Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 40, 1881, Viertes Quartal.

Bild:
<< vorherige Seite
Sxielhagens Angela.

Es ergeben sich natürlich aus dem Zusammenleben die peinlichsten und
widerwärtigsten Situationen. Arnold Moor verfolgt Angela mit seiner auf¬
dringlichen Liebe, obwohl sie ihn su oimsillv behandelt, nachdem sie ihn ver>
achten gelernt. Die Kammerzofen haben ihr zugetragen, wie er mit seiner
schönen Fran steht, die ihm drei hübsche Kinder geschenkt hat. Und trotzdem
macht er Angela die glühendsten Liebesversicherungen und erinnert sie an die
Briefe, die sie ihm einst geschrieben. "Ja, jn, ja!" rief sie, in flammendem Eifer;
"so konnte ein Mädchen schreiben, das liebt, an einen Mann, der sich auf Liebe
versteht; an solche freilich nicht, die sie verstehen wie Du! Maitressenwirthschaft
so neben der ehelichen her! -- Wenn sichs darum handelte, da könntest Du
mitsprechen -- wie man die Tage auszunützen hat und -- die Nächte!" Man
sieht, wie vortrefflich Angela, die reine, hehre, dieser Ausbund von Tugend und
Sittsamkeit, die Lectionen der Zofe", die des Nachts auf den Corridoren und
an den Zimmerthüren herumhorchen, zu verwerthen weiß. Sie erschrickt dann
auch vor sich selber. "Schmach über mich, daß ich das denken muß! Daß es
mir wider Willen über die Lippen kommt! Wer hat mir den reinen Gedanken
vergiftet? Wer die Zunge so schamlos gemacht? Du, Du, der mir in den Weg
trat, den ich frei von Dir wähnte für immer! Du, der mir nicht aus dem Wege
wich, ob ich ihn gleich darum anflehte!" Ju diesem fieberkranken Tone sind
alle Capitel geschrieben, in welchen die Exaltados, die Spielhagen für Menschen
auszugeben beliebt, aneinander gerathen. Alle Hauptfiguren machen den Ein¬
druck, als ob bei ihnen, wie man zu sagen pflegt, eine Schraube losgegangen
sei, und man wird ordentlich erleichtert, wenn einer nach dem andern ans dieser
verschrobenen Gesellschaft mehr oder minder gewaltsam abgethan ist. Auch die
,,klare und verständige" Angela, wie sie von ihrer Umgebung genannt wird, in
Wahrheit aber eine unklare, unberechenbare und verwöhnte Dame, eine aus der
Familie der "problematischen Naturen," welche und ihrer Ruhe und Klarheit
alles stört und verwirrt, anch sie verliert schließlich den Kopf. Sie verlobt sich
mit Edward, dem Sohne der Lady Ballheastlc, begeht als seine Verlobte die
abgeschmacktesten Tollheiten und gefällt sich in einer maß- und zwecklosen Ver¬
schwendung, so daß auch der letzte Funken von Sympathie verloren geht, die
man bis dahin noch für das beklagenswerthe Geschöpf gehabt hätte.

Alles rennt nun mit rapiden Schritten der Katastrophe entgegen. Der
alte Geliebte der Ladh stirbt zuerst im Hotel, dann wird die Lady vor Wuth
vom Schlage getroffen, Arnolds Frau geht mit einen, Maler durch, nimmt aber
fürsorglich die Reisekasse ihres Mannes mit, und dieser selbst erliegt einem
hitzigen Gchirnfiebcr. Es bleibt auf ein paar Tage noch Angela übrig, die den
Tod, welchen sie lange gesucht hat, bei einem Rettungswerke im Genfer See
findet. Sie fürchtet sich, die Frau eines vernünftigen Mannes zu werden, und
begeht darum eine wahnwitzige That, welche unter den obwaltenden Umständen
einem Selbstmorde gleich zu achten ist. Eine ethische Nothwendigkeit dieses


Sxielhagens Angela.

Es ergeben sich natürlich aus dem Zusammenleben die peinlichsten und
widerwärtigsten Situationen. Arnold Moor verfolgt Angela mit seiner auf¬
dringlichen Liebe, obwohl sie ihn su oimsillv behandelt, nachdem sie ihn ver>
achten gelernt. Die Kammerzofen haben ihr zugetragen, wie er mit seiner
schönen Fran steht, die ihm drei hübsche Kinder geschenkt hat. Und trotzdem
macht er Angela die glühendsten Liebesversicherungen und erinnert sie an die
Briefe, die sie ihm einst geschrieben. „Ja, jn, ja!" rief sie, in flammendem Eifer;
„so konnte ein Mädchen schreiben, das liebt, an einen Mann, der sich auf Liebe
versteht; an solche freilich nicht, die sie verstehen wie Du! Maitressenwirthschaft
so neben der ehelichen her! — Wenn sichs darum handelte, da könntest Du
mitsprechen — wie man die Tage auszunützen hat und — die Nächte!" Man
sieht, wie vortrefflich Angela, die reine, hehre, dieser Ausbund von Tugend und
Sittsamkeit, die Lectionen der Zofe», die des Nachts auf den Corridoren und
an den Zimmerthüren herumhorchen, zu verwerthen weiß. Sie erschrickt dann
auch vor sich selber. „Schmach über mich, daß ich das denken muß! Daß es
mir wider Willen über die Lippen kommt! Wer hat mir den reinen Gedanken
vergiftet? Wer die Zunge so schamlos gemacht? Du, Du, der mir in den Weg
trat, den ich frei von Dir wähnte für immer! Du, der mir nicht aus dem Wege
wich, ob ich ihn gleich darum anflehte!" Ju diesem fieberkranken Tone sind
alle Capitel geschrieben, in welchen die Exaltados, die Spielhagen für Menschen
auszugeben beliebt, aneinander gerathen. Alle Hauptfiguren machen den Ein¬
druck, als ob bei ihnen, wie man zu sagen pflegt, eine Schraube losgegangen
sei, und man wird ordentlich erleichtert, wenn einer nach dem andern ans dieser
verschrobenen Gesellschaft mehr oder minder gewaltsam abgethan ist. Auch die
,,klare und verständige" Angela, wie sie von ihrer Umgebung genannt wird, in
Wahrheit aber eine unklare, unberechenbare und verwöhnte Dame, eine aus der
Familie der „problematischen Naturen," welche und ihrer Ruhe und Klarheit
alles stört und verwirrt, anch sie verliert schließlich den Kopf. Sie verlobt sich
mit Edward, dem Sohne der Lady Ballheastlc, begeht als seine Verlobte die
abgeschmacktesten Tollheiten und gefällt sich in einer maß- und zwecklosen Ver¬
schwendung, so daß auch der letzte Funken von Sympathie verloren geht, die
man bis dahin noch für das beklagenswerthe Geschöpf gehabt hätte.

Alles rennt nun mit rapiden Schritten der Katastrophe entgegen. Der
alte Geliebte der Ladh stirbt zuerst im Hotel, dann wird die Lady vor Wuth
vom Schlage getroffen, Arnolds Frau geht mit einen, Maler durch, nimmt aber
fürsorglich die Reisekasse ihres Mannes mit, und dieser selbst erliegt einem
hitzigen Gchirnfiebcr. Es bleibt auf ein paar Tage noch Angela übrig, die den
Tod, welchen sie lange gesucht hat, bei einem Rettungswerke im Genfer See
findet. Sie fürchtet sich, die Frau eines vernünftigen Mannes zu werden, und
begeht darum eine wahnwitzige That, welche unter den obwaltenden Umständen
einem Selbstmorde gleich zu achten ist. Eine ethische Nothwendigkeit dieses


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0260" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/150982"/>
          <fw type="header" place="top"> Sxielhagens Angela.</fw><lb/>
          <p xml:id="ID_850"> Es ergeben sich natürlich aus dem Zusammenleben die peinlichsten und<lb/>
widerwärtigsten Situationen. Arnold Moor verfolgt Angela mit seiner auf¬<lb/>
dringlichen Liebe, obwohl sie ihn su oimsillv behandelt, nachdem sie ihn ver&gt;<lb/>
achten gelernt. Die Kammerzofen haben ihr zugetragen, wie er mit seiner<lb/>
schönen Fran steht, die ihm drei hübsche Kinder geschenkt hat. Und trotzdem<lb/>
macht er Angela die glühendsten Liebesversicherungen und erinnert sie an die<lb/>
Briefe, die sie ihm einst geschrieben. &#x201E;Ja, jn, ja!" rief sie, in flammendem Eifer;<lb/>
&#x201E;so konnte ein Mädchen schreiben, das liebt, an einen Mann, der sich auf Liebe<lb/>
versteht; an solche freilich nicht, die sie verstehen wie Du! Maitressenwirthschaft<lb/>
so neben der ehelichen her! &#x2014; Wenn sichs darum handelte, da könntest Du<lb/>
mitsprechen &#x2014; wie man die Tage auszunützen hat und &#x2014; die Nächte!" Man<lb/>
sieht, wie vortrefflich Angela, die reine, hehre, dieser Ausbund von Tugend und<lb/>
Sittsamkeit, die Lectionen der Zofe», die des Nachts auf den Corridoren und<lb/>
an den Zimmerthüren herumhorchen, zu verwerthen weiß. Sie erschrickt dann<lb/>
auch vor sich selber. &#x201E;Schmach über mich, daß ich das denken muß! Daß es<lb/>
mir wider Willen über die Lippen kommt! Wer hat mir den reinen Gedanken<lb/>
vergiftet? Wer die Zunge so schamlos gemacht? Du, Du, der mir in den Weg<lb/>
trat, den ich frei von Dir wähnte für immer! Du, der mir nicht aus dem Wege<lb/>
wich, ob ich ihn gleich darum anflehte!" Ju diesem fieberkranken Tone sind<lb/>
alle Capitel geschrieben, in welchen die Exaltados, die Spielhagen für Menschen<lb/>
auszugeben beliebt, aneinander gerathen. Alle Hauptfiguren machen den Ein¬<lb/>
druck, als ob bei ihnen, wie man zu sagen pflegt, eine Schraube losgegangen<lb/>
sei, und man wird ordentlich erleichtert, wenn einer nach dem andern ans dieser<lb/>
verschrobenen Gesellschaft mehr oder minder gewaltsam abgethan ist. Auch die<lb/>
,,klare und verständige" Angela, wie sie von ihrer Umgebung genannt wird, in<lb/>
Wahrheit aber eine unklare, unberechenbare und verwöhnte Dame, eine aus der<lb/>
Familie der &#x201E;problematischen Naturen," welche und ihrer Ruhe und Klarheit<lb/>
alles stört und verwirrt, anch sie verliert schließlich den Kopf. Sie verlobt sich<lb/>
mit Edward, dem Sohne der Lady Ballheastlc, begeht als seine Verlobte die<lb/>
abgeschmacktesten Tollheiten und gefällt sich in einer maß- und zwecklosen Ver¬<lb/>
schwendung, so daß auch der letzte Funken von Sympathie verloren geht, die<lb/>
man bis dahin noch für das beklagenswerthe Geschöpf gehabt hätte.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_851" next="#ID_852"> Alles rennt nun mit rapiden Schritten der Katastrophe entgegen. Der<lb/>
alte Geliebte der Ladh stirbt zuerst im Hotel, dann wird die Lady vor Wuth<lb/>
vom Schlage getroffen, Arnolds Frau geht mit einen, Maler durch, nimmt aber<lb/>
fürsorglich die Reisekasse ihres Mannes mit, und dieser selbst erliegt einem<lb/>
hitzigen Gchirnfiebcr. Es bleibt auf ein paar Tage noch Angela übrig, die den<lb/>
Tod, welchen sie lange gesucht hat, bei einem Rettungswerke im Genfer See<lb/>
findet. Sie fürchtet sich, die Frau eines vernünftigen Mannes zu werden, und<lb/>
begeht darum eine wahnwitzige That, welche unter den obwaltenden Umständen<lb/>
einem Selbstmorde gleich zu achten ist. Eine ethische Nothwendigkeit dieses</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0260] Sxielhagens Angela. Es ergeben sich natürlich aus dem Zusammenleben die peinlichsten und widerwärtigsten Situationen. Arnold Moor verfolgt Angela mit seiner auf¬ dringlichen Liebe, obwohl sie ihn su oimsillv behandelt, nachdem sie ihn ver> achten gelernt. Die Kammerzofen haben ihr zugetragen, wie er mit seiner schönen Fran steht, die ihm drei hübsche Kinder geschenkt hat. Und trotzdem macht er Angela die glühendsten Liebesversicherungen und erinnert sie an die Briefe, die sie ihm einst geschrieben. „Ja, jn, ja!" rief sie, in flammendem Eifer; „so konnte ein Mädchen schreiben, das liebt, an einen Mann, der sich auf Liebe versteht; an solche freilich nicht, die sie verstehen wie Du! Maitressenwirthschaft so neben der ehelichen her! — Wenn sichs darum handelte, da könntest Du mitsprechen — wie man die Tage auszunützen hat und — die Nächte!" Man sieht, wie vortrefflich Angela, die reine, hehre, dieser Ausbund von Tugend und Sittsamkeit, die Lectionen der Zofe», die des Nachts auf den Corridoren und an den Zimmerthüren herumhorchen, zu verwerthen weiß. Sie erschrickt dann auch vor sich selber. „Schmach über mich, daß ich das denken muß! Daß es mir wider Willen über die Lippen kommt! Wer hat mir den reinen Gedanken vergiftet? Wer die Zunge so schamlos gemacht? Du, Du, der mir in den Weg trat, den ich frei von Dir wähnte für immer! Du, der mir nicht aus dem Wege wich, ob ich ihn gleich darum anflehte!" Ju diesem fieberkranken Tone sind alle Capitel geschrieben, in welchen die Exaltados, die Spielhagen für Menschen auszugeben beliebt, aneinander gerathen. Alle Hauptfiguren machen den Ein¬ druck, als ob bei ihnen, wie man zu sagen pflegt, eine Schraube losgegangen sei, und man wird ordentlich erleichtert, wenn einer nach dem andern ans dieser verschrobenen Gesellschaft mehr oder minder gewaltsam abgethan ist. Auch die ,,klare und verständige" Angela, wie sie von ihrer Umgebung genannt wird, in Wahrheit aber eine unklare, unberechenbare und verwöhnte Dame, eine aus der Familie der „problematischen Naturen," welche und ihrer Ruhe und Klarheit alles stört und verwirrt, anch sie verliert schließlich den Kopf. Sie verlobt sich mit Edward, dem Sohne der Lady Ballheastlc, begeht als seine Verlobte die abgeschmacktesten Tollheiten und gefällt sich in einer maß- und zwecklosen Ver¬ schwendung, so daß auch der letzte Funken von Sympathie verloren geht, die man bis dahin noch für das beklagenswerthe Geschöpf gehabt hätte. Alles rennt nun mit rapiden Schritten der Katastrophe entgegen. Der alte Geliebte der Ladh stirbt zuerst im Hotel, dann wird die Lady vor Wuth vom Schlage getroffen, Arnolds Frau geht mit einen, Maler durch, nimmt aber fürsorglich die Reisekasse ihres Mannes mit, und dieser selbst erliegt einem hitzigen Gchirnfiebcr. Es bleibt auf ein paar Tage noch Angela übrig, die den Tod, welchen sie lange gesucht hat, bei einem Rettungswerke im Genfer See findet. Sie fürchtet sich, die Frau eines vernünftigen Mannes zu werden, und begeht darum eine wahnwitzige That, welche unter den obwaltenden Umständen einem Selbstmorde gleich zu achten ist. Eine ethische Nothwendigkeit dieses

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341833_157970
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341833_157970/260
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 40, 1881, Viertes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341833_157970/260>, abgerufen am 15.01.2025.