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Die Grenzboten. Jg. 40, 1881, Drittes Quartal.

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Die akademische Kunstausstellung in Berlin.

fallen. Ihre Mitglieder sind durchweg ehrenwerthe Männer, die nicht durch
kleinliche oder egoistische Rücksichten geleitet werden. Verkannte Genies oder
große Talente, die aus Neid oder Furcht unterdrückt worden sind,-werden wir
also nicht zu sehen bekommen.

Die Ausstellung liefert uns Beweise genug für die außerordentliche Nach¬
sicht, welche die Jury, wie schon bemerkt worden, in ihrem kritischen Amte geübt
hat. Von 1118 Werken Hütte ganz gut noch die Hälfte ausgeschieden werden
können, ohne daß die Gcsammtphysiognomic der Ausstellung auch nur einen
charakteristischen Zug eingebüßt haben würde. Und unter den übrig ge¬
bliebenen S60 Nummern würde man alsdann noch kaum hundert ausfindig
machen können, welche mit Rücksicht auf die Namen ihrer Autoren oder auf
ihren thatsächlichen Werth Beachtung verdienen.

Was bleibt, wenn man z. B. die 120 Porträts hat Revue Passiren lassen?
Berühmte Künstler, mit denen wir gewisse Erwartungen verbinden, haben nus
in diesem Jahre enttäuscht. Jene Damcnbildnisse von Gustav Richter halte"
nach keiner Richtung den Vergleich mit frühern Arbeiten des Künstlers aus.
Richter steht seit Jahren unter dem Banne eines schweren gichtischen Leidens.
Wie weiland König Friedrich Wilhelm 1. könnte er auf jedes seiner Bilder
schreiben: ,7n tormsntis xinxit. Aber es scheint nicht, daß körperliche Leiden
seinen Geist gelähmt, sein klares Auge getrübt haben. Es ist nur nicht seine
Sache, ältere Damen zu malen. Gustav Richter ist der Mater der frische",
blühenden Jugend, der Maler der Frauenschönheit, die eine gewisse Grenze noch
nicht überschritten hat. Wenn er ältere Damen und Männer malt, leistet er
ja immer noch etwas gutes, achtbares, gediegenes, was hoch über dem Troß
steht, aber er bezeichnet nicht die Höhe seines Könnens. Andreas Gnssvw
entwickelt als Porträtmaler eine wahre Proteusnatnr, eine Versatilität, die in
der ganzen Porträtmalerei ihresgleichen sucht. Rembrandt bleibt in allen seinen
Bildnissen immer Rembrandt, Holbein verleugnet in seinen Porträts niemals
das eigenthümliche Email seiner Malweise und bau Dyck die lyrische Empfind¬
samkeit seiner eignen Natur. Gnssow dagegen sucht und findet für jeden Kopf
eine adäquate malerische Ausdrucksweise. Bei einem männlichen Angesicht, dessen
Teint durch die Luft oder durch andre Einflüsse etwas geröthet ist, werde" die
Achter viel kecker und schärfer aufgesetzt als auf die feinen blassen Züge einer
alten Dame; sie umfließt das Licht ruhig und gleichmäßig. Dort scheint der
Pinsel wild über die Leinwand geflogen zu sei", hier hat er wie schmeichelnd
u"d liebkosend die zarten Formen umspielt und hernnsnwdellirt und in der
täuschenden Nachbildung des Pupillcnglauzes einen vollkommnen Triumph über
den undurchsichtigen Farbenkörpcr gefeiert. Ein drittes Porträt, das einer
jmigern Dame, ganz von vorn gesehen, ist wiederum völlig verschieden be¬
handelt, fest und kernig, wie es dem resoluter Charakter der Dargestellten,
der schon aus ihren Augen blitzt, angemessen war. Mit jedem neuen Werke


Die akademische Kunstausstellung in Berlin.

fallen. Ihre Mitglieder sind durchweg ehrenwerthe Männer, die nicht durch
kleinliche oder egoistische Rücksichten geleitet werden. Verkannte Genies oder
große Talente, die aus Neid oder Furcht unterdrückt worden sind,-werden wir
also nicht zu sehen bekommen.

Die Ausstellung liefert uns Beweise genug für die außerordentliche Nach¬
sicht, welche die Jury, wie schon bemerkt worden, in ihrem kritischen Amte geübt
hat. Von 1118 Werken Hütte ganz gut noch die Hälfte ausgeschieden werden
können, ohne daß die Gcsammtphysiognomic der Ausstellung auch nur einen
charakteristischen Zug eingebüßt haben würde. Und unter den übrig ge¬
bliebenen S60 Nummern würde man alsdann noch kaum hundert ausfindig
machen können, welche mit Rücksicht auf die Namen ihrer Autoren oder auf
ihren thatsächlichen Werth Beachtung verdienen.

Was bleibt, wenn man z. B. die 120 Porträts hat Revue Passiren lassen?
Berühmte Künstler, mit denen wir gewisse Erwartungen verbinden, haben nus
in diesem Jahre enttäuscht. Jene Damcnbildnisse von Gustav Richter halte»
nach keiner Richtung den Vergleich mit frühern Arbeiten des Künstlers aus.
Richter steht seit Jahren unter dem Banne eines schweren gichtischen Leidens.
Wie weiland König Friedrich Wilhelm 1. könnte er auf jedes seiner Bilder
schreiben: ,7n tormsntis xinxit. Aber es scheint nicht, daß körperliche Leiden
seinen Geist gelähmt, sein klares Auge getrübt haben. Es ist nur nicht seine
Sache, ältere Damen zu malen. Gustav Richter ist der Mater der frische»,
blühenden Jugend, der Maler der Frauenschönheit, die eine gewisse Grenze noch
nicht überschritten hat. Wenn er ältere Damen und Männer malt, leistet er
ja immer noch etwas gutes, achtbares, gediegenes, was hoch über dem Troß
steht, aber er bezeichnet nicht die Höhe seines Könnens. Andreas Gnssvw
entwickelt als Porträtmaler eine wahre Proteusnatnr, eine Versatilität, die in
der ganzen Porträtmalerei ihresgleichen sucht. Rembrandt bleibt in allen seinen
Bildnissen immer Rembrandt, Holbein verleugnet in seinen Porträts niemals
das eigenthümliche Email seiner Malweise und bau Dyck die lyrische Empfind¬
samkeit seiner eignen Natur. Gnssow dagegen sucht und findet für jeden Kopf
eine adäquate malerische Ausdrucksweise. Bei einem männlichen Angesicht, dessen
Teint durch die Luft oder durch andre Einflüsse etwas geröthet ist, werde» die
Achter viel kecker und schärfer aufgesetzt als auf die feinen blassen Züge einer
alten Dame; sie umfließt das Licht ruhig und gleichmäßig. Dort scheint der
Pinsel wild über die Leinwand geflogen zu sei», hier hat er wie schmeichelnd
u»d liebkosend die zarten Formen umspielt und hernnsnwdellirt und in der
täuschenden Nachbildung des Pupillcnglauzes einen vollkommnen Triumph über
den undurchsichtigen Farbenkörpcr gefeiert. Ein drittes Porträt, das einer
jmigern Dame, ganz von vorn gesehen, ist wiederum völlig verschieden be¬
handelt, fest und kernig, wie es dem resoluter Charakter der Dargestellten,
der schon aus ihren Augen blitzt, angemessen war. Mit jedem neuen Werke


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[0519] Die akademische Kunstausstellung in Berlin. fallen. Ihre Mitglieder sind durchweg ehrenwerthe Männer, die nicht durch kleinliche oder egoistische Rücksichten geleitet werden. Verkannte Genies oder große Talente, die aus Neid oder Furcht unterdrückt worden sind,-werden wir also nicht zu sehen bekommen. Die Ausstellung liefert uns Beweise genug für die außerordentliche Nach¬ sicht, welche die Jury, wie schon bemerkt worden, in ihrem kritischen Amte geübt hat. Von 1118 Werken Hütte ganz gut noch die Hälfte ausgeschieden werden können, ohne daß die Gcsammtphysiognomic der Ausstellung auch nur einen charakteristischen Zug eingebüßt haben würde. Und unter den übrig ge¬ bliebenen S60 Nummern würde man alsdann noch kaum hundert ausfindig machen können, welche mit Rücksicht auf die Namen ihrer Autoren oder auf ihren thatsächlichen Werth Beachtung verdienen. Was bleibt, wenn man z. B. die 120 Porträts hat Revue Passiren lassen? Berühmte Künstler, mit denen wir gewisse Erwartungen verbinden, haben nus in diesem Jahre enttäuscht. Jene Damcnbildnisse von Gustav Richter halte» nach keiner Richtung den Vergleich mit frühern Arbeiten des Künstlers aus. Richter steht seit Jahren unter dem Banne eines schweren gichtischen Leidens. Wie weiland König Friedrich Wilhelm 1. könnte er auf jedes seiner Bilder schreiben: ,7n tormsntis xinxit. Aber es scheint nicht, daß körperliche Leiden seinen Geist gelähmt, sein klares Auge getrübt haben. Es ist nur nicht seine Sache, ältere Damen zu malen. Gustav Richter ist der Mater der frische», blühenden Jugend, der Maler der Frauenschönheit, die eine gewisse Grenze noch nicht überschritten hat. Wenn er ältere Damen und Männer malt, leistet er ja immer noch etwas gutes, achtbares, gediegenes, was hoch über dem Troß steht, aber er bezeichnet nicht die Höhe seines Könnens. Andreas Gnssvw entwickelt als Porträtmaler eine wahre Proteusnatnr, eine Versatilität, die in der ganzen Porträtmalerei ihresgleichen sucht. Rembrandt bleibt in allen seinen Bildnissen immer Rembrandt, Holbein verleugnet in seinen Porträts niemals das eigenthümliche Email seiner Malweise und bau Dyck die lyrische Empfind¬ samkeit seiner eignen Natur. Gnssow dagegen sucht und findet für jeden Kopf eine adäquate malerische Ausdrucksweise. Bei einem männlichen Angesicht, dessen Teint durch die Luft oder durch andre Einflüsse etwas geröthet ist, werde» die Achter viel kecker und schärfer aufgesetzt als auf die feinen blassen Züge einer alten Dame; sie umfließt das Licht ruhig und gleichmäßig. Dort scheint der Pinsel wild über die Leinwand geflogen zu sei», hier hat er wie schmeichelnd u»d liebkosend die zarten Formen umspielt und hernnsnwdellirt und in der täuschenden Nachbildung des Pupillcnglauzes einen vollkommnen Triumph über den undurchsichtigen Farbenkörpcr gefeiert. Ein drittes Porträt, das einer jmigern Dame, ganz von vorn gesehen, ist wiederum völlig verschieden be¬ handelt, fest und kernig, wie es dem resoluter Charakter der Dargestellten, der schon aus ihren Augen blitzt, angemessen war. Mit jedem neuen Werke

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 40, 1881, Drittes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341833_157968/519>, abgerufen am 25.12.2024.