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Die Grenzboten. Jg. 40, 1881, Viertes Quartal.

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Die Reichstagswahlen und der Reichskanzler.

solle an die Spitze der auswärtigen Angelegenheiten gestellt werden. Die "Post"
hat nicht zu viel behauptet, als sie dem Fürsten Bismarck nachrühmte, daß er
den Deutschen in dem letzten Jahrzehnte den Frieden bewahrt habe; sie hätte
hinzufügen können, daß der Reichskanzler sich das weitere Verdienst erworben
hat, während der kritischen Momente in und nach dem russisch-türkischen Kriege
Europa vor Conflicten zu sichern, und wir können serner darauf hinweisen, daß
das österreichisch-deutsche Bündniß, das ihm dabei ein Hauptmittel war, in seiner
Person eine Stütze hat, die keiner seiner Nachfolger zu bieten vermöchte. Von
dem Augenblicke an, wo er die Nothwendigkeit eines engen Anschlusses Oesterreich-
Ungarns und Deutschlands erkannte, hat er an der Verwirklichung dieses Ge¬
dankens gearbeitet und ihn mit der ganzen Zähigkeit seines Wesens festgehalten,
bis das Werk gelungen war. Er ist dem Bunde unverbrüchlich bis heute treu
geblieben. Auch ein Nachfolger Bismarcks würde sich von demselben nicht leicht
lossagen. Aber man begreift, daß es für die Oesterreicher und die Ungarn viel
mehr Werth haben muß, auf dem Posten des deutschen Reichskanzlers den Mann
zu wissen, der die Allianz erdacht und geschlossen hat, und der sie als sein
eigenstes Werk pflegt und vor Störung hütet. Der Beitritt Rußlands und
Italiens zu diesem Einvernehmen war das Ergebniß jener Defensiv- und Frie¬
denspolitik. Er beruhte wesentlich auf dem Vertrauen zu der Persönlichkeit,
die sie inaugurirt. Mit dem Rücktritt Bismarcks wäre, wie ein Diplomat sich
vor kurzem äußerte, der verbindende Stift aus dem Verhältniß der vier Mächte
entfernt.

Wie nach außen, so ist Fürst Bismarck aber auch nach innen vollkommen
unentbehrlich. Er ist der Quell aller positiven Ideen, die unser Staatsleben
bewegen, der intellectuelle Urheber aller neuen Gedanken, die in ihm der Ver¬
wirklichung harren. Niemand übersieht wie er die Lage. Er allein kann dem
Andringen der reichsfeindlichen und der antimonarchischen Parteien erfolgreich
die Spitze bieten, er allein mit einem nicht maßlosen Papste den Culturkampf
durch einen moäv.8 vivsnäi beendigen, bei dem der Staat nicht zu kurz kommt.
Verstehen die Parteien ihn heute nicht, schlimm für sie; über kurz oder lang
wird ihn das Volk verstehen und über sie richten. Seine Ideen werden trotz
der Wahlen fortleben und ihre Frucht tragen, wenn er sie nicht im Stiche läßt,
und das kann er bei aller momentanen Verstimmung nicht wollen. Die Krisis,
die der Artikel der "Post" signalisirte, hat nnr zeigen können, wie groß und
einzig er ist. Ihn sich jetzt aus der Regierung hinwegdenken und einigermaßen
gedeihliche Weiterentwicklung erwarten, heißt sich aus der Uhr die Feder,
aus dem Körper die Seele hinwegdenken und darauf noch ein Gehen, ein
Leben für möglich halten. Es giebt nirgends einen Ersatz für ihn, wenigstens
existirt gegenwärtig kein Staatsmann in deutschen Landen, der ihm auch nur
entfernt gewachsen wäre, weder in den Beamtenkreisen noch in den Parteien.
Auch der, welchen er als seinen Nachfolger genannt haben soll, würde, ob-


Die Reichstagswahlen und der Reichskanzler.

solle an die Spitze der auswärtigen Angelegenheiten gestellt werden. Die „Post"
hat nicht zu viel behauptet, als sie dem Fürsten Bismarck nachrühmte, daß er
den Deutschen in dem letzten Jahrzehnte den Frieden bewahrt habe; sie hätte
hinzufügen können, daß der Reichskanzler sich das weitere Verdienst erworben
hat, während der kritischen Momente in und nach dem russisch-türkischen Kriege
Europa vor Conflicten zu sichern, und wir können serner darauf hinweisen, daß
das österreichisch-deutsche Bündniß, das ihm dabei ein Hauptmittel war, in seiner
Person eine Stütze hat, die keiner seiner Nachfolger zu bieten vermöchte. Von
dem Augenblicke an, wo er die Nothwendigkeit eines engen Anschlusses Oesterreich-
Ungarns und Deutschlands erkannte, hat er an der Verwirklichung dieses Ge¬
dankens gearbeitet und ihn mit der ganzen Zähigkeit seines Wesens festgehalten,
bis das Werk gelungen war. Er ist dem Bunde unverbrüchlich bis heute treu
geblieben. Auch ein Nachfolger Bismarcks würde sich von demselben nicht leicht
lossagen. Aber man begreift, daß es für die Oesterreicher und die Ungarn viel
mehr Werth haben muß, auf dem Posten des deutschen Reichskanzlers den Mann
zu wissen, der die Allianz erdacht und geschlossen hat, und der sie als sein
eigenstes Werk pflegt und vor Störung hütet. Der Beitritt Rußlands und
Italiens zu diesem Einvernehmen war das Ergebniß jener Defensiv- und Frie¬
denspolitik. Er beruhte wesentlich auf dem Vertrauen zu der Persönlichkeit,
die sie inaugurirt. Mit dem Rücktritt Bismarcks wäre, wie ein Diplomat sich
vor kurzem äußerte, der verbindende Stift aus dem Verhältniß der vier Mächte
entfernt.

Wie nach außen, so ist Fürst Bismarck aber auch nach innen vollkommen
unentbehrlich. Er ist der Quell aller positiven Ideen, die unser Staatsleben
bewegen, der intellectuelle Urheber aller neuen Gedanken, die in ihm der Ver¬
wirklichung harren. Niemand übersieht wie er die Lage. Er allein kann dem
Andringen der reichsfeindlichen und der antimonarchischen Parteien erfolgreich
die Spitze bieten, er allein mit einem nicht maßlosen Papste den Culturkampf
durch einen moäv.8 vivsnäi beendigen, bei dem der Staat nicht zu kurz kommt.
Verstehen die Parteien ihn heute nicht, schlimm für sie; über kurz oder lang
wird ihn das Volk verstehen und über sie richten. Seine Ideen werden trotz
der Wahlen fortleben und ihre Frucht tragen, wenn er sie nicht im Stiche läßt,
und das kann er bei aller momentanen Verstimmung nicht wollen. Die Krisis,
die der Artikel der „Post" signalisirte, hat nnr zeigen können, wie groß und
einzig er ist. Ihn sich jetzt aus der Regierung hinwegdenken und einigermaßen
gedeihliche Weiterentwicklung erwarten, heißt sich aus der Uhr die Feder,
aus dem Körper die Seele hinwegdenken und darauf noch ein Gehen, ein
Leben für möglich halten. Es giebt nirgends einen Ersatz für ihn, wenigstens
existirt gegenwärtig kein Staatsmann in deutschen Landen, der ihm auch nur
entfernt gewachsen wäre, weder in den Beamtenkreisen noch in den Parteien.
Auch der, welchen er als seinen Nachfolger genannt haben soll, würde, ob-


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[0309] Die Reichstagswahlen und der Reichskanzler. solle an die Spitze der auswärtigen Angelegenheiten gestellt werden. Die „Post" hat nicht zu viel behauptet, als sie dem Fürsten Bismarck nachrühmte, daß er den Deutschen in dem letzten Jahrzehnte den Frieden bewahrt habe; sie hätte hinzufügen können, daß der Reichskanzler sich das weitere Verdienst erworben hat, während der kritischen Momente in und nach dem russisch-türkischen Kriege Europa vor Conflicten zu sichern, und wir können serner darauf hinweisen, daß das österreichisch-deutsche Bündniß, das ihm dabei ein Hauptmittel war, in seiner Person eine Stütze hat, die keiner seiner Nachfolger zu bieten vermöchte. Von dem Augenblicke an, wo er die Nothwendigkeit eines engen Anschlusses Oesterreich- Ungarns und Deutschlands erkannte, hat er an der Verwirklichung dieses Ge¬ dankens gearbeitet und ihn mit der ganzen Zähigkeit seines Wesens festgehalten, bis das Werk gelungen war. Er ist dem Bunde unverbrüchlich bis heute treu geblieben. Auch ein Nachfolger Bismarcks würde sich von demselben nicht leicht lossagen. Aber man begreift, daß es für die Oesterreicher und die Ungarn viel mehr Werth haben muß, auf dem Posten des deutschen Reichskanzlers den Mann zu wissen, der die Allianz erdacht und geschlossen hat, und der sie als sein eigenstes Werk pflegt und vor Störung hütet. Der Beitritt Rußlands und Italiens zu diesem Einvernehmen war das Ergebniß jener Defensiv- und Frie¬ denspolitik. Er beruhte wesentlich auf dem Vertrauen zu der Persönlichkeit, die sie inaugurirt. Mit dem Rücktritt Bismarcks wäre, wie ein Diplomat sich vor kurzem äußerte, der verbindende Stift aus dem Verhältniß der vier Mächte entfernt. Wie nach außen, so ist Fürst Bismarck aber auch nach innen vollkommen unentbehrlich. Er ist der Quell aller positiven Ideen, die unser Staatsleben bewegen, der intellectuelle Urheber aller neuen Gedanken, die in ihm der Ver¬ wirklichung harren. Niemand übersieht wie er die Lage. Er allein kann dem Andringen der reichsfeindlichen und der antimonarchischen Parteien erfolgreich die Spitze bieten, er allein mit einem nicht maßlosen Papste den Culturkampf durch einen moäv.8 vivsnäi beendigen, bei dem der Staat nicht zu kurz kommt. Verstehen die Parteien ihn heute nicht, schlimm für sie; über kurz oder lang wird ihn das Volk verstehen und über sie richten. Seine Ideen werden trotz der Wahlen fortleben und ihre Frucht tragen, wenn er sie nicht im Stiche läßt, und das kann er bei aller momentanen Verstimmung nicht wollen. Die Krisis, die der Artikel der „Post" signalisirte, hat nnr zeigen können, wie groß und einzig er ist. Ihn sich jetzt aus der Regierung hinwegdenken und einigermaßen gedeihliche Weiterentwicklung erwarten, heißt sich aus der Uhr die Feder, aus dem Körper die Seele hinwegdenken und darauf noch ein Gehen, ein Leben für möglich halten. Es giebt nirgends einen Ersatz für ihn, wenigstens existirt gegenwärtig kein Staatsmann in deutschen Landen, der ihm auch nur entfernt gewachsen wäre, weder in den Beamtenkreisen noch in den Parteien. Auch der, welchen er als seinen Nachfolger genannt haben soll, würde, ob-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 40, 1881, Viertes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341833_157970/309>, abgerufen am 15.01.2025.