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Die Grenzboten. Jg. 40, 1881, Viertes Quartal.

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Doutschv Palästinafahrteu,

treffende Bretwand seinen Ruinen mit Kreide schrieb. Die Neiscinstrnetionen
warnen, zuweit vorn oder hinten Platz zu nehmen, denn man habe daselbst,
wenn die Fortuna wehe, mancherlei ungösvliirurlc. In der Mitte sei es besser,
doch nicht gerade unter einem Loch, wie Conrad Grünemberg meint; denn wer
gerade unter einem der fünf Löcher lag, hatte keine Ruhe vor den Pilgern,
welche Tag und Nacht an den Leitern hinauf- und hinabstiegen und viel Lärm
verursachten.

Die meisten Pilger konnten nun wohl, wenn alles besorgt war, hoffen,
baldniöglichst abzufahren, wie es in den Bestimmungen des Cvntractes ja auch
ausgemacht war. Doch verzögerten die Patrone die Abreise sehr oft unge¬
bührlich, wenn ihnen das Schiff noch der Aufnahme einer größern Anzahl von
Passagieren sähig schien. Im 16. Jahrhundert fangen die Schiffsherren an
darüber zu klagen, daß so wenig Deutsche mehr Pilgerfahrten unternehmen
wollten; sie schieben die Schuld auf die luttrisvluz nsis. Die Pilger wurden
damals so selten, daß die Patrone die wenigen Ankömmlinge in Venedig auf
ihr Schiff luden und sie tüchtig mit Speise und Trank regalirten, um sie da-
durch als Passagiere zu gewinnen. So lange aber das Geschäft noch blühte,
also im vierzehnten und fünfzehnte" Jahrhundert, waren die Pilger oft wider
ihren Willen gezwungen, sich die Lagunenstadt genauer zu betrachten. Daß die
Stadt alle durch die Eigenart ihrer Anlage, dnrch ihre herrlichen Gebäude,
durch den Glanz und Reichthum ihrer Waarenlager, durch den Pomp der Trachten
entzückte, braucht nicht gesagt zu werden. Besonders reizten immer und immer
wieder die Bneentorofcchrt und die Frohnleichnamsproecssion, da ja bei diesen Ge¬
legenheiten der höchste Prunk entfaltet wurde. Neben den rückhaltsloser Be¬
wunderern fehlte es aber auch nicht an Kritikern. In dieser Beziehung ist namentlich
die Relation Dietrich von Schächters, der im Jahre 1491 seinen Herrn, den
Landgrafen Wilhelm den Aeltern, begleitete, interessant.

Venedig liegt -- schreibt er -- in dem Meer, und ist weder Berg oder
Land, wo dasselbe aufgebaut ist, sondern allein auf hölzernen Pfeilern, welches
doch unglaublich ist, wer solches nicht gesehen hat, zu hören. Man kann auch
in der Stadt nicht von einem Hause zu dem andern zu Fuße an viele" Orten
gehen, sondern man fährt in allen Gassen von einem Hause zum andern. Nun
will ich schreiben von den Männern und Frauen, wie die gekleidet gehen. So
mag ich wohl und alle, die solches gesehen haben, sprechen, daß man in keiner
Stadt findet, daß die Bürger in so köstlichem Tuche und in so langen Röcken
mit so köstlichem Futter gekleidet gehen. Ich bin auch berichtet, daß dieselbigen
guten Röcke so viel kosten als ein sammtner Rock. Nun lasse ich dasselbige stehen
und will von den Frauen sprechen, wie dieselbigen in köstlichem Sammet und
seidenen Röcken mit ihren köstlichen goldenen Stickereien auf Brust "ut Aermeln, mit
Perl- und Edelsteinbcsätzen gekleidet gehen, so daß eine immer köstlicher als die andere
geschmückt ist. Auch auf dem Kopfe tragen sie herrliche Zierden; denn je schöner sie das


Doutschv Palästinafahrteu,

treffende Bretwand seinen Ruinen mit Kreide schrieb. Die Neiscinstrnetionen
warnen, zuweit vorn oder hinten Platz zu nehmen, denn man habe daselbst,
wenn die Fortuna wehe, mancherlei ungösvliirurlc. In der Mitte sei es besser,
doch nicht gerade unter einem Loch, wie Conrad Grünemberg meint; denn wer
gerade unter einem der fünf Löcher lag, hatte keine Ruhe vor den Pilgern,
welche Tag und Nacht an den Leitern hinauf- und hinabstiegen und viel Lärm
verursachten.

Die meisten Pilger konnten nun wohl, wenn alles besorgt war, hoffen,
baldniöglichst abzufahren, wie es in den Bestimmungen des Cvntractes ja auch
ausgemacht war. Doch verzögerten die Patrone die Abreise sehr oft unge¬
bührlich, wenn ihnen das Schiff noch der Aufnahme einer größern Anzahl von
Passagieren sähig schien. Im 16. Jahrhundert fangen die Schiffsherren an
darüber zu klagen, daß so wenig Deutsche mehr Pilgerfahrten unternehmen
wollten; sie schieben die Schuld auf die luttrisvluz nsis. Die Pilger wurden
damals so selten, daß die Patrone die wenigen Ankömmlinge in Venedig auf
ihr Schiff luden und sie tüchtig mit Speise und Trank regalirten, um sie da-
durch als Passagiere zu gewinnen. So lange aber das Geschäft noch blühte,
also im vierzehnten und fünfzehnte» Jahrhundert, waren die Pilger oft wider
ihren Willen gezwungen, sich die Lagunenstadt genauer zu betrachten. Daß die
Stadt alle durch die Eigenart ihrer Anlage, dnrch ihre herrlichen Gebäude,
durch den Glanz und Reichthum ihrer Waarenlager, durch den Pomp der Trachten
entzückte, braucht nicht gesagt zu werden. Besonders reizten immer und immer
wieder die Bneentorofcchrt und die Frohnleichnamsproecssion, da ja bei diesen Ge¬
legenheiten der höchste Prunk entfaltet wurde. Neben den rückhaltsloser Be¬
wunderern fehlte es aber auch nicht an Kritikern. In dieser Beziehung ist namentlich
die Relation Dietrich von Schächters, der im Jahre 1491 seinen Herrn, den
Landgrafen Wilhelm den Aeltern, begleitete, interessant.

Venedig liegt — schreibt er — in dem Meer, und ist weder Berg oder
Land, wo dasselbe aufgebaut ist, sondern allein auf hölzernen Pfeilern, welches
doch unglaublich ist, wer solches nicht gesehen hat, zu hören. Man kann auch
in der Stadt nicht von einem Hause zu dem andern zu Fuße an viele» Orten
gehen, sondern man fährt in allen Gassen von einem Hause zum andern. Nun
will ich schreiben von den Männern und Frauen, wie die gekleidet gehen. So
mag ich wohl und alle, die solches gesehen haben, sprechen, daß man in keiner
Stadt findet, daß die Bürger in so köstlichem Tuche und in so langen Röcken
mit so köstlichem Futter gekleidet gehen. Ich bin auch berichtet, daß dieselbigen
guten Röcke so viel kosten als ein sammtner Rock. Nun lasse ich dasselbige stehen
und will von den Frauen sprechen, wie dieselbigen in köstlichem Sammet und
seidenen Röcken mit ihren köstlichen goldenen Stickereien auf Brust »ut Aermeln, mit
Perl- und Edelsteinbcsätzen gekleidet gehen, so daß eine immer köstlicher als die andere
geschmückt ist. Auch auf dem Kopfe tragen sie herrliche Zierden; denn je schöner sie das


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[0248] Doutschv Palästinafahrteu, treffende Bretwand seinen Ruinen mit Kreide schrieb. Die Neiscinstrnetionen warnen, zuweit vorn oder hinten Platz zu nehmen, denn man habe daselbst, wenn die Fortuna wehe, mancherlei ungösvliirurlc. In der Mitte sei es besser, doch nicht gerade unter einem Loch, wie Conrad Grünemberg meint; denn wer gerade unter einem der fünf Löcher lag, hatte keine Ruhe vor den Pilgern, welche Tag und Nacht an den Leitern hinauf- und hinabstiegen und viel Lärm verursachten. Die meisten Pilger konnten nun wohl, wenn alles besorgt war, hoffen, baldniöglichst abzufahren, wie es in den Bestimmungen des Cvntractes ja auch ausgemacht war. Doch verzögerten die Patrone die Abreise sehr oft unge¬ bührlich, wenn ihnen das Schiff noch der Aufnahme einer größern Anzahl von Passagieren sähig schien. Im 16. Jahrhundert fangen die Schiffsherren an darüber zu klagen, daß so wenig Deutsche mehr Pilgerfahrten unternehmen wollten; sie schieben die Schuld auf die luttrisvluz nsis. Die Pilger wurden damals so selten, daß die Patrone die wenigen Ankömmlinge in Venedig auf ihr Schiff luden und sie tüchtig mit Speise und Trank regalirten, um sie da- durch als Passagiere zu gewinnen. So lange aber das Geschäft noch blühte, also im vierzehnten und fünfzehnte» Jahrhundert, waren die Pilger oft wider ihren Willen gezwungen, sich die Lagunenstadt genauer zu betrachten. Daß die Stadt alle durch die Eigenart ihrer Anlage, dnrch ihre herrlichen Gebäude, durch den Glanz und Reichthum ihrer Waarenlager, durch den Pomp der Trachten entzückte, braucht nicht gesagt zu werden. Besonders reizten immer und immer wieder die Bneentorofcchrt und die Frohnleichnamsproecssion, da ja bei diesen Ge¬ legenheiten der höchste Prunk entfaltet wurde. Neben den rückhaltsloser Be¬ wunderern fehlte es aber auch nicht an Kritikern. In dieser Beziehung ist namentlich die Relation Dietrich von Schächters, der im Jahre 1491 seinen Herrn, den Landgrafen Wilhelm den Aeltern, begleitete, interessant. Venedig liegt — schreibt er — in dem Meer, und ist weder Berg oder Land, wo dasselbe aufgebaut ist, sondern allein auf hölzernen Pfeilern, welches doch unglaublich ist, wer solches nicht gesehen hat, zu hören. Man kann auch in der Stadt nicht von einem Hause zu dem andern zu Fuße an viele» Orten gehen, sondern man fährt in allen Gassen von einem Hause zum andern. Nun will ich schreiben von den Männern und Frauen, wie die gekleidet gehen. So mag ich wohl und alle, die solches gesehen haben, sprechen, daß man in keiner Stadt findet, daß die Bürger in so köstlichem Tuche und in so langen Röcken mit so köstlichem Futter gekleidet gehen. Ich bin auch berichtet, daß dieselbigen guten Röcke so viel kosten als ein sammtner Rock. Nun lasse ich dasselbige stehen und will von den Frauen sprechen, wie dieselbigen in köstlichem Sammet und seidenen Röcken mit ihren köstlichen goldenen Stickereien auf Brust »ut Aermeln, mit Perl- und Edelsteinbcsätzen gekleidet gehen, so daß eine immer köstlicher als die andere geschmückt ist. Auch auf dem Kopfe tragen sie herrliche Zierden; denn je schöner sie das

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 40, 1881, Viertes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341833_157970/248>, abgerufen am 15.01.2025.