Die Grenzboten. Jg. 40, 1881, Viertes Quartal.Lin nationales Bühnenspiel. Ich will's auch nicht, es soll's auch niemand sagen, Die arme Justine hat in der That kein beneidenswerthes Loos. Gretchen Die letzten Worte Justinens leiten aber zugleich in sinnreicher Weise hinüber Es ist Morgen. Der fleißige Dämon arbeitet bereis schweigsam an seinem Du bist ein Kavalier. Lin nationales Bühnenspiel. Ich will's auch nicht, es soll's auch niemand sagen, Die arme Justine hat in der That kein beneidenswerthes Loos. Gretchen Die letzten Worte Justinens leiten aber zugleich in sinnreicher Weise hinüber Es ist Morgen. Der fleißige Dämon arbeitet bereis schweigsam an seinem Du bist ein Kavalier. <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0270" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/150992"/> <fw type="header" place="top"> Lin nationales Bühnenspiel.</fw><lb/> <quote> Ich will's auch nicht, es soll's auch niemand sagen,<lb/> Doch was ich jetzt von unserm Gotthold weiß,<lb/> Und was vielleicht der Cantor hier verrathen,<lb/> Das wirst ein Licht auf das Studcntenvolk. —<lb/> O, wenn ich einen Tag uur Rector wäre,<lb/> Sie müßten in den Carcer allescunmt!</quote><lb/> <p xml:id="ID_885"> Die arme Justine hat in der That kein beneidenswerthes Loos. Gretchen<lb/> im „Faust" hatte es bei ihrer Mutter golden dagegen. Sie mußte zwar auch<lb/> „kochen, fegen, stricken und nähn und laufen früh und spat," mußte „früh um<lb/> Tage schon — die Stunde giebt Goethe leider nicht näher an — am Wasch¬<lb/> trog stehen, dann auf dem Markt und an dem Herde sorgen." Aber sie hatte<lb/> doch nur ein einziges Schwesterchen zu verpflegen, die arme Justine dagegen<lb/> zehn Geschwister! Man kann es ihr daher nicht verübeln, daß sie ihrem Mi߬<lb/> muthe gelegentlich, wenn sie so allein auf der Bühne ist wie hier, ganz gehörig<lb/> Luft macht. Und das thut sie ja auch. Man beachte nur das inhaltreiche „da"<lb/> in der vierten Zeile: „Bei unser einem da wird nie gefragt!" Was kann eine'<lb/> geistvolle Schauspielerin alles in diese eine prägnante Silbe legen! Man über¬<lb/> sehe auch das „Doch" am Anfang der fünftletzten Zeile nicht. Von einem lo¬<lb/> gischen Gegensatz, wie ihn diese Partikel sonst auszudrücken Pflegt, ist hier zwar<lb/> keine Spur. Aber das soll auch nicht der Fall sein; die Erregung Justinens<lb/> kann gar nicht drastischer gemalt werden als durch diese möglichst unlogische Ge¬<lb/> dankenverbindung.</p><lb/> <p xml:id="ID_886"> Die letzten Worte Justinens leiten aber zugleich in sinnreicher Weise hinüber<lb/> zu dem veränderten Schauplatz in der zweiten Hälfte des ersten Actes. Die<lb/> Bühne verwandelt sich, und wir werden nach Leipzig in Lessings Studenten-<lb/> stübchen versetzt. Drei Insassen theilen sich in den bescheidenen Raum. Außer<lb/> Lessing bewohnt ihn schon seit Jahresfrist auch Dämon, der Neffe des Herrn<lb/> Cantor Fuchs, ein eifriger Gottschedicmer, der bei seinem Herrn und Meister<lb/> g.18 xoöticÄ hört, bei der Frau Professorin einen Freitisch genießt, über einer<lb/> Preisarbeit of intolerantia schwitzt und außerdem heimlich an einer Haupt- und<lb/> Staatsaction in Alexandrinern, „Leonidas," arbeitet. Der dritte im Bunde ist<lb/> seit einigen Wochen Mylius, ein — ums kurz zu sagen — verlumptes Genie.</p><lb/> <p xml:id="ID_887" next="#ID_888"> Es ist Morgen. Der fleißige Dämon arbeitet bereis schweigsam an seinem<lb/> Stehpulte. Lessing geht mit verschränkten Armen nachdenklich auf und ab, Mylius<lb/> hat sich eben vom Lager erhoben und tritt in unvollständigem, Herabgekommenein<lb/> Anzüge, seine Halskrause ordnend, aus der Seitenthür, und indem er vor einem<lb/> kleinen Spiegel, der über dem ärmlichen Sofa an der Wand hängt, Toilette<lb/> macht, gedenkt er des gestrigen Abends, wo er mit Lessing, „wirklich scharf ge¬<lb/> zecht," der letztere wahrscheinlich auch „wieder hoch gespielt" hat. Plötzlich „schlägt"<lb/> er Lessing auf die Schulter und sagt:</p><lb/> <quote> Du bist ein Kavalier.<lb/> Zwar nicht von Abkunft, noch von ird'sehen Gütern,</quote><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0270]
Lin nationales Bühnenspiel.
Ich will's auch nicht, es soll's auch niemand sagen,
Doch was ich jetzt von unserm Gotthold weiß,
Und was vielleicht der Cantor hier verrathen,
Das wirst ein Licht auf das Studcntenvolk. —
O, wenn ich einen Tag uur Rector wäre,
Sie müßten in den Carcer allescunmt!
Die arme Justine hat in der That kein beneidenswerthes Loos. Gretchen
im „Faust" hatte es bei ihrer Mutter golden dagegen. Sie mußte zwar auch
„kochen, fegen, stricken und nähn und laufen früh und spat," mußte „früh um
Tage schon — die Stunde giebt Goethe leider nicht näher an — am Wasch¬
trog stehen, dann auf dem Markt und an dem Herde sorgen." Aber sie hatte
doch nur ein einziges Schwesterchen zu verpflegen, die arme Justine dagegen
zehn Geschwister! Man kann es ihr daher nicht verübeln, daß sie ihrem Mi߬
muthe gelegentlich, wenn sie so allein auf der Bühne ist wie hier, ganz gehörig
Luft macht. Und das thut sie ja auch. Man beachte nur das inhaltreiche „da"
in der vierten Zeile: „Bei unser einem da wird nie gefragt!" Was kann eine'
geistvolle Schauspielerin alles in diese eine prägnante Silbe legen! Man über¬
sehe auch das „Doch" am Anfang der fünftletzten Zeile nicht. Von einem lo¬
gischen Gegensatz, wie ihn diese Partikel sonst auszudrücken Pflegt, ist hier zwar
keine Spur. Aber das soll auch nicht der Fall sein; die Erregung Justinens
kann gar nicht drastischer gemalt werden als durch diese möglichst unlogische Ge¬
dankenverbindung.
Die letzten Worte Justinens leiten aber zugleich in sinnreicher Weise hinüber
zu dem veränderten Schauplatz in der zweiten Hälfte des ersten Actes. Die
Bühne verwandelt sich, und wir werden nach Leipzig in Lessings Studenten-
stübchen versetzt. Drei Insassen theilen sich in den bescheidenen Raum. Außer
Lessing bewohnt ihn schon seit Jahresfrist auch Dämon, der Neffe des Herrn
Cantor Fuchs, ein eifriger Gottschedicmer, der bei seinem Herrn und Meister
g.18 xoöticÄ hört, bei der Frau Professorin einen Freitisch genießt, über einer
Preisarbeit of intolerantia schwitzt und außerdem heimlich an einer Haupt- und
Staatsaction in Alexandrinern, „Leonidas," arbeitet. Der dritte im Bunde ist
seit einigen Wochen Mylius, ein — ums kurz zu sagen — verlumptes Genie.
Es ist Morgen. Der fleißige Dämon arbeitet bereis schweigsam an seinem
Stehpulte. Lessing geht mit verschränkten Armen nachdenklich auf und ab, Mylius
hat sich eben vom Lager erhoben und tritt in unvollständigem, Herabgekommenein
Anzüge, seine Halskrause ordnend, aus der Seitenthür, und indem er vor einem
kleinen Spiegel, der über dem ärmlichen Sofa an der Wand hängt, Toilette
macht, gedenkt er des gestrigen Abends, wo er mit Lessing, „wirklich scharf ge¬
zecht," der letztere wahrscheinlich auch „wieder hoch gespielt" hat. Plötzlich „schlägt"
er Lessing auf die Schulter und sagt:
Du bist ein Kavalier.
Zwar nicht von Abkunft, noch von ird'sehen Gütern,
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