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Die Grenzboten. Jg. 40, 1881, Drittes Quartal.

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Die ägyptische Frage.

Wege zu einem baldigen Uebereinkommen ebnen muß. Die Furcht vor einer
Intervention mit türkischen Truppen kann vielleicht hinreichen, die meuterischen
Obersten zur Vernunft zu bringen, aber die Drohung muß angewendet werden, und
die Intervention muß nöthigenfalls stattfinden; denn es darf nicht geduldet werden,
daß der Fortschritt Aegyptens auch nur eine Stunde länger dnrch die Thorheiten
von Soldaten aufgehalten wird, die herrschen wollen, bevor sie gehorchen ge¬
lernt haben."

Betrachten wir den bisher erörterten Gegenstand näher, so ist kein Zweifel,
daß Frankreich und England durch die nach Absetzung Ismail Paschas in Aegypten
ins Leben getretene Reform außerordentlich gewonnen haben, und daß diese Re¬
form auch andern Staaten und Völkern Vortheile nicht geringer Art gebracht
hat. Wenn die Interessen der Besitzer ägyptischer Schuldtitel das einzige Motiv
bei der Intervention Frankreichs und Englands gewesen wären, die vor circa
dritthalb Jahren stattfand, so könnte man diesen Gläubigern Aegyptens Glück
wünschen, sich gute Verzinsung ihres Geldes verschafft und gleichzeitig die ganze
Welt mit Einschluß der Aegypter zu Danke verpflichtet zu haben. Unter der mehr¬
erwähnten gemeinsamen Controle hörte der Nilstaat auf, ein Land zu sein, dessen
elender Zustand fortwährend nach Abhilfe von außen schrie, und wurde ein wohl¬
geordneter, zahlungsfähiger und rasch aufblühender Staat. Die Bebauer des
Bodens wurden von dem bisher üblich gewesenen grausamen Erpressungssystem
befreit, erzwungne Arbeit kam fortan in Wegfall, und die militärische Aushebung
verlor ihren drückenden Charakter, von den großen Geldmärkten Europas strömte
Capital in Masse ins Land und vertheilte sich allmählich fast gleichmäßig über
das ganze Nilthal, soweit es einigermaßen dem Bereiche der Civilisation an¬
gehört. Nach allen Richtungen hin sah man industrielle Unternehmungen ent¬
stehen, allenthalben ging die europäische und die einheimische Speculation an
die Ausbeutung der reichen Hilfsquellen des Landes. Die Handhabung von
Gesetz und Recht verbreitete und verbesserte sich erheblich, und es geschah etwas
für Unterricht und Erziehung. Unter einem liberalen fiscalischen Systeme pro-
ducirte und consumirte das Land mit jedem Jahre mehr. stufenweise ging man
daran, die Sclaverei und den Sclavenhandel zu beseitigen.

Nur eine Institution entging der Reform: leider vergaß man bei der Ab¬
setzung Ismails die Auflösung wenigstens der Hälfte der von ihm geschaffnen
großen Armee anzuordnen, und diese Armee vegetirte in einer dumpfen Trägheit
fort, die schlimmer als bloß nutzlos war. "Die Faulheit des Kasernenlebens,"
wie es die Rvpublique Franchise nennt, gab den Leuten Muße, über einge¬
bildete Unrechten zu brüten und ließ sie zu Werkzeugen von Ränken werden,
die sehr wahrscheinlich von dem Tage an, wo Ismail nur mit einem Theil seiner
Anhänger und Kreaturen aus dem Hafen von Alexandrien abdampfte, bis auf
die heutige Stunde fortgespielt haben. Hätte man diese faullenzende Soldatesca
gegen die Abessinier geschickt oder sie zu Feldarbeiten beurlaubt, so würde es


Die ägyptische Frage.

Wege zu einem baldigen Uebereinkommen ebnen muß. Die Furcht vor einer
Intervention mit türkischen Truppen kann vielleicht hinreichen, die meuterischen
Obersten zur Vernunft zu bringen, aber die Drohung muß angewendet werden, und
die Intervention muß nöthigenfalls stattfinden; denn es darf nicht geduldet werden,
daß der Fortschritt Aegyptens auch nur eine Stunde länger dnrch die Thorheiten
von Soldaten aufgehalten wird, die herrschen wollen, bevor sie gehorchen ge¬
lernt haben."

Betrachten wir den bisher erörterten Gegenstand näher, so ist kein Zweifel,
daß Frankreich und England durch die nach Absetzung Ismail Paschas in Aegypten
ins Leben getretene Reform außerordentlich gewonnen haben, und daß diese Re¬
form auch andern Staaten und Völkern Vortheile nicht geringer Art gebracht
hat. Wenn die Interessen der Besitzer ägyptischer Schuldtitel das einzige Motiv
bei der Intervention Frankreichs und Englands gewesen wären, die vor circa
dritthalb Jahren stattfand, so könnte man diesen Gläubigern Aegyptens Glück
wünschen, sich gute Verzinsung ihres Geldes verschafft und gleichzeitig die ganze
Welt mit Einschluß der Aegypter zu Danke verpflichtet zu haben. Unter der mehr¬
erwähnten gemeinsamen Controle hörte der Nilstaat auf, ein Land zu sein, dessen
elender Zustand fortwährend nach Abhilfe von außen schrie, und wurde ein wohl¬
geordneter, zahlungsfähiger und rasch aufblühender Staat. Die Bebauer des
Bodens wurden von dem bisher üblich gewesenen grausamen Erpressungssystem
befreit, erzwungne Arbeit kam fortan in Wegfall, und die militärische Aushebung
verlor ihren drückenden Charakter, von den großen Geldmärkten Europas strömte
Capital in Masse ins Land und vertheilte sich allmählich fast gleichmäßig über
das ganze Nilthal, soweit es einigermaßen dem Bereiche der Civilisation an¬
gehört. Nach allen Richtungen hin sah man industrielle Unternehmungen ent¬
stehen, allenthalben ging die europäische und die einheimische Speculation an
die Ausbeutung der reichen Hilfsquellen des Landes. Die Handhabung von
Gesetz und Recht verbreitete und verbesserte sich erheblich, und es geschah etwas
für Unterricht und Erziehung. Unter einem liberalen fiscalischen Systeme pro-
ducirte und consumirte das Land mit jedem Jahre mehr. stufenweise ging man
daran, die Sclaverei und den Sclavenhandel zu beseitigen.

Nur eine Institution entging der Reform: leider vergaß man bei der Ab¬
setzung Ismails die Auflösung wenigstens der Hälfte der von ihm geschaffnen
großen Armee anzuordnen, und diese Armee vegetirte in einer dumpfen Trägheit
fort, die schlimmer als bloß nutzlos war. „Die Faulheit des Kasernenlebens,"
wie es die Rvpublique Franchise nennt, gab den Leuten Muße, über einge¬
bildete Unrechten zu brüten und ließ sie zu Werkzeugen von Ränken werden,
die sehr wahrscheinlich von dem Tage an, wo Ismail nur mit einem Theil seiner
Anhänger und Kreaturen aus dem Hafen von Alexandrien abdampfte, bis auf
die heutige Stunde fortgespielt haben. Hätte man diese faullenzende Soldatesca
gegen die Abessinier geschickt oder sie zu Feldarbeiten beurlaubt, so würde es


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 40, 1881, Drittes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341833_157968/539>, abgerufen am 25.11.2024.