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Die Grenzboten. Jg. 40, 1881, Drittes Quartal.

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Der Pariser Salon.

zwei Gemälde gewidmet hat, welche, in seiner schummrigen Art gemalt, sein jüngst
errichtetes Denkmal in romantischer Umgebung zeigen -- mehr als ein Dutzend
Maler sind emsig bemüht, eine Manier fortzusetzen, an welcher gesunde Naturen
niemals einen rechten Geschmack finden werden. Corot war als Künstler eine
Art Pantheist oder Polytheist, d, h, er dachte sich die Natur mit einer Schaar
von Nymphen und Sylphen belebt, die, wie Erlkönigs Töchter, in Wald, Wiese
und Wasser ihr Wesen treiben und ihre Reihen schlingen. Alles, was er sieht,
Nymphen, Wald und Wasser, hüllt er in einen silbernen Dunst, gleich dem
feuchten Nebel, der des Abends nach Sonnenuntergang aus den Wiesen empor¬
steigt. Diese bizarre Auffassung der Natur fand, obgleich sie schnell zur Manier
ward, in Paris, wo man solche Bizarrerieen liebt, ungeheuer viele Bewundrer,
deren Zahl nach Corots Tode so sehr gewachsen ist, daß heute seine kleinen
Bildchen auf den Auctionen mit fabelhaften Preisen bezahlt werden. Ob seine
Nachahmer auch so gute Geschäfte macheu, weiß ich nicht. Jedenfalls ist ihre
Zahl im Wachsen begriffen, und Aussandon, einer von ihnen, hatte nicht nöthig,
vor dem Porträtrelicf des Meisters eine Nymphe zu malen, welche bittre Thränen
vergießt. Auf Corot kauu mich der Elsasser Hemmer seinen Stammbaum zurück¬
führen, der das malerische Princip jenes Künstlers auf lebensgroße Figuren mit
landschaftlichen Hintergrund übertragen hat. Bei ihm dreht sich alles um eine
unklare und möglichst unbestimmte Tonempfindung. Statt wie die Venetianer
einen nackten Körper in festen Umrissen von dem Hintergründe abzuheben, läßt
er vielmehr mit letzterm die Contouren des Körpers verschwimmen, dessen stumpf
und matt gewordne Hautfarbe gespensterhaft aus dem dunklen Grün hervor¬
leuchtet. Von einer Sicherheit der Zeichnung und Festigkeit der Modellirnng,
von einer sorgfältig naturalistischen Durchführung der Landschaft ist nicht die
Rede. Es ist ein Gemisch von indifferenten Tinten, eine Art Sauce, ein Pot¬
pourri, das etwa, wenn man den Vergleich wagen darf, an die regellosen Phan¬
tasien eines Violinvirtuosen erinnert. Im tiefen Waldesdunkel sitzt ein nacktes
Mädchen und ordnet sein Haar: ig. soure-s, die Quelle! Die Formen ihres weißen
Körpers verflüchtigen sich und spielen in das Grün des Waldes hinüber. Ein
Gedanke, dem ein poetischer Zug nicht abzusprechen ist! Desto geschmackloser
ist ein heiliger Hieronymus, ein nackter, abgcmergelter Greis, der sich unter dem
Vorwande der Kasteiung in nicht zu beschreibender Weise in seiner Waldeinsam¬
keit herumräkelt. Dieser Heilige war selbst den Parisern, die doch eine gute
Portion vertragen können, zu sonderbar. Gleichwohl gehört Hemmer zu den
Koryphäen der Pariser Kunstwelt, zu den Malern, die man bewundern muß,
weim man nicht in den Verdacht der Ignoranz gerathen will. Er hat sich eine
Ausdrucksweise geschaffen, die für die Pariser gerade deshalb ihren besondern
Reiz hat, weil sie geheimnißvoll und unverständlich ist.

Wie Henuer ein Descendent Corots, so ist Jules Breton aufs innigste
mit Jean Frau?vis Millet verwandt, dessen Gemälde aus dem Bauernleben


Der Pariser Salon.

zwei Gemälde gewidmet hat, welche, in seiner schummrigen Art gemalt, sein jüngst
errichtetes Denkmal in romantischer Umgebung zeigen — mehr als ein Dutzend
Maler sind emsig bemüht, eine Manier fortzusetzen, an welcher gesunde Naturen
niemals einen rechten Geschmack finden werden. Corot war als Künstler eine
Art Pantheist oder Polytheist, d, h, er dachte sich die Natur mit einer Schaar
von Nymphen und Sylphen belebt, die, wie Erlkönigs Töchter, in Wald, Wiese
und Wasser ihr Wesen treiben und ihre Reihen schlingen. Alles, was er sieht,
Nymphen, Wald und Wasser, hüllt er in einen silbernen Dunst, gleich dem
feuchten Nebel, der des Abends nach Sonnenuntergang aus den Wiesen empor¬
steigt. Diese bizarre Auffassung der Natur fand, obgleich sie schnell zur Manier
ward, in Paris, wo man solche Bizarrerieen liebt, ungeheuer viele Bewundrer,
deren Zahl nach Corots Tode so sehr gewachsen ist, daß heute seine kleinen
Bildchen auf den Auctionen mit fabelhaften Preisen bezahlt werden. Ob seine
Nachahmer auch so gute Geschäfte macheu, weiß ich nicht. Jedenfalls ist ihre
Zahl im Wachsen begriffen, und Aussandon, einer von ihnen, hatte nicht nöthig,
vor dem Porträtrelicf des Meisters eine Nymphe zu malen, welche bittre Thränen
vergießt. Auf Corot kauu mich der Elsasser Hemmer seinen Stammbaum zurück¬
führen, der das malerische Princip jenes Künstlers auf lebensgroße Figuren mit
landschaftlichen Hintergrund übertragen hat. Bei ihm dreht sich alles um eine
unklare und möglichst unbestimmte Tonempfindung. Statt wie die Venetianer
einen nackten Körper in festen Umrissen von dem Hintergründe abzuheben, läßt
er vielmehr mit letzterm die Contouren des Körpers verschwimmen, dessen stumpf
und matt gewordne Hautfarbe gespensterhaft aus dem dunklen Grün hervor¬
leuchtet. Von einer Sicherheit der Zeichnung und Festigkeit der Modellirnng,
von einer sorgfältig naturalistischen Durchführung der Landschaft ist nicht die
Rede. Es ist ein Gemisch von indifferenten Tinten, eine Art Sauce, ein Pot¬
pourri, das etwa, wenn man den Vergleich wagen darf, an die regellosen Phan¬
tasien eines Violinvirtuosen erinnert. Im tiefen Waldesdunkel sitzt ein nacktes
Mädchen und ordnet sein Haar: ig. soure-s, die Quelle! Die Formen ihres weißen
Körpers verflüchtigen sich und spielen in das Grün des Waldes hinüber. Ein
Gedanke, dem ein poetischer Zug nicht abzusprechen ist! Desto geschmackloser
ist ein heiliger Hieronymus, ein nackter, abgcmergelter Greis, der sich unter dem
Vorwande der Kasteiung in nicht zu beschreibender Weise in seiner Waldeinsam¬
keit herumräkelt. Dieser Heilige war selbst den Parisern, die doch eine gute
Portion vertragen können, zu sonderbar. Gleichwohl gehört Hemmer zu den
Koryphäen der Pariser Kunstwelt, zu den Malern, die man bewundern muß,
weim man nicht in den Verdacht der Ignoranz gerathen will. Er hat sich eine
Ausdrucksweise geschaffen, die für die Pariser gerade deshalb ihren besondern
Reiz hat, weil sie geheimnißvoll und unverständlich ist.

Wie Henuer ein Descendent Corots, so ist Jules Breton aufs innigste
mit Jean Frau?vis Millet verwandt, dessen Gemälde aus dem Bauernleben


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[0087] Der Pariser Salon. zwei Gemälde gewidmet hat, welche, in seiner schummrigen Art gemalt, sein jüngst errichtetes Denkmal in romantischer Umgebung zeigen — mehr als ein Dutzend Maler sind emsig bemüht, eine Manier fortzusetzen, an welcher gesunde Naturen niemals einen rechten Geschmack finden werden. Corot war als Künstler eine Art Pantheist oder Polytheist, d, h, er dachte sich die Natur mit einer Schaar von Nymphen und Sylphen belebt, die, wie Erlkönigs Töchter, in Wald, Wiese und Wasser ihr Wesen treiben und ihre Reihen schlingen. Alles, was er sieht, Nymphen, Wald und Wasser, hüllt er in einen silbernen Dunst, gleich dem feuchten Nebel, der des Abends nach Sonnenuntergang aus den Wiesen empor¬ steigt. Diese bizarre Auffassung der Natur fand, obgleich sie schnell zur Manier ward, in Paris, wo man solche Bizarrerieen liebt, ungeheuer viele Bewundrer, deren Zahl nach Corots Tode so sehr gewachsen ist, daß heute seine kleinen Bildchen auf den Auctionen mit fabelhaften Preisen bezahlt werden. Ob seine Nachahmer auch so gute Geschäfte macheu, weiß ich nicht. Jedenfalls ist ihre Zahl im Wachsen begriffen, und Aussandon, einer von ihnen, hatte nicht nöthig, vor dem Porträtrelicf des Meisters eine Nymphe zu malen, welche bittre Thränen vergießt. Auf Corot kauu mich der Elsasser Hemmer seinen Stammbaum zurück¬ führen, der das malerische Princip jenes Künstlers auf lebensgroße Figuren mit landschaftlichen Hintergrund übertragen hat. Bei ihm dreht sich alles um eine unklare und möglichst unbestimmte Tonempfindung. Statt wie die Venetianer einen nackten Körper in festen Umrissen von dem Hintergründe abzuheben, läßt er vielmehr mit letzterm die Contouren des Körpers verschwimmen, dessen stumpf und matt gewordne Hautfarbe gespensterhaft aus dem dunklen Grün hervor¬ leuchtet. Von einer Sicherheit der Zeichnung und Festigkeit der Modellirnng, von einer sorgfältig naturalistischen Durchführung der Landschaft ist nicht die Rede. Es ist ein Gemisch von indifferenten Tinten, eine Art Sauce, ein Pot¬ pourri, das etwa, wenn man den Vergleich wagen darf, an die regellosen Phan¬ tasien eines Violinvirtuosen erinnert. Im tiefen Waldesdunkel sitzt ein nacktes Mädchen und ordnet sein Haar: ig. soure-s, die Quelle! Die Formen ihres weißen Körpers verflüchtigen sich und spielen in das Grün des Waldes hinüber. Ein Gedanke, dem ein poetischer Zug nicht abzusprechen ist! Desto geschmackloser ist ein heiliger Hieronymus, ein nackter, abgcmergelter Greis, der sich unter dem Vorwande der Kasteiung in nicht zu beschreibender Weise in seiner Waldeinsam¬ keit herumräkelt. Dieser Heilige war selbst den Parisern, die doch eine gute Portion vertragen können, zu sonderbar. Gleichwohl gehört Hemmer zu den Koryphäen der Pariser Kunstwelt, zu den Malern, die man bewundern muß, weim man nicht in den Verdacht der Ignoranz gerathen will. Er hat sich eine Ausdrucksweise geschaffen, die für die Pariser gerade deshalb ihren besondern Reiz hat, weil sie geheimnißvoll und unverständlich ist. Wie Henuer ein Descendent Corots, so ist Jules Breton aufs innigste mit Jean Frau?vis Millet verwandt, dessen Gemälde aus dem Bauernleben

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 40, 1881, Drittes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341833_157968/87>, abgerufen am 25.11.2024.