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Die Grenzboten. Jg. 40, 1881, Drittes Quartal.

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Politische Rückblick.? und Ausblicke.

wenn die Antwortsadresse auf die Thronrede eine neuntägige Reihenfolge der
heftigsten Debatte" erforderte. Auch später thaten die Jrländer ihr äußerstes,
Beschlusse zu verzögern und womöglich zu vereiteln. Die Conservativen unter¬
stützte" die liberale Regierung ehrlich bei ihren etwas schwächlichen Bemühungen,
die Ordnung aufrecht zu erhalten und Irland durch eine außerordentlich wohl¬
wollende und großmüthige Landbill im Interesse der Pächter zufriedenzustellen.
Ein Mitglied des Unterhauses, Dillon, wurde, nachdem er allerlei lcmdesver-
rätherische Ansichten im Hause selbst geäußert, wegen Aufreizung zu Verbrechen
außerhalb desselben ins Gefängniß gebracht. Bald darauf mußte ein andres
Mitglied, Biggar, wegen Ungebühr ausgestoßen werden. Im Februar wider¬
setzten sich die Anhänger des Agitators Parnell der Einbringung der irischen
Zwangsbill so hartnäckig durch unaufhörliches Reden und Antragstelleu, daß
nach einundvierzigstündiger ununterbrvchner Debatte der Sprecher sich gezwungen
sah, auf seine eigne Autorität hin, also mit einer Art Staatsstreich, der Hem¬
mung ein Ende zu machen. Am nächsten Tage wurden Parnell und seine Partei,
im ganzen fünfunddreißig Deputirte, für die Dauer der Sitzung aus dem Hanse
verwiesen. Die Aufregung über die "dahinsterbenden Freiheiten des Parlaments"
war ungeheuer. Trotzdem wurde die Zwaugsbill eingebracht und in kurzer Zeit
Gesetz. Die Jrländer, auf jene massive Art vou der Mehrheit niedergedämpft,
wagten eine Zeit lang kaum mehr den Mund aufzuthun.

Im weitern Verlaufe der Session wurden im Unterhause über zweihundert
Gesetzentwürfe eingebracht, aber nur sehr wenige und, mit Ausnahme der Ir¬
land betreffende", nicht die wichtigsten fanden Erledigung. Inzwischen wurde
wieder el" Mitglied des HcuiseS, der Atheist Bradlaugh, der durchcniS einge-
schworen sein wollte, obwohl er an keinen Gott zu glauben erklärte, mit Ge¬
walt aus der Mitte der Volksvertreter entfernt, wobei es zu einem sehr häßlichen
Auftritte kam.

Die Rede, mit welcher Gladstone am 8. April die irische Landbill empfahl,
war eine höchst achtbare oratorische Leistung. Die Bill fand vielfache Opposition
sowohl von feiten der Conservativen, die darin zu viel, als von selten der
Jrländer, welche zu wenig zugestanden sahen. Auch hierbei legten mehrere
von den letztern eine fast unglaubliche Dreistigkeit und Ungeschliffenheit an den
Tag, uuter der auch der Premierminister wiederholt zu leiden hatte, sodaß ein
großes englisches Blatt sich vernehmen ließ: "Wenn in der nächste" Session
des Parlaments nichts zur Besserung dieses Uebelstandes geschieht, so wird die
"lec höfliche Form der Debatte für einige Zeit ganz hinweggefegt werden und
die Manieren des Unterhauses werden nnter das Niveau derer sinken, die bei
den Erörterungen von Gesellschaften üblich sind, welche i" ordinären Schenke"
sich versammeln." Das Oberhaus übte strengere Kritik a" dem Gesetzentwurfe
der Regierung. Obwohl es damit sich nur seines guten Rechts bediente, und
die Landbill bei näherer Betrachtung erheblich verbessert ans ihm hervorging,


Politische Rückblick.? und Ausblicke.

wenn die Antwortsadresse auf die Thronrede eine neuntägige Reihenfolge der
heftigsten Debatte» erforderte. Auch später thaten die Jrländer ihr äußerstes,
Beschlusse zu verzögern und womöglich zu vereiteln. Die Conservativen unter¬
stützte» die liberale Regierung ehrlich bei ihren etwas schwächlichen Bemühungen,
die Ordnung aufrecht zu erhalten und Irland durch eine außerordentlich wohl¬
wollende und großmüthige Landbill im Interesse der Pächter zufriedenzustellen.
Ein Mitglied des Unterhauses, Dillon, wurde, nachdem er allerlei lcmdesver-
rätherische Ansichten im Hause selbst geäußert, wegen Aufreizung zu Verbrechen
außerhalb desselben ins Gefängniß gebracht. Bald darauf mußte ein andres
Mitglied, Biggar, wegen Ungebühr ausgestoßen werden. Im Februar wider¬
setzten sich die Anhänger des Agitators Parnell der Einbringung der irischen
Zwangsbill so hartnäckig durch unaufhörliches Reden und Antragstelleu, daß
nach einundvierzigstündiger ununterbrvchner Debatte der Sprecher sich gezwungen
sah, auf seine eigne Autorität hin, also mit einer Art Staatsstreich, der Hem¬
mung ein Ende zu machen. Am nächsten Tage wurden Parnell und seine Partei,
im ganzen fünfunddreißig Deputirte, für die Dauer der Sitzung aus dem Hanse
verwiesen. Die Aufregung über die „dahinsterbenden Freiheiten des Parlaments"
war ungeheuer. Trotzdem wurde die Zwaugsbill eingebracht und in kurzer Zeit
Gesetz. Die Jrländer, auf jene massive Art vou der Mehrheit niedergedämpft,
wagten eine Zeit lang kaum mehr den Mund aufzuthun.

Im weitern Verlaufe der Session wurden im Unterhause über zweihundert
Gesetzentwürfe eingebracht, aber nur sehr wenige und, mit Ausnahme der Ir¬
land betreffende», nicht die wichtigsten fanden Erledigung. Inzwischen wurde
wieder el» Mitglied des HcuiseS, der Atheist Bradlaugh, der durchcniS einge-
schworen sein wollte, obwohl er an keinen Gott zu glauben erklärte, mit Ge¬
walt aus der Mitte der Volksvertreter entfernt, wobei es zu einem sehr häßlichen
Auftritte kam.

Die Rede, mit welcher Gladstone am 8. April die irische Landbill empfahl,
war eine höchst achtbare oratorische Leistung. Die Bill fand vielfache Opposition
sowohl von feiten der Conservativen, die darin zu viel, als von selten der
Jrländer, welche zu wenig zugestanden sahen. Auch hierbei legten mehrere
von den letztern eine fast unglaubliche Dreistigkeit und Ungeschliffenheit an den
Tag, uuter der auch der Premierminister wiederholt zu leiden hatte, sodaß ein
großes englisches Blatt sich vernehmen ließ: „Wenn in der nächste» Session
des Parlaments nichts zur Besserung dieses Uebelstandes geschieht, so wird die
"lec höfliche Form der Debatte für einige Zeit ganz hinweggefegt werden und
die Manieren des Unterhauses werden nnter das Niveau derer sinken, die bei
den Erörterungen von Gesellschaften üblich sind, welche i» ordinären Schenke»
sich versammeln." Das Oberhaus übte strengere Kritik a» dem Gesetzentwurfe
der Regierung. Obwohl es damit sich nur seines guten Rechts bediente, und
die Landbill bei näherer Betrachtung erheblich verbessert ans ihm hervorging,


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[0493] Politische Rückblick.? und Ausblicke. wenn die Antwortsadresse auf die Thronrede eine neuntägige Reihenfolge der heftigsten Debatte» erforderte. Auch später thaten die Jrländer ihr äußerstes, Beschlusse zu verzögern und womöglich zu vereiteln. Die Conservativen unter¬ stützte» die liberale Regierung ehrlich bei ihren etwas schwächlichen Bemühungen, die Ordnung aufrecht zu erhalten und Irland durch eine außerordentlich wohl¬ wollende und großmüthige Landbill im Interesse der Pächter zufriedenzustellen. Ein Mitglied des Unterhauses, Dillon, wurde, nachdem er allerlei lcmdesver- rätherische Ansichten im Hause selbst geäußert, wegen Aufreizung zu Verbrechen außerhalb desselben ins Gefängniß gebracht. Bald darauf mußte ein andres Mitglied, Biggar, wegen Ungebühr ausgestoßen werden. Im Februar wider¬ setzten sich die Anhänger des Agitators Parnell der Einbringung der irischen Zwangsbill so hartnäckig durch unaufhörliches Reden und Antragstelleu, daß nach einundvierzigstündiger ununterbrvchner Debatte der Sprecher sich gezwungen sah, auf seine eigne Autorität hin, also mit einer Art Staatsstreich, der Hem¬ mung ein Ende zu machen. Am nächsten Tage wurden Parnell und seine Partei, im ganzen fünfunddreißig Deputirte, für die Dauer der Sitzung aus dem Hanse verwiesen. Die Aufregung über die „dahinsterbenden Freiheiten des Parlaments" war ungeheuer. Trotzdem wurde die Zwaugsbill eingebracht und in kurzer Zeit Gesetz. Die Jrländer, auf jene massive Art vou der Mehrheit niedergedämpft, wagten eine Zeit lang kaum mehr den Mund aufzuthun. Im weitern Verlaufe der Session wurden im Unterhause über zweihundert Gesetzentwürfe eingebracht, aber nur sehr wenige und, mit Ausnahme der Ir¬ land betreffende», nicht die wichtigsten fanden Erledigung. Inzwischen wurde wieder el» Mitglied des HcuiseS, der Atheist Bradlaugh, der durchcniS einge- schworen sein wollte, obwohl er an keinen Gott zu glauben erklärte, mit Ge¬ walt aus der Mitte der Volksvertreter entfernt, wobei es zu einem sehr häßlichen Auftritte kam. Die Rede, mit welcher Gladstone am 8. April die irische Landbill empfahl, war eine höchst achtbare oratorische Leistung. Die Bill fand vielfache Opposition sowohl von feiten der Conservativen, die darin zu viel, als von selten der Jrländer, welche zu wenig zugestanden sahen. Auch hierbei legten mehrere von den letztern eine fast unglaubliche Dreistigkeit und Ungeschliffenheit an den Tag, uuter der auch der Premierminister wiederholt zu leiden hatte, sodaß ein großes englisches Blatt sich vernehmen ließ: „Wenn in der nächste» Session des Parlaments nichts zur Besserung dieses Uebelstandes geschieht, so wird die "lec höfliche Form der Debatte für einige Zeit ganz hinweggefegt werden und die Manieren des Unterhauses werden nnter das Niveau derer sinken, die bei den Erörterungen von Gesellschaften üblich sind, welche i» ordinären Schenke» sich versammeln." Das Oberhaus übte strengere Kritik a» dem Gesetzentwurfe der Regierung. Obwohl es damit sich nur seines guten Rechts bediente, und die Landbill bei näherer Betrachtung erheblich verbessert ans ihm hervorging,

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 40, 1881, Drittes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341833_157968/493>, abgerufen am 01.09.2024.