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Die Grenzboten. Jg. 40, 1881, Drittes Quartal.

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Zur Lharciktcristik des Mcmchestertlnims,

Uebelstände, theils schon vorhanden, theils sich nähernd, spotten der Weisheit der
Weisen,

Ihr Nationalökonomen, blickt auf Englands unermeßlichen Reichthum und auf
seine verzweifelnde Armuth, darauf, daß Irlands liebste Kinder, um ihr Leben zu
retten, gleich Loth Weib, dem Vaterlande deu Rucke" kehren, auf deu immer wieder¬
kehrenden periodischen Wechsel zwischen Gedeihen und Darniederliegen in unsrer
Industrie, auf die weite Flache unbestellten oder nur halbbebauten Landes mitten
unter einer trägen und hungernden Bevölkerung draußen vor unsrer Thür, auf
eure eignen vielfachen Meinungsverschiedenheiten über Zinsen, Löhne, Währung,
Unternehmergewinn, Bevölkerung n, tgi,, aus die Theorien, welche den euren gegen¬
über gestellt werden, und welche die originellsten Denker und Schriftsteller ver¬
theidigen. Einige dieser Schriftsteller sind sogar soweit gegangen, daß sie behaupten,
statt eine Wissenschaft, gediegen und praktisch anwendbar, geschaffen zu habe", wäret
ihr nur die Urheber einer unbefriedigender, dunkeln, dummdreistem Literatur, die
gefährlich sein würde, wenn sie nicht ungeheuer langweilig wäre -- was euch
Thiers ganz unverholen gesagt hat.

Aber wir müssen andrerseits auch mit Muth und Zuversicht in die Zukunft
blicken. Der unvollkommne und rudimentäre Zustand der Volkswirtschaftslehre
läßt uus, während er gegenwärtige Uebel erklärt, für die kommende Zeit Gutes
hoffen. Es liegt auf der Hand, daß wir noch nicht auf die wahre Theorie ge¬
stoßen sind. Aber inzwischen beginnen die Werkzeuge und Apparate, mit welchen
die neue und wahre Nationalökonomie zu arbeiten bestimmt ist, sich um uns zu
vervielfältigen. Die Dampfmaschine, die Dampfschifffahrt, die Eisenbahn, die
neueren Erfindungen im Maschinenwesen, der elektrische Telegraph, die moderne
Chemie sind nicht umsonst erfunden und entdeckt worden. Eine Volkswirth¬
schaftslehre wird sich entwickeln, die nicht bloß verspricht, sondern auch leistet,
eine Wissenschaft, welche die Reichthümer der Natur der hungernden Armuth
in den Schooß regnen lassen wird. Man läßt sich nichts träumen von dem
Wohlbefinden, das für alle Schichten des Volkes in der Wissenschaft der Zukunft
liegt.

Wie in andern Wissenschaften, so wird mich bei der Nationalökonomie jedes
Hinzukommen neuen Wissens ein Schritt nicht bloß zu weitern, sondern zu größern
Erwerbungen sein. Das wahre und gediegne Wissen wird nicht nur fortschreiten,
sondern in fortwährend wachsendem Verhältniß fortschreiten. Die Welt zeigt uns
jetzt eine Anzahl in der Civilisation weit fortgeschrittner Gemeinwesen, das Feld
der Erfahrung ist erheblich erweitert. Aber neben der gewöhnlichen Erfahrung
giebt es noch eine künstliche, das Experiment. In diesem Augenblicke ist die Auf¬
merksamkeit der Theoretiker und Praktiker auf ein gewaltiges Experiment gelenkt.
Es wäre zu wünschen, daß man statt des britischen Reiches ein andres Gemein¬
wesen ausgewählt hätte, bei diesem Experimente als vns oorxus zu dienen. Wir
werden Viel leiden, und was schlimmer ist, die Unschuldigen werden die Leidenden


Zur Lharciktcristik des Mcmchestertlnims,

Uebelstände, theils schon vorhanden, theils sich nähernd, spotten der Weisheit der
Weisen,

Ihr Nationalökonomen, blickt auf Englands unermeßlichen Reichthum und auf
seine verzweifelnde Armuth, darauf, daß Irlands liebste Kinder, um ihr Leben zu
retten, gleich Loth Weib, dem Vaterlande deu Rucke» kehren, auf deu immer wieder¬
kehrenden periodischen Wechsel zwischen Gedeihen und Darniederliegen in unsrer
Industrie, auf die weite Flache unbestellten oder nur halbbebauten Landes mitten
unter einer trägen und hungernden Bevölkerung draußen vor unsrer Thür, auf
eure eignen vielfachen Meinungsverschiedenheiten über Zinsen, Löhne, Währung,
Unternehmergewinn, Bevölkerung n, tgi,, aus die Theorien, welche den euren gegen¬
über gestellt werden, und welche die originellsten Denker und Schriftsteller ver¬
theidigen. Einige dieser Schriftsteller sind sogar soweit gegangen, daß sie behaupten,
statt eine Wissenschaft, gediegen und praktisch anwendbar, geschaffen zu habe», wäret
ihr nur die Urheber einer unbefriedigender, dunkeln, dummdreistem Literatur, die
gefährlich sein würde, wenn sie nicht ungeheuer langweilig wäre — was euch
Thiers ganz unverholen gesagt hat.

Aber wir müssen andrerseits auch mit Muth und Zuversicht in die Zukunft
blicken. Der unvollkommne und rudimentäre Zustand der Volkswirtschaftslehre
läßt uus, während er gegenwärtige Uebel erklärt, für die kommende Zeit Gutes
hoffen. Es liegt auf der Hand, daß wir noch nicht auf die wahre Theorie ge¬
stoßen sind. Aber inzwischen beginnen die Werkzeuge und Apparate, mit welchen
die neue und wahre Nationalökonomie zu arbeiten bestimmt ist, sich um uns zu
vervielfältigen. Die Dampfmaschine, die Dampfschifffahrt, die Eisenbahn, die
neueren Erfindungen im Maschinenwesen, der elektrische Telegraph, die moderne
Chemie sind nicht umsonst erfunden und entdeckt worden. Eine Volkswirth¬
schaftslehre wird sich entwickeln, die nicht bloß verspricht, sondern auch leistet,
eine Wissenschaft, welche die Reichthümer der Natur der hungernden Armuth
in den Schooß regnen lassen wird. Man läßt sich nichts träumen von dem
Wohlbefinden, das für alle Schichten des Volkes in der Wissenschaft der Zukunft
liegt.

Wie in andern Wissenschaften, so wird mich bei der Nationalökonomie jedes
Hinzukommen neuen Wissens ein Schritt nicht bloß zu weitern, sondern zu größern
Erwerbungen sein. Das wahre und gediegne Wissen wird nicht nur fortschreiten,
sondern in fortwährend wachsendem Verhältniß fortschreiten. Die Welt zeigt uns
jetzt eine Anzahl in der Civilisation weit fortgeschrittner Gemeinwesen, das Feld
der Erfahrung ist erheblich erweitert. Aber neben der gewöhnlichen Erfahrung
giebt es noch eine künstliche, das Experiment. In diesem Augenblicke ist die Auf¬
merksamkeit der Theoretiker und Praktiker auf ein gewaltiges Experiment gelenkt.
Es wäre zu wünschen, daß man statt des britischen Reiches ein andres Gemein¬
wesen ausgewählt hätte, bei diesem Experimente als vns oorxus zu dienen. Wir
werden Viel leiden, und was schlimmer ist, die Unschuldigen werden die Leidenden


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[0475] Zur Lharciktcristik des Mcmchestertlnims, Uebelstände, theils schon vorhanden, theils sich nähernd, spotten der Weisheit der Weisen, Ihr Nationalökonomen, blickt auf Englands unermeßlichen Reichthum und auf seine verzweifelnde Armuth, darauf, daß Irlands liebste Kinder, um ihr Leben zu retten, gleich Loth Weib, dem Vaterlande deu Rucke» kehren, auf deu immer wieder¬ kehrenden periodischen Wechsel zwischen Gedeihen und Darniederliegen in unsrer Industrie, auf die weite Flache unbestellten oder nur halbbebauten Landes mitten unter einer trägen und hungernden Bevölkerung draußen vor unsrer Thür, auf eure eignen vielfachen Meinungsverschiedenheiten über Zinsen, Löhne, Währung, Unternehmergewinn, Bevölkerung n, tgi,, aus die Theorien, welche den euren gegen¬ über gestellt werden, und welche die originellsten Denker und Schriftsteller ver¬ theidigen. Einige dieser Schriftsteller sind sogar soweit gegangen, daß sie behaupten, statt eine Wissenschaft, gediegen und praktisch anwendbar, geschaffen zu habe», wäret ihr nur die Urheber einer unbefriedigender, dunkeln, dummdreistem Literatur, die gefährlich sein würde, wenn sie nicht ungeheuer langweilig wäre — was euch Thiers ganz unverholen gesagt hat. Aber wir müssen andrerseits auch mit Muth und Zuversicht in die Zukunft blicken. Der unvollkommne und rudimentäre Zustand der Volkswirtschaftslehre läßt uus, während er gegenwärtige Uebel erklärt, für die kommende Zeit Gutes hoffen. Es liegt auf der Hand, daß wir noch nicht auf die wahre Theorie ge¬ stoßen sind. Aber inzwischen beginnen die Werkzeuge und Apparate, mit welchen die neue und wahre Nationalökonomie zu arbeiten bestimmt ist, sich um uns zu vervielfältigen. Die Dampfmaschine, die Dampfschifffahrt, die Eisenbahn, die neueren Erfindungen im Maschinenwesen, der elektrische Telegraph, die moderne Chemie sind nicht umsonst erfunden und entdeckt worden. Eine Volkswirth¬ schaftslehre wird sich entwickeln, die nicht bloß verspricht, sondern auch leistet, eine Wissenschaft, welche die Reichthümer der Natur der hungernden Armuth in den Schooß regnen lassen wird. Man läßt sich nichts träumen von dem Wohlbefinden, das für alle Schichten des Volkes in der Wissenschaft der Zukunft liegt. Wie in andern Wissenschaften, so wird mich bei der Nationalökonomie jedes Hinzukommen neuen Wissens ein Schritt nicht bloß zu weitern, sondern zu größern Erwerbungen sein. Das wahre und gediegne Wissen wird nicht nur fortschreiten, sondern in fortwährend wachsendem Verhältniß fortschreiten. Die Welt zeigt uns jetzt eine Anzahl in der Civilisation weit fortgeschrittner Gemeinwesen, das Feld der Erfahrung ist erheblich erweitert. Aber neben der gewöhnlichen Erfahrung giebt es noch eine künstliche, das Experiment. In diesem Augenblicke ist die Auf¬ merksamkeit der Theoretiker und Praktiker auf ein gewaltiges Experiment gelenkt. Es wäre zu wünschen, daß man statt des britischen Reiches ein andres Gemein¬ wesen ausgewählt hätte, bei diesem Experimente als vns oorxus zu dienen. Wir werden Viel leiden, und was schlimmer ist, die Unschuldigen werden die Leidenden

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 40, 1881, Drittes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341833_157968/475>, abgerufen am 01.09.2024.