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Die Grenzboten. Jg. 40, 1881, Drittes Quartal.

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Die ägyptische Frage.

tingcnten nahezu unerträglich sein. Die übrigen Mächte Europas würden der
Sache mit eifersüchtigen und mißtrauischen Blicken zusehen. Der Präccdcnzfall
in Syrien ist weit davon entfernt, zu dem Versuche zu ermuthigen, und unsre
wackern Verbündeten würden, einmal am Nil installirt, schwerer von dort
wieder wegzubringen sein als einst vom Libanon. Nicht die orientalische Frage
allein, sondern auch die afrikanische würde in solchem Falle auf das Tapet ge¬
bracht werden, und man würde das glimmende Feuer des muslimischen Fana¬
tismus in hellen Flammen auflodern sehen."

Hiernach scheint, wenn eine gemeinschaftliche Expedition Frankreichs und
Englands zur Herstellung der Ordnung in Aeghpten unmöglich sein sollte,
nichts übrig zu bleiben, als daß man die ottomanische Regierung mit jenem
Geschäfte betraut. Da der Sultan der Suzerän des Kedive ist, so würde es
natürlich sein, wenn er auf den Wunsch seines in Verlegenheit gerathenen Va¬
sallen einginge. Auch vom völkerrechtlichen Standpunkte aus würde sich dagegen
kaum etwas einwenden lassen. Alle Eifersucht, welche das soeben betrachtete
andre Verfahren erwecken müßte, wäre, so sollte man meinen, vermieden. Seltsam,
so könnte man Gegnern dieses Planes zurufen, daß England und Frankreich,
die sich der Pforte bedienten, um die Entfernung des Kedive Ismail aus
Aegypten zu bewirken, den Kedive Tewfik nicht mit demselben Werkzeuge auf
den Beinen zu erhalte"? imstande sein sollen. Ein kleines Heer von Türken
unter einem tüchtigen und verstündigen Befehlshaber, etwa unter Mukhtar oder
Nedjib, würde, so kann man weiter vermuthen, ganz sicher bei der Wiederherstellung
der Ordnung seine Pflicht thun, und eine klare und bestimmte Verständigung
zwischen den Westmächten und der Türkei würde verhindern, daß die Occupa-
tionstruppen über jene ihre Pflicht hinausgingen, und daß sie zu lange im
Lande blieben. Die Möglichkeit einer derartigen Verständigung bezweifeln, hieße
Thatsachen bezweifeln, die sich bereits vollzogen haben; denn fürwahr, wenn
die gemeinsame Controle über die Justiz und die Finanzen Aegyptens mehrere
Jahre ihren Fortgang in guter Harmonie gehabt hat, so kann es doch keine
unüberwindlichen Schwierigkeiten haben, diese Controle so zu stellen, daß deren
Ausübung gegen die Anmaßung einiger Hundert oder Tausend eingeborner
Soldaten gesichert ist.

Wir leugnen nicht, so fahren englische Fürsprecher dieses Auswegs fort,
daß die Verwendung ottomanischer Truppen einige bedenkliche Seiten hat. "Die
sichtliche Huldigung, die auf diese Weise der Autorität des Sultans dargebracht
werden würde," sagt ein Artikel des Daily Telegraph, "könnte die Hoffnungen
der Muhammedaner in ganz Nordafrika steigern und erhitzen und vielleicht in seiner
eignen Seele Visionen eines vergrößerten Prestige entstehen lassen, die nur auf
grausame Enttäuschung hinauslaufen könnten. Aber englische und französische
Staatsmänner dürfen vor solchen Hindernissen nicht die Segel streichen, und
zwischen den beiden Regierungen herrscht gegenseitiges Zutrauen (?), welches die


Die ägyptische Frage.

tingcnten nahezu unerträglich sein. Die übrigen Mächte Europas würden der
Sache mit eifersüchtigen und mißtrauischen Blicken zusehen. Der Präccdcnzfall
in Syrien ist weit davon entfernt, zu dem Versuche zu ermuthigen, und unsre
wackern Verbündeten würden, einmal am Nil installirt, schwerer von dort
wieder wegzubringen sein als einst vom Libanon. Nicht die orientalische Frage
allein, sondern auch die afrikanische würde in solchem Falle auf das Tapet ge¬
bracht werden, und man würde das glimmende Feuer des muslimischen Fana¬
tismus in hellen Flammen auflodern sehen."

Hiernach scheint, wenn eine gemeinschaftliche Expedition Frankreichs und
Englands zur Herstellung der Ordnung in Aeghpten unmöglich sein sollte,
nichts übrig zu bleiben, als daß man die ottomanische Regierung mit jenem
Geschäfte betraut. Da der Sultan der Suzerän des Kedive ist, so würde es
natürlich sein, wenn er auf den Wunsch seines in Verlegenheit gerathenen Va¬
sallen einginge. Auch vom völkerrechtlichen Standpunkte aus würde sich dagegen
kaum etwas einwenden lassen. Alle Eifersucht, welche das soeben betrachtete
andre Verfahren erwecken müßte, wäre, so sollte man meinen, vermieden. Seltsam,
so könnte man Gegnern dieses Planes zurufen, daß England und Frankreich,
die sich der Pforte bedienten, um die Entfernung des Kedive Ismail aus
Aegypten zu bewirken, den Kedive Tewfik nicht mit demselben Werkzeuge auf
den Beinen zu erhalte»? imstande sein sollen. Ein kleines Heer von Türken
unter einem tüchtigen und verstündigen Befehlshaber, etwa unter Mukhtar oder
Nedjib, würde, so kann man weiter vermuthen, ganz sicher bei der Wiederherstellung
der Ordnung seine Pflicht thun, und eine klare und bestimmte Verständigung
zwischen den Westmächten und der Türkei würde verhindern, daß die Occupa-
tionstruppen über jene ihre Pflicht hinausgingen, und daß sie zu lange im
Lande blieben. Die Möglichkeit einer derartigen Verständigung bezweifeln, hieße
Thatsachen bezweifeln, die sich bereits vollzogen haben; denn fürwahr, wenn
die gemeinsame Controle über die Justiz und die Finanzen Aegyptens mehrere
Jahre ihren Fortgang in guter Harmonie gehabt hat, so kann es doch keine
unüberwindlichen Schwierigkeiten haben, diese Controle so zu stellen, daß deren
Ausübung gegen die Anmaßung einiger Hundert oder Tausend eingeborner
Soldaten gesichert ist.

Wir leugnen nicht, so fahren englische Fürsprecher dieses Auswegs fort,
daß die Verwendung ottomanischer Truppen einige bedenkliche Seiten hat. „Die
sichtliche Huldigung, die auf diese Weise der Autorität des Sultans dargebracht
werden würde," sagt ein Artikel des Daily Telegraph, „könnte die Hoffnungen
der Muhammedaner in ganz Nordafrika steigern und erhitzen und vielleicht in seiner
eignen Seele Visionen eines vergrößerten Prestige entstehen lassen, die nur auf
grausame Enttäuschung hinauslaufen könnten. Aber englische und französische
Staatsmänner dürfen vor solchen Hindernissen nicht die Segel streichen, und
zwischen den beiden Regierungen herrscht gegenseitiges Zutrauen (?), welches die


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[0538] Die ägyptische Frage. tingcnten nahezu unerträglich sein. Die übrigen Mächte Europas würden der Sache mit eifersüchtigen und mißtrauischen Blicken zusehen. Der Präccdcnzfall in Syrien ist weit davon entfernt, zu dem Versuche zu ermuthigen, und unsre wackern Verbündeten würden, einmal am Nil installirt, schwerer von dort wieder wegzubringen sein als einst vom Libanon. Nicht die orientalische Frage allein, sondern auch die afrikanische würde in solchem Falle auf das Tapet ge¬ bracht werden, und man würde das glimmende Feuer des muslimischen Fana¬ tismus in hellen Flammen auflodern sehen." Hiernach scheint, wenn eine gemeinschaftliche Expedition Frankreichs und Englands zur Herstellung der Ordnung in Aeghpten unmöglich sein sollte, nichts übrig zu bleiben, als daß man die ottomanische Regierung mit jenem Geschäfte betraut. Da der Sultan der Suzerän des Kedive ist, so würde es natürlich sein, wenn er auf den Wunsch seines in Verlegenheit gerathenen Va¬ sallen einginge. Auch vom völkerrechtlichen Standpunkte aus würde sich dagegen kaum etwas einwenden lassen. Alle Eifersucht, welche das soeben betrachtete andre Verfahren erwecken müßte, wäre, so sollte man meinen, vermieden. Seltsam, so könnte man Gegnern dieses Planes zurufen, daß England und Frankreich, die sich der Pforte bedienten, um die Entfernung des Kedive Ismail aus Aegypten zu bewirken, den Kedive Tewfik nicht mit demselben Werkzeuge auf den Beinen zu erhalte»? imstande sein sollen. Ein kleines Heer von Türken unter einem tüchtigen und verstündigen Befehlshaber, etwa unter Mukhtar oder Nedjib, würde, so kann man weiter vermuthen, ganz sicher bei der Wiederherstellung der Ordnung seine Pflicht thun, und eine klare und bestimmte Verständigung zwischen den Westmächten und der Türkei würde verhindern, daß die Occupa- tionstruppen über jene ihre Pflicht hinausgingen, und daß sie zu lange im Lande blieben. Die Möglichkeit einer derartigen Verständigung bezweifeln, hieße Thatsachen bezweifeln, die sich bereits vollzogen haben; denn fürwahr, wenn die gemeinsame Controle über die Justiz und die Finanzen Aegyptens mehrere Jahre ihren Fortgang in guter Harmonie gehabt hat, so kann es doch keine unüberwindlichen Schwierigkeiten haben, diese Controle so zu stellen, daß deren Ausübung gegen die Anmaßung einiger Hundert oder Tausend eingeborner Soldaten gesichert ist. Wir leugnen nicht, so fahren englische Fürsprecher dieses Auswegs fort, daß die Verwendung ottomanischer Truppen einige bedenkliche Seiten hat. „Die sichtliche Huldigung, die auf diese Weise der Autorität des Sultans dargebracht werden würde," sagt ein Artikel des Daily Telegraph, „könnte die Hoffnungen der Muhammedaner in ganz Nordafrika steigern und erhitzen und vielleicht in seiner eignen Seele Visionen eines vergrößerten Prestige entstehen lassen, die nur auf grausame Enttäuschung hinauslaufen könnten. Aber englische und französische Staatsmänner dürfen vor solchen Hindernissen nicht die Segel streichen, und zwischen den beiden Regierungen herrscht gegenseitiges Zutrauen (?), welches die

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 40, 1881, Drittes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341833_157968/538>, abgerufen am 01.09.2024.