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Die Grenzboten. Jg. 40, 1881, Drittes Quartal.

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Neueste Blüten deutscher Lyrik.

Und an Völkern*) lernte ich verstehen,
Wie Kunst verkläret selbst den Kindermord.
Den Landsmnun Dürer freut' ich mich zu finde"
In solcher Koryphäen hohem Reigen;
Doch mit Mantegna's Krippe zu vergleichen
Die seine, möcht' ich nicht mich untcrwindeu.
Viel eher möcht' ich Tizians Porträte
An denen von Nun Dijk und Fmncia "vagen.
Doch wer vermag des gleiche" Maßstabs Kette
An Naffnels Papst Julius zu lege"?
Wer Piombo's' "Fornarina" zu erheben
Zur Florentiner!" des Urbiuale"?
Und darf sich diese ird'sche Schvllhcit galten
Den hinimlischen, die ihr zur Seite schweben?

S, 49 zieht es unsern Kunstfreund


nach de" toScan'schen Säälen,
Doch ich vernahm: die seien heut geschlossen.
Als ich's vernahm -- ich will es nicht verhehle" --
Da hat die schlimme Kunde mich verdrossen.

Seine Studien in der Uffizieugalerie infolgedessen verengert, widmet er seine
Anfnierksamkeit vorläufig andern Kunstwerken der Arnostadt. Jünger der Kunst¬
geschichte wird auch hier die Gewandtheit überraschen, mit welcher ästhetische Ur¬
theile in Verse gebracht sind. Man höre z> B. was über die Marmorbekleidung
von S. Maria del Fiore gesagt wird:


Hell und dunkel wie ein bunt Gefieder
Legt Getäfel sich um ihren Leib,
Giebt ein Maß für diese Riesenglieder
Und zieht doch ins Kleine sie hernieder,
Unorganisch, wie zum Zeitvertreib.

Noch ergötzlicher fast wirken die Betrachtungen, zu denen das Baptisterium Anlaß
bietet (S. 51 f.):


Nun hinein! Von goldnen Capitälen
Eingerahmt im ernsten Octogon
schimmern Mosaiken und erzählen,
Wie die Kunst sich aus dem E! zu schälen
Trachtete seit Tafi'S Zeiten schon----
Nun zur dritten Thür, der wunderbnren,
Wo derselbe Meister""") die Geschichten
Altes Bunds in perspektivisch klaren
Gruppen, Haufen, ganzen Hecresschaaren
Uns ergreifend schön Weib zu berichte".

Ueber Giotto heißt es S. 61:


Was ihm noch fehlt, truü jeder Stümper sagen.
Sieh dir in Santa Croce's hohem Chor
Die Fresken an, die ihn so laut verklage":
Noch sei in Fesseln seine Kunst geschlagen.
"Welch einen Faltenwurf er sich erkor!
Die Kleider kommen uns wie Säcke vor.
Die Augen, ach, wie sind sie schräg gezogen,
Und die Gesichter oft noch wie verbogen!"



*) Gemeine ist Daniel da Völkern, eiqeutlich Rieciarelli.
**
) Lorenzo Ghiberti.
Neueste Blüten deutscher Lyrik.

Und an Völkern*) lernte ich verstehen,
Wie Kunst verkläret selbst den Kindermord.
Den Landsmnun Dürer freut' ich mich zu finde»
In solcher Koryphäen hohem Reigen;
Doch mit Mantegna's Krippe zu vergleichen
Die seine, möcht' ich nicht mich untcrwindeu.
Viel eher möcht' ich Tizians Porträte
An denen von Nun Dijk und Fmncia »vagen.
Doch wer vermag des gleiche» Maßstabs Kette
An Naffnels Papst Julius zu lege»?
Wer Piombo's' „Fornarina" zu erheben
Zur Florentiner!» des Urbiuale»?
Und darf sich diese ird'sche Schvllhcit galten
Den hinimlischen, die ihr zur Seite schweben?

S, 49 zieht es unsern Kunstfreund


nach de» toScan'schen Säälen,
Doch ich vernahm: die seien heut geschlossen.
Als ich's vernahm — ich will es nicht verhehle» —
Da hat die schlimme Kunde mich verdrossen.

Seine Studien in der Uffizieugalerie infolgedessen verengert, widmet er seine
Anfnierksamkeit vorläufig andern Kunstwerken der Arnostadt. Jünger der Kunst¬
geschichte wird auch hier die Gewandtheit überraschen, mit welcher ästhetische Ur¬
theile in Verse gebracht sind. Man höre z> B. was über die Marmorbekleidung
von S. Maria del Fiore gesagt wird:


Hell und dunkel wie ein bunt Gefieder
Legt Getäfel sich um ihren Leib,
Giebt ein Maß für diese Riesenglieder
Und zieht doch ins Kleine sie hernieder,
Unorganisch, wie zum Zeitvertreib.

Noch ergötzlicher fast wirken die Betrachtungen, zu denen das Baptisterium Anlaß
bietet (S. 51 f.):


Nun hinein! Von goldnen Capitälen
Eingerahmt im ernsten Octogon
schimmern Mosaiken und erzählen,
Wie die Kunst sich aus dem E! zu schälen
Trachtete seit Tafi'S Zeiten schon----
Nun zur dritten Thür, der wunderbnren,
Wo derselbe Meister""») die Geschichten
Altes Bunds in perspektivisch klaren
Gruppen, Haufen, ganzen Hecresschaaren
Uns ergreifend schön Weib zu berichte».

Ueber Giotto heißt es S. 61:


Was ihm noch fehlt, truü jeder Stümper sagen.
Sieh dir in Santa Croce's hohem Chor
Die Fresken an, die ihn so laut verklage»:
Noch sei in Fesseln seine Kunst geschlagen.
„Welch einen Faltenwurf er sich erkor!
Die Kleider kommen uns wie Säcke vor.
Die Augen, ach, wie sind sie schräg gezogen,
Und die Gesichter oft noch wie verbogen!"



*) Gemeine ist Daniel da Völkern, eiqeutlich Rieciarelli.
**
) Lorenzo Ghiberti.
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[0511] Neueste Blüten deutscher Lyrik. Und an Völkern*) lernte ich verstehen, Wie Kunst verkläret selbst den Kindermord. Den Landsmnun Dürer freut' ich mich zu finde» In solcher Koryphäen hohem Reigen; Doch mit Mantegna's Krippe zu vergleichen Die seine, möcht' ich nicht mich untcrwindeu. Viel eher möcht' ich Tizians Porträte An denen von Nun Dijk und Fmncia »vagen. Doch wer vermag des gleiche» Maßstabs Kette An Naffnels Papst Julius zu lege»? Wer Piombo's' „Fornarina" zu erheben Zur Florentiner!» des Urbiuale»? Und darf sich diese ird'sche Schvllhcit galten Den hinimlischen, die ihr zur Seite schweben? S, 49 zieht es unsern Kunstfreund nach de» toScan'schen Säälen, Doch ich vernahm: die seien heut geschlossen. Als ich's vernahm — ich will es nicht verhehle» — Da hat die schlimme Kunde mich verdrossen. Seine Studien in der Uffizieugalerie infolgedessen verengert, widmet er seine Anfnierksamkeit vorläufig andern Kunstwerken der Arnostadt. Jünger der Kunst¬ geschichte wird auch hier die Gewandtheit überraschen, mit welcher ästhetische Ur¬ theile in Verse gebracht sind. Man höre z> B. was über die Marmorbekleidung von S. Maria del Fiore gesagt wird: Hell und dunkel wie ein bunt Gefieder Legt Getäfel sich um ihren Leib, Giebt ein Maß für diese Riesenglieder Und zieht doch ins Kleine sie hernieder, Unorganisch, wie zum Zeitvertreib. Noch ergötzlicher fast wirken die Betrachtungen, zu denen das Baptisterium Anlaß bietet (S. 51 f.): Nun hinein! Von goldnen Capitälen Eingerahmt im ernsten Octogon schimmern Mosaiken und erzählen, Wie die Kunst sich aus dem E! zu schälen Trachtete seit Tafi'S Zeiten schon---- Nun zur dritten Thür, der wunderbnren, Wo derselbe Meister""») die Geschichten Altes Bunds in perspektivisch klaren Gruppen, Haufen, ganzen Hecresschaaren Uns ergreifend schön Weib zu berichte». Ueber Giotto heißt es S. 61: Was ihm noch fehlt, truü jeder Stümper sagen. Sieh dir in Santa Croce's hohem Chor Die Fresken an, die ihn so laut verklage»: Noch sei in Fesseln seine Kunst geschlagen. „Welch einen Faltenwurf er sich erkor! Die Kleider kommen uns wie Säcke vor. Die Augen, ach, wie sind sie schräg gezogen, Und die Gesichter oft noch wie verbogen!" *) Gemeine ist Daniel da Völkern, eiqeutlich Rieciarelli. ** ) Lorenzo Ghiberti.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 40, 1881, Drittes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341833_157968/511>, abgerufen am 01.09.2024.