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Die Grenzboten. Jg. 40, 1881, Drittes Quartal.

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Russische Agrcirzustände.

er satt ist, Vorrath hat, im Winter nach der Ernte, arbeitet er um kein Geld.
Es giebt im Süden Güter mit einer Ackerfläche von 5 und 6000 Hectaren, Sie
tonnen nnr mit Tagelöhnern oder ans Accord bearbeitet werden, aber Gebände
und Inventar müssen im Verhältniß zu dieser Ausdehnung erhalten werde".
Die Ausgaben hierfür sind groß und entsprechend groß die Gefahr, daß die
Hunderte von Knechte", welche man im Januar für Saat im April und Ernte
im August gedungen, zur Ernte ausbleiben. DaS Korn verfault dau" eben auf
dem Felde. Ich habe schon von manchem Großbesitzer nicht bloß der Nord¬
region, sondern der schwarzerdigen südlichen Striche gehört, daß die Gutsbesitzer
immer häufiger ihre Ackerslüche" einschränken oder eingehen lassen. Viele geben
sie den Bauern in Jahrespacht zur Nutzung; dann werden sie ausgesogen, bis
sie nicht mehr tragen, und dann wüst liegen gelassen. Andre legen ihre Aecker
gleich brach und machen daraus das, was sie ehedem waren, Weiden sür Rind¬
vieh, Schafe, Pferde. So leidet also auch die Productionskraft der Großbesitzer
unter der bäuerlichen Desorganisation und Mißwirthschaft. Nach Ablösung der
bäuerlichen Ländereien begann der Großbesitzcr seine finanzielle Klemme dadurch
zu heben, daß er möglichst viel neue Ackerflächen brach und mit Maschinen die
Ernte der gewaltigen Flächen einheimste. Aber die extensive Wirthschaft beginnt
immer unsicherer zu werde" Wege" der Unsicherheit der Arbeitskräfte und der
Erschöpfung des Bodens. Mit seltnen Ausnahmen ist der Grvßbesitzer pecuniür
außer Staude, eine rationelle Wirthschaft an die Stelle der hergebrachte" z" setze".
Ich glaube gewiß, daß, von dem letzten dürftigen Jahre auch abgesehen, nicht bloß
die bäuerliche, sondern anch die großbesitzliche Production deö Reiches in stete",
Sinken begriffen ist. Der dnrch die Eisenbahnbauten begründete große Auf-
schwung hat längst seinen Höhepunkt überschritten, und wir gehen nvthgedruugneu
Reforme" oder Krisen auf agrnrem Gebiete entgegen. Dieselben werden be¬
schleunigt durch das umgekehrte Verhalten der Agrarzustände Amerikas.

So wäre es von diesem Gesichtspunkte aus recht löblich, was, dem Scheine
nach, der Domänenminister Fürst Lieven, der auch die Landwirthschaft ver¬
tritt, in Angriff genommen hatte: durch die an mehreren Punkten des Reichs
tagende" landwirthschaftlichen Congresse die augenblickliche agrarc Lage
untersuchen und Anträge zu Reformen an den Minister richten zu lassen. Aber
hat sich alsbald herausgestellt, daß der Uebel so viele und des praktischen
Simws für das Verhältniß von nöthigen und möglichem in der Landwirth-
!abäst so wenig auf den rassischen Versanimlimgen Vorhäute" war, daß die
Sache keinen Gewinn davon haben wird. Zudem sind die neuen Staats¬
männer so sehr mit andern Dingen beschäftigt, daß sie schwerlich sich dieser land¬
wirthschaftlichen Congresse so bald erinnern werde". Es ist verhängnißvoll


Grenzboten III. 1331. 8
Russische Agrcirzustände.

er satt ist, Vorrath hat, im Winter nach der Ernte, arbeitet er um kein Geld.
Es giebt im Süden Güter mit einer Ackerfläche von 5 und 6000 Hectaren, Sie
tonnen nnr mit Tagelöhnern oder ans Accord bearbeitet werden, aber Gebände
und Inventar müssen im Verhältniß zu dieser Ausdehnung erhalten werde».
Die Ausgaben hierfür sind groß und entsprechend groß die Gefahr, daß die
Hunderte von Knechte», welche man im Januar für Saat im April und Ernte
im August gedungen, zur Ernte ausbleiben. DaS Korn verfault dau» eben auf
dem Felde. Ich habe schon von manchem Großbesitzer nicht bloß der Nord¬
region, sondern der schwarzerdigen südlichen Striche gehört, daß die Gutsbesitzer
immer häufiger ihre Ackerslüche» einschränken oder eingehen lassen. Viele geben
sie den Bauern in Jahrespacht zur Nutzung; dann werden sie ausgesogen, bis
sie nicht mehr tragen, und dann wüst liegen gelassen. Andre legen ihre Aecker
gleich brach und machen daraus das, was sie ehedem waren, Weiden sür Rind¬
vieh, Schafe, Pferde. So leidet also auch die Productionskraft der Großbesitzer
unter der bäuerlichen Desorganisation und Mißwirthschaft. Nach Ablösung der
bäuerlichen Ländereien begann der Großbesitzcr seine finanzielle Klemme dadurch
zu heben, daß er möglichst viel neue Ackerflächen brach und mit Maschinen die
Ernte der gewaltigen Flächen einheimste. Aber die extensive Wirthschaft beginnt
immer unsicherer zu werde» Wege» der Unsicherheit der Arbeitskräfte und der
Erschöpfung des Bodens. Mit seltnen Ausnahmen ist der Grvßbesitzer pecuniür
außer Staude, eine rationelle Wirthschaft an die Stelle der hergebrachte» z» setze».
Ich glaube gewiß, daß, von dem letzten dürftigen Jahre auch abgesehen, nicht bloß
die bäuerliche, sondern anch die großbesitzliche Production deö Reiches in stete»,
Sinken begriffen ist. Der dnrch die Eisenbahnbauten begründete große Auf-
schwung hat längst seinen Höhepunkt überschritten, und wir gehen nvthgedruugneu
Reforme» oder Krisen auf agrnrem Gebiete entgegen. Dieselben werden be¬
schleunigt durch das umgekehrte Verhalten der Agrarzustände Amerikas.

So wäre es von diesem Gesichtspunkte aus recht löblich, was, dem Scheine
nach, der Domänenminister Fürst Lieven, der auch die Landwirthschaft ver¬
tritt, in Angriff genommen hatte: durch die an mehreren Punkten des Reichs
tagende» landwirthschaftlichen Congresse die augenblickliche agrarc Lage
untersuchen und Anträge zu Reformen an den Minister richten zu lassen. Aber
hat sich alsbald herausgestellt, daß der Uebel so viele und des praktischen
Simws für das Verhältniß von nöthigen und möglichem in der Landwirth-
!abäst so wenig auf den rassischen Versanimlimgen Vorhäute» war, daß die
Sache keinen Gewinn davon haben wird. Zudem sind die neuen Staats¬
männer so sehr mit andern Dingen beschäftigt, daß sie schwerlich sich dieser land¬
wirthschaftlichen Congresse so bald erinnern werde». Es ist verhängnißvoll


Grenzboten III. 1331. 8
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[0065] Russische Agrcirzustände. er satt ist, Vorrath hat, im Winter nach der Ernte, arbeitet er um kein Geld. Es giebt im Süden Güter mit einer Ackerfläche von 5 und 6000 Hectaren, Sie tonnen nnr mit Tagelöhnern oder ans Accord bearbeitet werden, aber Gebände und Inventar müssen im Verhältniß zu dieser Ausdehnung erhalten werde». Die Ausgaben hierfür sind groß und entsprechend groß die Gefahr, daß die Hunderte von Knechte», welche man im Januar für Saat im April und Ernte im August gedungen, zur Ernte ausbleiben. DaS Korn verfault dau» eben auf dem Felde. Ich habe schon von manchem Großbesitzer nicht bloß der Nord¬ region, sondern der schwarzerdigen südlichen Striche gehört, daß die Gutsbesitzer immer häufiger ihre Ackerslüche» einschränken oder eingehen lassen. Viele geben sie den Bauern in Jahrespacht zur Nutzung; dann werden sie ausgesogen, bis sie nicht mehr tragen, und dann wüst liegen gelassen. Andre legen ihre Aecker gleich brach und machen daraus das, was sie ehedem waren, Weiden sür Rind¬ vieh, Schafe, Pferde. So leidet also auch die Productionskraft der Großbesitzer unter der bäuerlichen Desorganisation und Mißwirthschaft. Nach Ablösung der bäuerlichen Ländereien begann der Großbesitzcr seine finanzielle Klemme dadurch zu heben, daß er möglichst viel neue Ackerflächen brach und mit Maschinen die Ernte der gewaltigen Flächen einheimste. Aber die extensive Wirthschaft beginnt immer unsicherer zu werde» Wege» der Unsicherheit der Arbeitskräfte und der Erschöpfung des Bodens. Mit seltnen Ausnahmen ist der Grvßbesitzer pecuniür außer Staude, eine rationelle Wirthschaft an die Stelle der hergebrachte» z» setze». Ich glaube gewiß, daß, von dem letzten dürftigen Jahre auch abgesehen, nicht bloß die bäuerliche, sondern anch die großbesitzliche Production deö Reiches in stete», Sinken begriffen ist. Der dnrch die Eisenbahnbauten begründete große Auf- schwung hat längst seinen Höhepunkt überschritten, und wir gehen nvthgedruugneu Reforme» oder Krisen auf agrnrem Gebiete entgegen. Dieselben werden be¬ schleunigt durch das umgekehrte Verhalten der Agrarzustände Amerikas. So wäre es von diesem Gesichtspunkte aus recht löblich, was, dem Scheine nach, der Domänenminister Fürst Lieven, der auch die Landwirthschaft ver¬ tritt, in Angriff genommen hatte: durch die an mehreren Punkten des Reichs tagende» landwirthschaftlichen Congresse die augenblickliche agrarc Lage untersuchen und Anträge zu Reformen an den Minister richten zu lassen. Aber hat sich alsbald herausgestellt, daß der Uebel so viele und des praktischen Simws für das Verhältniß von nöthigen und möglichem in der Landwirth- !abäst so wenig auf den rassischen Versanimlimgen Vorhäute» war, daß die Sache keinen Gewinn davon haben wird. Zudem sind die neuen Staats¬ männer so sehr mit andern Dingen beschäftigt, daß sie schwerlich sich dieser land¬ wirthschaftlichen Congresse so bald erinnern werde». Es ist verhängnißvoll Grenzboten III. 1331. 8

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 40, 1881, Drittes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341833_157968/65>, abgerufen am 01.09.2024.