Die Grenzboten. Jg. 40, 1881, Viertes Quartal.Die Reichstagswcihlen und der Reichskanzler. kommen und dann vielen als Retterin aus der Noth erscheinen. Die conservativen Wie der Staatsmann, dem wir zu danken haben, daß es überhaupt deutsche An solche Erfüllung ist aber nicht entfernt zu denken. Vor einigen Jahren Die Reichstagswcihlen und der Reichskanzler. kommen und dann vielen als Retterin aus der Noth erscheinen. Die conservativen Wie der Staatsmann, dem wir zu danken haben, daß es überhaupt deutsche An solche Erfüllung ist aber nicht entfernt zu denken. Vor einigen Jahren <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0308" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/151030"/> <fw type="header" place="top"> Die Reichstagswcihlen und der Reichskanzler.</fw><lb/> <p xml:id="ID_1035" prev="#ID_1034"> kommen und dann vielen als Retterin aus der Noth erscheinen. Die conservativen<lb/> Elemente des Reichstags geschwächt, die Mittelparteien beträchtlich zusammen¬<lb/> geschmolzen, Fortschritt und Secession in demselben Maße stärker geworden, die<lb/> Zahl der Vertreter der noch weiter links stehenden Parteien, der süddeutschen<lb/> Volkspartei und der Socialdemokratie, gleichfalls gewachsen, das Centrum mit<lb/> seinen welfischen Bundesgenossen in alter Stärke, ja noch um einige Stimmen<lb/> vermehrt auf dem Platze und jetzt die stärkste Fraction — das ist das Bild<lb/> des neuen Reichstages, das sich uns entschleiert, nachdem Staub und Qualm<lb/> der Wahlcampagne sich verzogen haben.</p><lb/> <p xml:id="ID_1036"> Wie der Staatsmann, dem wir zu danken haben, daß es überhaupt deutsche<lb/> Wahlen und einen deutschen Reichstag giebt, die letzten Ereignisse auffaßt, oder<lb/> richtiger vielleicht, wie er sie auf die erste Kunde hin, im frischen Unmuthe, im<lb/> jähen Zorne über so argen Unverstand, so tiefe Verblendung und so viel kläg¬<lb/> liche Vergeßlichkeit aufgefaßt hat, wissen wir. Die „Post" hat es uns in voriger<lb/> Woche deutlich und unumwunden gesagt. Viele werden die harte Anklage, die<lb/> der Artikel erhebt, Wort für Wort mit uns unterschreiben, viele den tiefen<lb/> Widerwillen über das schmachvolle Treiben der Demagogen von der Linken und<lb/> über deren Erfolge bei der Wählerschaft, den er athmet, von Grund aus theilen.<lb/> Wenn aber die Hand, die den Aufsatz schrieb, ankündigt, der Reichskanzler stehe,<lb/> angeekelt von der Undankbarkeit, die sich in den letzten Wahlen ausgesprochen,<lb/> im Begriffe, den Kaiser um Entlassung aus seineu Aemtern zu bitten, so ant¬<lb/> wortet es in uns darauf ohne Besinnen: „Unmöglich!" und nach reiflichstem<lb/> Ueberlegen noch energischer und zuversichtlicher: „Ganz und gar unmöglich und<lb/> undenkbar!" Und was wir uns sagen, sagt sich Deutschland, sagt sich die Welt.<lb/> Selbst die frivolen Gesellen mit der breiten, dreisten Stirn, welche die Parole:<lb/> „Fort mit Bismarck!" aufgaben, würden erschrecken und sich trotz ihres Selbst¬<lb/> gefühls in schwerer Verlegenheit befinden, wenn die Ankündigung der „Post"<lb/> Wahrheit und die Bitte des Kanzlers erfüllt würde.</p><lb/> <p xml:id="ID_1037" next="#ID_1038"> An solche Erfüllung ist aber nicht entfernt zu denken. Vor einigen Jahren<lb/> lehnte der Kaiser Wilhelm ein ähnliches Gesuch des Kanzlers mit dreifachem<lb/> „Niemals" ab, indem er hinzufügte, so lange er lebe, werde er standhaft jede<lb/> Verzichtleistung auf die Dienste Bismarcks von sich weisen, und was auch ein<lb/> großes rheinisches Blatt in dieser Beziehung sich berichten läßt, unsers Wissens<lb/> ist nicht der geringste Grund vorhanden, zu vermuthen, daß der Monarch seine<lb/> damalige Meinung irgendwie geändert habe. Im Gegentheile, seit geraumer<lb/> Zeit bedurften Kaiser und Reich nicht so dringend des klaren und weiten Blickes<lb/> und der feinen und starken Hand des Fürsten als gegenwärtig, wo die alte<lb/> Conflictswolke wieder Heraufziehen zu wollen scheint, wo drüben jenseits der<lb/> Vogesen ein Politiker ans Staatsruder getreten ist, den man lange Zeit als<lb/> Verkörperung des Revanchegedankens anzusehen Ursache hatte, und wo von<lb/> Petersburg das Gerücht kommt, ein Minister mit panslavistischer Vergangenheit</p><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0308]
Die Reichstagswcihlen und der Reichskanzler.
kommen und dann vielen als Retterin aus der Noth erscheinen. Die conservativen
Elemente des Reichstags geschwächt, die Mittelparteien beträchtlich zusammen¬
geschmolzen, Fortschritt und Secession in demselben Maße stärker geworden, die
Zahl der Vertreter der noch weiter links stehenden Parteien, der süddeutschen
Volkspartei und der Socialdemokratie, gleichfalls gewachsen, das Centrum mit
seinen welfischen Bundesgenossen in alter Stärke, ja noch um einige Stimmen
vermehrt auf dem Platze und jetzt die stärkste Fraction — das ist das Bild
des neuen Reichstages, das sich uns entschleiert, nachdem Staub und Qualm
der Wahlcampagne sich verzogen haben.
Wie der Staatsmann, dem wir zu danken haben, daß es überhaupt deutsche
Wahlen und einen deutschen Reichstag giebt, die letzten Ereignisse auffaßt, oder
richtiger vielleicht, wie er sie auf die erste Kunde hin, im frischen Unmuthe, im
jähen Zorne über so argen Unverstand, so tiefe Verblendung und so viel kläg¬
liche Vergeßlichkeit aufgefaßt hat, wissen wir. Die „Post" hat es uns in voriger
Woche deutlich und unumwunden gesagt. Viele werden die harte Anklage, die
der Artikel erhebt, Wort für Wort mit uns unterschreiben, viele den tiefen
Widerwillen über das schmachvolle Treiben der Demagogen von der Linken und
über deren Erfolge bei der Wählerschaft, den er athmet, von Grund aus theilen.
Wenn aber die Hand, die den Aufsatz schrieb, ankündigt, der Reichskanzler stehe,
angeekelt von der Undankbarkeit, die sich in den letzten Wahlen ausgesprochen,
im Begriffe, den Kaiser um Entlassung aus seineu Aemtern zu bitten, so ant¬
wortet es in uns darauf ohne Besinnen: „Unmöglich!" und nach reiflichstem
Ueberlegen noch energischer und zuversichtlicher: „Ganz und gar unmöglich und
undenkbar!" Und was wir uns sagen, sagt sich Deutschland, sagt sich die Welt.
Selbst die frivolen Gesellen mit der breiten, dreisten Stirn, welche die Parole:
„Fort mit Bismarck!" aufgaben, würden erschrecken und sich trotz ihres Selbst¬
gefühls in schwerer Verlegenheit befinden, wenn die Ankündigung der „Post"
Wahrheit und die Bitte des Kanzlers erfüllt würde.
An solche Erfüllung ist aber nicht entfernt zu denken. Vor einigen Jahren
lehnte der Kaiser Wilhelm ein ähnliches Gesuch des Kanzlers mit dreifachem
„Niemals" ab, indem er hinzufügte, so lange er lebe, werde er standhaft jede
Verzichtleistung auf die Dienste Bismarcks von sich weisen, und was auch ein
großes rheinisches Blatt in dieser Beziehung sich berichten läßt, unsers Wissens
ist nicht der geringste Grund vorhanden, zu vermuthen, daß der Monarch seine
damalige Meinung irgendwie geändert habe. Im Gegentheile, seit geraumer
Zeit bedurften Kaiser und Reich nicht so dringend des klaren und weiten Blickes
und der feinen und starken Hand des Fürsten als gegenwärtig, wo die alte
Conflictswolke wieder Heraufziehen zu wollen scheint, wo drüben jenseits der
Vogesen ein Politiker ans Staatsruder getreten ist, den man lange Zeit als
Verkörperung des Revanchegedankens anzusehen Ursache hatte, und wo von
Petersburg das Gerücht kommt, ein Minister mit panslavistischer Vergangenheit
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