Die Grenzboten. Jg. 40, 1881, Viertes Quartal.Politische Rückblicke und Ausblicke. thun, daß die Lenker des Staates auch für den Arbeiter ein Herz habe, und Es konnte nicht ausbleiben, daß die Fortschrittspartei über den Entwurf Bei den Nationälliberalen wiederholte sich das bekannte parlamentarische "Also immer die alten Schlagwörter," sagt unsre Schrift. "Die Frage Als zweites wesentliches Bedenken wurde von liberaler Seite der Ausschluß Politische Rückblicke und Ausblicke. thun, daß die Lenker des Staates auch für den Arbeiter ein Herz habe, und Es konnte nicht ausbleiben, daß die Fortschrittspartei über den Entwurf Bei den Nationälliberalen wiederholte sich das bekannte parlamentarische „Also immer die alten Schlagwörter," sagt unsre Schrift. „Die Frage Als zweites wesentliches Bedenken wurde von liberaler Seite der Ausschluß <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0102" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/150824"/> <fw type="header" place="top"> Politische Rückblicke und Ausblicke.</fw><lb/> <p xml:id="ID_269" prev="#ID_268"> thun, daß die Lenker des Staates auch für den Arbeiter ein Herz habe, und<lb/> daß man, dem Staate sein Geschick und seine Zukunft anvertrauend, besser daran<lb/> sein werde als unter den chaotischen Zuständen, auf welche die Socialisten zu¬<lb/> steuerten.</p><lb/> <p xml:id="ID_270"> Es konnte nicht ausbleiben, daß die Fortschrittspartei über den Entwurf<lb/> die Achseln zuckte, eine krause Stirn machte und mit Phrasen wie „Staats¬<lb/> socialismus" oder gar „communistische Idee der schlechtesten Sorte" um sich<lb/> warf. Der Reichskanzler erwiederte darauf bei der Generaldebatte vom 2. April<lb/> d. I.: „Nach dem, wie die Socialisten es in ihrem Programm getrieben haben,<lb/> ist das Wort »Socialismus« eine Bezeichnung, die mit »verbrecherisch« in der<lb/> öffentlichen Meinung beinahe gleichbedeutend ist. Diese Bestrebungen der Re¬<lb/> gierung, den verunglückten Arbeiter in Zukunft besser und namentlich würdiger<lb/> zu behandeln als bisher, seinem noch gesunden Genossen nicht das Beispiel eines<lb/> sozusagen auf dem Kehricht langsam verhungernden Greises zu gewähren, das<lb/> kann man doch nicht in dem Sinne als socialistisch bezeichnen, wie diese Mörder¬<lb/> hände uns neulich dargestellt worden ist, und das ist ein ziemlich wohlfeiles Spiel<lb/> mit dem Schatten an der Wand, wenn man »socialistisch« darüber ruft. Wenn<lb/> einer für unsre Bestrebungen einen Namen finden will, den ich bereitwillig an¬<lb/> nehme, so ist es der: praktisches Christenthum, aber ZWs xllrgM, wobei wir die<lb/> Leute nicht mit Reden und Redensarten bezahlen, sondern ihnen wirklich etwas<lb/> gewähren wollen. Aber umsonst ist der Tod."</p><lb/> <p xml:id="ID_271"> Bei den Nationälliberalen wiederholte sich das bekannte parlamentarische<lb/> Schauspiel. Grundgedanke und Kern des Gesetzes wurden von den meisten gebilligt,<lb/> aber die „Bedenken," die sich dann präsentirten, waren zu erheblich, um ein Ja<lb/> zu erlauben. Herr Laster redete von „Staatsomnipotenz." Andre nahmen An¬<lb/> stoß an dem Zuschuß, den das Reich oder der Staat zu der Versicherung bei¬<lb/> tragen sollte, und behaupteten, derselbe laufe auf nichts geringeres als auf Or¬<lb/> ganisation der Arbeit durch die öffentliche Gewalt, also auf den Socialismus<lb/> hinaus.</p><lb/> <p xml:id="ID_272"> „Also immer die alten Schlagwörter," sagt unsre Schrift. „Die Frage<lb/> lautet aber in Wahrheit: Kann die gescunmte deutsche Industrie die Versiche¬<lb/> rungsprämien allein tragen? Für einen nicht unerheblichen Theil namentlich<lb/> norddeutscher Industriezweige ist diese Frage von Sachverständigen verneint worden,<lb/> und daraus folgt, daß entweder ein Zuschuß aus öffentlichen Mitteln geleistet<lb/> werden oder das ganze Gesetz fallen muß. Dieser Conelusion kann man nicht<lb/> entgehen und wird man nicht entgehen können, so unbequem sie auch sein mag-</p><lb/> <p xml:id="ID_273" next="#ID_274"> Als zweites wesentliches Bedenken wurde von liberaler Seite der Ausschluß<lb/> der privaten Versicherungsgesellschaften geltend gemacht. Die alten Redensarten<lb/> gegen das Staatsmonopol wurden wieder hervorgeholt, und man betonte wie<lb/> bei den Debatten über das Tabaksmonopol den »Untergang des blühenden Jn¬<lb/> dustriezweiges.« Was in aller Welt hat denn der deutsche Liberalismus mit</p><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0102]
Politische Rückblicke und Ausblicke.
thun, daß die Lenker des Staates auch für den Arbeiter ein Herz habe, und
daß man, dem Staate sein Geschick und seine Zukunft anvertrauend, besser daran
sein werde als unter den chaotischen Zuständen, auf welche die Socialisten zu¬
steuerten.
Es konnte nicht ausbleiben, daß die Fortschrittspartei über den Entwurf
die Achseln zuckte, eine krause Stirn machte und mit Phrasen wie „Staats¬
socialismus" oder gar „communistische Idee der schlechtesten Sorte" um sich
warf. Der Reichskanzler erwiederte darauf bei der Generaldebatte vom 2. April
d. I.: „Nach dem, wie die Socialisten es in ihrem Programm getrieben haben,
ist das Wort »Socialismus« eine Bezeichnung, die mit »verbrecherisch« in der
öffentlichen Meinung beinahe gleichbedeutend ist. Diese Bestrebungen der Re¬
gierung, den verunglückten Arbeiter in Zukunft besser und namentlich würdiger
zu behandeln als bisher, seinem noch gesunden Genossen nicht das Beispiel eines
sozusagen auf dem Kehricht langsam verhungernden Greises zu gewähren, das
kann man doch nicht in dem Sinne als socialistisch bezeichnen, wie diese Mörder¬
hände uns neulich dargestellt worden ist, und das ist ein ziemlich wohlfeiles Spiel
mit dem Schatten an der Wand, wenn man »socialistisch« darüber ruft. Wenn
einer für unsre Bestrebungen einen Namen finden will, den ich bereitwillig an¬
nehme, so ist es der: praktisches Christenthum, aber ZWs xllrgM, wobei wir die
Leute nicht mit Reden und Redensarten bezahlen, sondern ihnen wirklich etwas
gewähren wollen. Aber umsonst ist der Tod."
Bei den Nationälliberalen wiederholte sich das bekannte parlamentarische
Schauspiel. Grundgedanke und Kern des Gesetzes wurden von den meisten gebilligt,
aber die „Bedenken," die sich dann präsentirten, waren zu erheblich, um ein Ja
zu erlauben. Herr Laster redete von „Staatsomnipotenz." Andre nahmen An¬
stoß an dem Zuschuß, den das Reich oder der Staat zu der Versicherung bei¬
tragen sollte, und behaupteten, derselbe laufe auf nichts geringeres als auf Or¬
ganisation der Arbeit durch die öffentliche Gewalt, also auf den Socialismus
hinaus.
„Also immer die alten Schlagwörter," sagt unsre Schrift. „Die Frage
lautet aber in Wahrheit: Kann die gescunmte deutsche Industrie die Versiche¬
rungsprämien allein tragen? Für einen nicht unerheblichen Theil namentlich
norddeutscher Industriezweige ist diese Frage von Sachverständigen verneint worden,
und daraus folgt, daß entweder ein Zuschuß aus öffentlichen Mitteln geleistet
werden oder das ganze Gesetz fallen muß. Dieser Conelusion kann man nicht
entgehen und wird man nicht entgehen können, so unbequem sie auch sein mag-
Als zweites wesentliches Bedenken wurde von liberaler Seite der Ausschluß
der privaten Versicherungsgesellschaften geltend gemacht. Die alten Redensarten
gegen das Staatsmonopol wurden wieder hervorgeholt, und man betonte wie
bei den Debatten über das Tabaksmonopol den »Untergang des blühenden Jn¬
dustriezweiges.« Was in aller Welt hat denn der deutsche Liberalismus mit
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