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Die Grenzboten. Jg. 40, 1881, Drittes Quartal.

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politische Briefe,

deutschen Reichstag sein. Richter begann unverzüglich seine Agitation, die Lo¬
sung "Fort mit Bismarck" wurde zwar nicht mehr überall, wurde nirgends mehr
so unverblümt bei wie dem plumpen Anfang von 1879 ausgegeben, aber sie blieb
das Grundthema aller fortschrittlichen Agitation, Auch wo der Name des
Reichskanzlers, was übrigens nur selten vermieden werden konnte, nicht als der
des zu bekämpfenden Feindes sofort und allein genannt wurde, war das Grund¬
thema immer deutlich herauszuhören. Denn -- dies möge der Leser wohl be¬
achten -- so sehr mau die Schädlichkeit der Reformpläne des Kanzlers ausmalte
und sich zu diesem Zweck in ungeheuerlichen Uebertreibungen erging, die Hanpt-
augriffswaffe lag doch immer in der Behauptung, alle diese Reformen sollten
nur der persönlichen Macht des Kanzlers, der Herabdrückung der Volksver¬
tretung u, s. w. dienen. Die Fortschrittspartei bot alles auf, dem Volke den
Kern der Frage zu verdunkeln. Es wurde immer so gethan, als könne man
mit den bisherigen Mitteln der Finanzpolitik fortwirthschaftcn, den Anforderungen
der Zukunft genügen und die Existenz des Reiches sicher stellen. Wenn die
nicht mehr wegzuleugnenden Deficits diese Behauptung Lügen straften, so wurde
das alte lahme Paradepferd der Ersparniß an den Militärausgaben als das
Roß vorgeführt, auf dem uns die Fortschrittspartei, sobald es ihr nur ge¬
lungen sein werde, in deu Sattel zu kommen, in den Zustand sonder Beschwerden
und Steuerdruck tragen werde.

Wie verhielt sich nun zu dieser doch wirklich persönlichen und nicht sach¬
lichen Bekämpfung des Reichskanzlers der übrige Liberalismus, der sich bis vor
einem Jahre noch in der nationalliberalen Partei vereinigt fand? Auch hier
wurde die Fiucmzreform von Anfang an weniger unter dein Gesichtspunkte ihrer
sachlichen Nothwendigkeit angesehen, als nach ihrer etwaigen Wirkung auf das
Verhältniß zwischen Parlamentsmacht und Negierungsmacht. Daher spielte so¬
gleich die Frage der sogenannten constitutionellen Garantien die größte Rolle-
Diese Rolle begann schon Ende des Jahres 1877, als Fürst Bismarck dem
Herrn v. Bennigsen in Varzin das preußische Finanzministerium und die deutsche
Vieekanzlerschaft angeboten hatte. Herrn v. Bennigsen wurden diese Garantien
als von ihm zu stellende Bedingungen seines Eintritts in die Reichs- und
Staatsgeschäfte von den einflußreichen unter seinen damaligen Parteigenossen
aufgenöthigt, gleichviel auf welche Namen diese Verantwortung füllt. Es ist
dem deutschen Liberalismus, auch denjenigen seiner Elemente, die national fühlten
und staatsmännisch handeln wollten, zum Verhängniß geworden, daß sie sich
nicht losmachen konnten von dem Wahn, die Macht eines Parlaments ruhe in
seinen formalen Rechten, und die Hauptaufgabe des Liberalismus sei, den deutschen
Reichstag mittelst formaler Rechte die Macht des englischen Parlaments zu er¬
ringen. Daß, die Richtigkeit dieses Zieles und Weges vorausgesetzt, die Garantie
einer nationalen Mehrheit des Reichstags die noch weit unerläßlichere Aufgabe
sei, ist dem deutschen Liberalismus, auch dem aufrichtig national gesinnten,


politische Briefe,

deutschen Reichstag sein. Richter begann unverzüglich seine Agitation, die Lo¬
sung „Fort mit Bismarck" wurde zwar nicht mehr überall, wurde nirgends mehr
so unverblümt bei wie dem plumpen Anfang von 1879 ausgegeben, aber sie blieb
das Grundthema aller fortschrittlichen Agitation, Auch wo der Name des
Reichskanzlers, was übrigens nur selten vermieden werden konnte, nicht als der
des zu bekämpfenden Feindes sofort und allein genannt wurde, war das Grund¬
thema immer deutlich herauszuhören. Denn — dies möge der Leser wohl be¬
achten — so sehr mau die Schädlichkeit der Reformpläne des Kanzlers ausmalte
und sich zu diesem Zweck in ungeheuerlichen Uebertreibungen erging, die Hanpt-
augriffswaffe lag doch immer in der Behauptung, alle diese Reformen sollten
nur der persönlichen Macht des Kanzlers, der Herabdrückung der Volksver¬
tretung u, s. w. dienen. Die Fortschrittspartei bot alles auf, dem Volke den
Kern der Frage zu verdunkeln. Es wurde immer so gethan, als könne man
mit den bisherigen Mitteln der Finanzpolitik fortwirthschaftcn, den Anforderungen
der Zukunft genügen und die Existenz des Reiches sicher stellen. Wenn die
nicht mehr wegzuleugnenden Deficits diese Behauptung Lügen straften, so wurde
das alte lahme Paradepferd der Ersparniß an den Militärausgaben als das
Roß vorgeführt, auf dem uns die Fortschrittspartei, sobald es ihr nur ge¬
lungen sein werde, in deu Sattel zu kommen, in den Zustand sonder Beschwerden
und Steuerdruck tragen werde.

Wie verhielt sich nun zu dieser doch wirklich persönlichen und nicht sach¬
lichen Bekämpfung des Reichskanzlers der übrige Liberalismus, der sich bis vor
einem Jahre noch in der nationalliberalen Partei vereinigt fand? Auch hier
wurde die Fiucmzreform von Anfang an weniger unter dein Gesichtspunkte ihrer
sachlichen Nothwendigkeit angesehen, als nach ihrer etwaigen Wirkung auf das
Verhältniß zwischen Parlamentsmacht und Negierungsmacht. Daher spielte so¬
gleich die Frage der sogenannten constitutionellen Garantien die größte Rolle-
Diese Rolle begann schon Ende des Jahres 1877, als Fürst Bismarck dem
Herrn v. Bennigsen in Varzin das preußische Finanzministerium und die deutsche
Vieekanzlerschaft angeboten hatte. Herrn v. Bennigsen wurden diese Garantien
als von ihm zu stellende Bedingungen seines Eintritts in die Reichs- und
Staatsgeschäfte von den einflußreichen unter seinen damaligen Parteigenossen
aufgenöthigt, gleichviel auf welche Namen diese Verantwortung füllt. Es ist
dem deutschen Liberalismus, auch denjenigen seiner Elemente, die national fühlten
und staatsmännisch handeln wollten, zum Verhängniß geworden, daß sie sich
nicht losmachen konnten von dem Wahn, die Macht eines Parlaments ruhe in
seinen formalen Rechten, und die Hauptaufgabe des Liberalismus sei, den deutschen
Reichstag mittelst formaler Rechte die Macht des englischen Parlaments zu er¬
ringen. Daß, die Richtigkeit dieses Zieles und Weges vorausgesetzt, die Garantie
einer nationalen Mehrheit des Reichstags die noch weit unerläßlichere Aufgabe
sei, ist dem deutschen Liberalismus, auch dem aufrichtig national gesinnten,


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[0482] politische Briefe, deutschen Reichstag sein. Richter begann unverzüglich seine Agitation, die Lo¬ sung „Fort mit Bismarck" wurde zwar nicht mehr überall, wurde nirgends mehr so unverblümt bei wie dem plumpen Anfang von 1879 ausgegeben, aber sie blieb das Grundthema aller fortschrittlichen Agitation, Auch wo der Name des Reichskanzlers, was übrigens nur selten vermieden werden konnte, nicht als der des zu bekämpfenden Feindes sofort und allein genannt wurde, war das Grund¬ thema immer deutlich herauszuhören. Denn — dies möge der Leser wohl be¬ achten — so sehr mau die Schädlichkeit der Reformpläne des Kanzlers ausmalte und sich zu diesem Zweck in ungeheuerlichen Uebertreibungen erging, die Hanpt- augriffswaffe lag doch immer in der Behauptung, alle diese Reformen sollten nur der persönlichen Macht des Kanzlers, der Herabdrückung der Volksver¬ tretung u, s. w. dienen. Die Fortschrittspartei bot alles auf, dem Volke den Kern der Frage zu verdunkeln. Es wurde immer so gethan, als könne man mit den bisherigen Mitteln der Finanzpolitik fortwirthschaftcn, den Anforderungen der Zukunft genügen und die Existenz des Reiches sicher stellen. Wenn die nicht mehr wegzuleugnenden Deficits diese Behauptung Lügen straften, so wurde das alte lahme Paradepferd der Ersparniß an den Militärausgaben als das Roß vorgeführt, auf dem uns die Fortschrittspartei, sobald es ihr nur ge¬ lungen sein werde, in deu Sattel zu kommen, in den Zustand sonder Beschwerden und Steuerdruck tragen werde. Wie verhielt sich nun zu dieser doch wirklich persönlichen und nicht sach¬ lichen Bekämpfung des Reichskanzlers der übrige Liberalismus, der sich bis vor einem Jahre noch in der nationalliberalen Partei vereinigt fand? Auch hier wurde die Fiucmzreform von Anfang an weniger unter dein Gesichtspunkte ihrer sachlichen Nothwendigkeit angesehen, als nach ihrer etwaigen Wirkung auf das Verhältniß zwischen Parlamentsmacht und Negierungsmacht. Daher spielte so¬ gleich die Frage der sogenannten constitutionellen Garantien die größte Rolle- Diese Rolle begann schon Ende des Jahres 1877, als Fürst Bismarck dem Herrn v. Bennigsen in Varzin das preußische Finanzministerium und die deutsche Vieekanzlerschaft angeboten hatte. Herrn v. Bennigsen wurden diese Garantien als von ihm zu stellende Bedingungen seines Eintritts in die Reichs- und Staatsgeschäfte von den einflußreichen unter seinen damaligen Parteigenossen aufgenöthigt, gleichviel auf welche Namen diese Verantwortung füllt. Es ist dem deutschen Liberalismus, auch denjenigen seiner Elemente, die national fühlten und staatsmännisch handeln wollten, zum Verhängniß geworden, daß sie sich nicht losmachen konnten von dem Wahn, die Macht eines Parlaments ruhe in seinen formalen Rechten, und die Hauptaufgabe des Liberalismus sei, den deutschen Reichstag mittelst formaler Rechte die Macht des englischen Parlaments zu er¬ ringen. Daß, die Richtigkeit dieses Zieles und Weges vorausgesetzt, die Garantie einer nationalen Mehrheit des Reichstags die noch weit unerläßlichere Aufgabe sei, ist dem deutschen Liberalismus, auch dem aufrichtig national gesinnten,

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 40, 1881, Drittes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341833_157968/482>, abgerufen am 01.09.2024.