Conservatoire trage noch dazu
bei, diese Tradition zu verewigen. Es sind aber doch noch verschiedene andere
Ursachen, welche den französischen Schauspieler in die conventionelle Manier
gedrängt haben. Den Grund dazu hat die Entwicklung des französischen Dramas
selber gelegt, welches nicht von der Nachahmung der Natur, nicht von den volks-
thümlichen Antrieben des nationalen Geistes, sondern von der Nachahmung der
Vorbilder der Alten und von deren mißverstandenen Regeln seinen Ausgang
nahm. Dazu trat jene Methode des Geistes, welche Ccirtesins in Aufnahme
brachte, und welche ebenfalls (nur in ganz andrer Weise) darauf ausging, die
Wahrheit zu suchen und zu vollkommenem, reinem Ausdruck zu bringen. Sie
legte fast das alleinige Gewicht auf die klare Übersichtlichkeit und Propor¬
tionalität der äußern Anordnung, auf Glätte, Correctheit und Regelmäßigkeit.
Das französische Drama, aller Volksthümlichkeit bar, von den Händen der Ge¬
lehrten entwickelt, gerieth fast gleichzeitig in den Dienst des Hofes und unter
die Oberaufsicht der akademischen Schule. Der Gebrauch des gereimten Alexan¬
driners entsprach diesem ganzen Gange seiner Entwicklung, sie schlug das fran¬
zösische Drama in die conventionellen Fesseln, aus denen es sich trotz aller
Bemühungen dieses Jahrhunderts und trotz des völlig veränderten Geistes der
Zeit noch heute nicht ganz zu befreien vermochte. Das Lustspiel ist naturgemäß
davon freier als die Tragödie, und auch das neue Drama ist es dadurch ge¬
worden, daß es den Alexandriner mit der Prosa vertauschte. Der französische
Schauspieler ist hier ein völlig andrer als in der Tragödie. Er ist wie ver¬
wandelt, sobald er den Alexandriner im Munde fühlt, er fällt, wie Zola es
ausgedrückt hat, sofort aus der Natur in die Convention. Läßt sich an unsern
Schauspielern doch etwas ähnliches beobachten. So viel freier der Blankvers
auch ist, so sind doch auch sie wie vertauscht, sobald sie das Gebiet des Vers¬
dramas berühren. Ich bin manchmal erschrocken, wenn ich bei schon begonnener
Vorstellung in das Theater eintrat und, noch ehe ich etwas sah, die Declamation
und nicht einen einzigen natürlichen Ton hörte. Nicht daß ich den Vers ver¬
bannt wissen wollte oder unter der Natur der Rede des Schauspielers den Ton
und die Sprache der Gasse verstände. Auch Zola, welcher die Sprache meisterhaft
zu behandeln versteht, würde der letzte sein, der das wollte, obwohl sein Princip
der Naturwahrheit, welches alles Reale, schon weil es wirklich ist, für unmittelbar
künstlerisch brauchbar und jede Abweichung von der Natur und Wirklichkeit für
Lüge erklärt, das letztere, sobald er die Gasse schildert, eigentlich fordern müßte.
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