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Die Grenzboten. Jg. 40, 1881, Viertes Quartal.

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Lin englisches Actenstiick liber den deutschen Schulgesang,

jetzt an Stelle, der früheren Tänze und Märsche Ouvertüren und andre lange
und complicirte Musikstücke vorführen. Es sei ferner daran erinnert, wie sich
die Beschäftigung mit dem Clavier verbreitet hat, d. h, mit einem Instrumente,
das mir für Leute taugt, die bereits musikalisch siud, nicht für solche, welche
erst musikalisch werden wolle". Mit dem Gesang, wenn er richtig gelehrt wird,
lernt man Töne und Intervalle vorstellen und denken, man prägt sich das musi¬
kalische Wörterbuch ein und erhält einen Schlüssel zum Verständniß der Musik,
Bei!" Clavierspiel prägt sich aber das unentwickelte Ingenium, der weniger fähige
Kopf vorwiegend Tasten und Griffe ein, und das jahrelange Spielen bleibt eine
nutzlose Klimperei, welche nur dazu dienen kann, alle Musik bei ernsten Leuten
zu discreditiren. Es sei drittens daran erinnert, daß die Chorvereinc, in welchen
wir eine an sich sehr treffliche Neubildung unsrer Zeit zu begrüßen haben, es
Wünschenswerther als je machen, daß in der Schuljugend für Musik zur rechten
Zeit ein ordentliches Fundament gelegt werde.

Keineswegs sollen alle Deutschen Musikanten werden. Aber alle Deutschen
können musikalisch werden, denn die Anlagen hierzu finden sich in jedem, ja
man kann sagen, sie finden sich in jedem Menschen, Und wenn wir von der
Schule verlangen, daß sie dieselben anrege und entwickle, und zwar methodisch
entwickle, so stellen wir damit keine unsinnige, übertriebene Forderung auf. Dies
Ziel zu erreichen, verlangt keinen neuen Aufwand, weder an Zeit "och an Geld.
Wir reichen mit den bisherigen zwei Stunden, wir reichen mit den bisherigen
Lehrmitteln aus: einer Wandtafel mit Notenlinien und einem Licderbnchc, Wir
brauchen nichts weiter, als daß die Lehrer, welche den Gesangunterricht zu ver¬
sehen haben, die gehörige Einsicht in die Sache besitzen und daß an Stelle des
mechanischen Abrichtens eine fördernde Methode trete und deren Befolgung über¬
wacht werde.

Um es zu wiederholen: der Gegenstand ist wichtig ans pädagogischen und
aus musikalischen Rücksichten, Er ist in musikalischen Kreise" angeregt worden
und hat in diesen keine Unterstützung gefunden. Aber selbst wenn die Musiker
so allgemein, wie es wünschenswert!) ist, der Frage ihre Aufmerksamkeit geschenkt
hätten -- dies allein würde zu nichts führen. Das Publieum muß über den
Stand dieser Angelegenheit orientirt sein, namentlich diejenigen Manier, welche
in der Gemeindeverwaltung betheiligt sind und i" den Schulangelegenheiten ein
Wort mitzureden haben. Deshalb sprechen wir hier über den Gesangunter-
richt in den deutschen Schulen, zunächst in den Volksschulen.

Nun aber zu unserm Actenstück! Wir haben gerade dieses zur Unterlage
unsrer Erörterung gewählt, weil es aus England kommt, d, h, ans dem Lande,
welches wir vorzugsweise gern, wenn mich vielfach irrthümlich, als ein schlechthin
unmusikalisches ansehen. Daß es England nicht allein ist, welches eS für nöthig
und nützlich gehalten hat, einer Reorganisation des Gesangunterrichts in den
niederen und höheren Schulen näher zu treten, wird im weitern Verlaufe unsers


Lin englisches Actenstiick liber den deutschen Schulgesang,

jetzt an Stelle, der früheren Tänze und Märsche Ouvertüren und andre lange
und complicirte Musikstücke vorführen. Es sei ferner daran erinnert, wie sich
die Beschäftigung mit dem Clavier verbreitet hat, d. h, mit einem Instrumente,
das mir für Leute taugt, die bereits musikalisch siud, nicht für solche, welche
erst musikalisch werden wolle». Mit dem Gesang, wenn er richtig gelehrt wird,
lernt man Töne und Intervalle vorstellen und denken, man prägt sich das musi¬
kalische Wörterbuch ein und erhält einen Schlüssel zum Verständniß der Musik,
Bei!» Clavierspiel prägt sich aber das unentwickelte Ingenium, der weniger fähige
Kopf vorwiegend Tasten und Griffe ein, und das jahrelange Spielen bleibt eine
nutzlose Klimperei, welche nur dazu dienen kann, alle Musik bei ernsten Leuten
zu discreditiren. Es sei drittens daran erinnert, daß die Chorvereinc, in welchen
wir eine an sich sehr treffliche Neubildung unsrer Zeit zu begrüßen haben, es
Wünschenswerther als je machen, daß in der Schuljugend für Musik zur rechten
Zeit ein ordentliches Fundament gelegt werde.

Keineswegs sollen alle Deutschen Musikanten werden. Aber alle Deutschen
können musikalisch werden, denn die Anlagen hierzu finden sich in jedem, ja
man kann sagen, sie finden sich in jedem Menschen, Und wenn wir von der
Schule verlangen, daß sie dieselben anrege und entwickle, und zwar methodisch
entwickle, so stellen wir damit keine unsinnige, übertriebene Forderung auf. Dies
Ziel zu erreichen, verlangt keinen neuen Aufwand, weder an Zeit »och an Geld.
Wir reichen mit den bisherigen zwei Stunden, wir reichen mit den bisherigen
Lehrmitteln aus: einer Wandtafel mit Notenlinien und einem Licderbnchc, Wir
brauchen nichts weiter, als daß die Lehrer, welche den Gesangunterricht zu ver¬
sehen haben, die gehörige Einsicht in die Sache besitzen und daß an Stelle des
mechanischen Abrichtens eine fördernde Methode trete und deren Befolgung über¬
wacht werde.

Um es zu wiederholen: der Gegenstand ist wichtig ans pädagogischen und
aus musikalischen Rücksichten, Er ist in musikalischen Kreise» angeregt worden
und hat in diesen keine Unterstützung gefunden. Aber selbst wenn die Musiker
so allgemein, wie es wünschenswert!) ist, der Frage ihre Aufmerksamkeit geschenkt
hätten — dies allein würde zu nichts führen. Das Publieum muß über den
Stand dieser Angelegenheit orientirt sein, namentlich diejenigen Manier, welche
in der Gemeindeverwaltung betheiligt sind und i» den Schulangelegenheiten ein
Wort mitzureden haben. Deshalb sprechen wir hier über den Gesangunter-
richt in den deutschen Schulen, zunächst in den Volksschulen.

Nun aber zu unserm Actenstück! Wir haben gerade dieses zur Unterlage
unsrer Erörterung gewählt, weil es aus England kommt, d, h, ans dem Lande,
welches wir vorzugsweise gern, wenn mich vielfach irrthümlich, als ein schlechthin
unmusikalisches ansehen. Daß es England nicht allein ist, welches eS für nöthig
und nützlich gehalten hat, einer Reorganisation des Gesangunterrichts in den
niederen und höheren Schulen näher zu treten, wird im weitern Verlaufe unsers


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[0171] Lin englisches Actenstiick liber den deutschen Schulgesang, jetzt an Stelle, der früheren Tänze und Märsche Ouvertüren und andre lange und complicirte Musikstücke vorführen. Es sei ferner daran erinnert, wie sich die Beschäftigung mit dem Clavier verbreitet hat, d. h, mit einem Instrumente, das mir für Leute taugt, die bereits musikalisch siud, nicht für solche, welche erst musikalisch werden wolle». Mit dem Gesang, wenn er richtig gelehrt wird, lernt man Töne und Intervalle vorstellen und denken, man prägt sich das musi¬ kalische Wörterbuch ein und erhält einen Schlüssel zum Verständniß der Musik, Bei!» Clavierspiel prägt sich aber das unentwickelte Ingenium, der weniger fähige Kopf vorwiegend Tasten und Griffe ein, und das jahrelange Spielen bleibt eine nutzlose Klimperei, welche nur dazu dienen kann, alle Musik bei ernsten Leuten zu discreditiren. Es sei drittens daran erinnert, daß die Chorvereinc, in welchen wir eine an sich sehr treffliche Neubildung unsrer Zeit zu begrüßen haben, es Wünschenswerther als je machen, daß in der Schuljugend für Musik zur rechten Zeit ein ordentliches Fundament gelegt werde. Keineswegs sollen alle Deutschen Musikanten werden. Aber alle Deutschen können musikalisch werden, denn die Anlagen hierzu finden sich in jedem, ja man kann sagen, sie finden sich in jedem Menschen, Und wenn wir von der Schule verlangen, daß sie dieselben anrege und entwickle, und zwar methodisch entwickle, so stellen wir damit keine unsinnige, übertriebene Forderung auf. Dies Ziel zu erreichen, verlangt keinen neuen Aufwand, weder an Zeit »och an Geld. Wir reichen mit den bisherigen zwei Stunden, wir reichen mit den bisherigen Lehrmitteln aus: einer Wandtafel mit Notenlinien und einem Licderbnchc, Wir brauchen nichts weiter, als daß die Lehrer, welche den Gesangunterricht zu ver¬ sehen haben, die gehörige Einsicht in die Sache besitzen und daß an Stelle des mechanischen Abrichtens eine fördernde Methode trete und deren Befolgung über¬ wacht werde. Um es zu wiederholen: der Gegenstand ist wichtig ans pädagogischen und aus musikalischen Rücksichten, Er ist in musikalischen Kreise» angeregt worden und hat in diesen keine Unterstützung gefunden. Aber selbst wenn die Musiker so allgemein, wie es wünschenswert!) ist, der Frage ihre Aufmerksamkeit geschenkt hätten — dies allein würde zu nichts führen. Das Publieum muß über den Stand dieser Angelegenheit orientirt sein, namentlich diejenigen Manier, welche in der Gemeindeverwaltung betheiligt sind und i» den Schulangelegenheiten ein Wort mitzureden haben. Deshalb sprechen wir hier über den Gesangunter- richt in den deutschen Schulen, zunächst in den Volksschulen. Nun aber zu unserm Actenstück! Wir haben gerade dieses zur Unterlage unsrer Erörterung gewählt, weil es aus England kommt, d, h, ans dem Lande, welches wir vorzugsweise gern, wenn mich vielfach irrthümlich, als ein schlechthin unmusikalisches ansehen. Daß es England nicht allein ist, welches eS für nöthig und nützlich gehalten hat, einer Reorganisation des Gesangunterrichts in den niederen und höheren Schulen näher zu treten, wird im weitern Verlaufe unsers

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 40, 1881, Viertes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341833_157970/171>, abgerufen am 15.01.2025.