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Die Grenzboten. Jg. 40, 1881, Drittes Quartal.

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Der Pariser Salon.

jetzt noch theurer bezahlt werden als die silbernen "Nebelbilder" Corots. Breton
hat aber, umgekehrt wie Hemmer, die Art Mittels, dem er sich übrigens in seinen
spätern Schöpfungen mehr genähert hat als in seinen Erstlingswerken, wesentlich
geadelt. Obwohl er sich an dessen schlichte, einfache Auffassung der Natur
hielt, hat er über die dürre Prosa des Alltagslebens den verklärenden Hauch
der Poesie gegossen. Er stellt die Menschen freier und stolzer dar, nicht unter
dem Druck der Arbeit keuchend und erlahmend, und diese freien, stolzen Geschöpfe
setzte er in eine Natur hinein, die er durch die Beleuchtung der auf- und unter¬
gehenden Sonne in ein Feiertagsgewand kleidete. Vcrgils Eklogen kommen einem
in den Sinn, wenn man diese hohen Frauen- und Mädchengestalten sieht, welche
das Korn schneiden, die Aehren lesen, auf dem Felde Rast halten oder mit dem
Aehrenbündel auf dem Haupte vom Abendröthe beleuchtet heimkehren. In diesem
Jahre war Breton uur durch eine Bäuerin aus dem Artois vertreten, eine Frau
mit grobknochigem Gesicht, deren breite Schultern und nervige Arme die "Heroine
der Arbeit" verriethen. Desto zahlreicher war das Heer der Nachahmer er¬
schienen, von denen auch nicht einer dem Meister in der Kraft der Farbe, in der
wunderbaren Verschmelzung der Fleischtöne zu einem fast bronzeartigen Incarnat
gleichgekommen ist. Die Nachahmung ist so äußerlich wie möglich: mehr Millet
als Breton, da die Poesie der Stimmung und die Kunst, die menschliche Seele
im Angesicht zu zeigen, nicht jedermanns Sache ist. Alle diese Bilder aus dem
Bauernleben zeichnen sich durch ein sehr großes Format und einen sehr kleinen
Inhalt aus: ein Acker, der bestellt werden soll, ein paar Bäume ohne indivi¬
duellen Reiz, am Rain und im Vordergrunde ein paar griesgrämige Landleute
beiderlei Geschlechts. Das sind die Ingredienzien, ans denen derartige Bilder
zusammengebraut werden. Das Colorit muß möglichst grau sein, weil dadurch
die Einförmigkeit des Landlebens und die harte Arbeit der Landbebauung am
besten charakterisirt wird. So schildert einer die wichtige Ceremonie des Erbsen-
pflückens, ein andrer (zum hundertsten Male!) das Aehrenlesen durch eine Ge¬
sellschaft ausgesucht häßlicher Weiber, ein dritter das Säen, ein vierter das Heu¬
aufladen, und ein fünfter führt uns gar eine junge Schwcinehirtin in Holzschuhen
vor, die, in tiefes Sinnen versunken, über die höchsten Probleme der Mensch¬
heit nachdenkt, während ihre mehr materialistisch gesinnten Zöglinge sich in einem
Troge gütlich thun.

Den französischen Landschaftern fehlt jener kosmopolitische Zug, welcher die
Deutschen in alle Länder getrieben und die deutsche Landschaftsmalerei zur uni¬
versellsten der Welt gemacht hat. Ihr Horizont ist sehr eng begrenzt, sie kommen
selten über Frankreich und Belgien hinaus, und sogar der Orient, der den fran¬
zösischen Malern eine so reiche Quelle von Motiven geboten hat und noch bietet,
scheint für sie keine Reize zu haben. Am meisten fesselt sie das Wasser und
die Meeresküste. Einige Flußlandschaften, einige Seen in waldiger Umgebung
und einige Mariner waren das Beste unter der verhältnißmäßig nicht sehr großen


Der Pariser Salon.

jetzt noch theurer bezahlt werden als die silbernen „Nebelbilder" Corots. Breton
hat aber, umgekehrt wie Hemmer, die Art Mittels, dem er sich übrigens in seinen
spätern Schöpfungen mehr genähert hat als in seinen Erstlingswerken, wesentlich
geadelt. Obwohl er sich an dessen schlichte, einfache Auffassung der Natur
hielt, hat er über die dürre Prosa des Alltagslebens den verklärenden Hauch
der Poesie gegossen. Er stellt die Menschen freier und stolzer dar, nicht unter
dem Druck der Arbeit keuchend und erlahmend, und diese freien, stolzen Geschöpfe
setzte er in eine Natur hinein, die er durch die Beleuchtung der auf- und unter¬
gehenden Sonne in ein Feiertagsgewand kleidete. Vcrgils Eklogen kommen einem
in den Sinn, wenn man diese hohen Frauen- und Mädchengestalten sieht, welche
das Korn schneiden, die Aehren lesen, auf dem Felde Rast halten oder mit dem
Aehrenbündel auf dem Haupte vom Abendröthe beleuchtet heimkehren. In diesem
Jahre war Breton uur durch eine Bäuerin aus dem Artois vertreten, eine Frau
mit grobknochigem Gesicht, deren breite Schultern und nervige Arme die „Heroine
der Arbeit" verriethen. Desto zahlreicher war das Heer der Nachahmer er¬
schienen, von denen auch nicht einer dem Meister in der Kraft der Farbe, in der
wunderbaren Verschmelzung der Fleischtöne zu einem fast bronzeartigen Incarnat
gleichgekommen ist. Die Nachahmung ist so äußerlich wie möglich: mehr Millet
als Breton, da die Poesie der Stimmung und die Kunst, die menschliche Seele
im Angesicht zu zeigen, nicht jedermanns Sache ist. Alle diese Bilder aus dem
Bauernleben zeichnen sich durch ein sehr großes Format und einen sehr kleinen
Inhalt aus: ein Acker, der bestellt werden soll, ein paar Bäume ohne indivi¬
duellen Reiz, am Rain und im Vordergrunde ein paar griesgrämige Landleute
beiderlei Geschlechts. Das sind die Ingredienzien, ans denen derartige Bilder
zusammengebraut werden. Das Colorit muß möglichst grau sein, weil dadurch
die Einförmigkeit des Landlebens und die harte Arbeit der Landbebauung am
besten charakterisirt wird. So schildert einer die wichtige Ceremonie des Erbsen-
pflückens, ein andrer (zum hundertsten Male!) das Aehrenlesen durch eine Ge¬
sellschaft ausgesucht häßlicher Weiber, ein dritter das Säen, ein vierter das Heu¬
aufladen, und ein fünfter führt uns gar eine junge Schwcinehirtin in Holzschuhen
vor, die, in tiefes Sinnen versunken, über die höchsten Probleme der Mensch¬
heit nachdenkt, während ihre mehr materialistisch gesinnten Zöglinge sich in einem
Troge gütlich thun.

Den französischen Landschaftern fehlt jener kosmopolitische Zug, welcher die
Deutschen in alle Länder getrieben und die deutsche Landschaftsmalerei zur uni¬
versellsten der Welt gemacht hat. Ihr Horizont ist sehr eng begrenzt, sie kommen
selten über Frankreich und Belgien hinaus, und sogar der Orient, der den fran¬
zösischen Malern eine so reiche Quelle von Motiven geboten hat und noch bietet,
scheint für sie keine Reize zu haben. Am meisten fesselt sie das Wasser und
die Meeresküste. Einige Flußlandschaften, einige Seen in waldiger Umgebung
und einige Mariner waren das Beste unter der verhältnißmäßig nicht sehr großen


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 40, 1881, Drittes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341833_157968/88>, abgerufen am 01.09.2024.