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Die Grenzboten. Jg. 40, 1881, Drittes Quartal.

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Zur Lhcirakteristik des Manchesterthums.

zurück. Man kaun darüber streiten, ob wir uns damit praktisch eine bessere Re¬
gierung gesichert haben, ob das alte Haus der Gemeinen als Werkzeug einer
guten und sparsamen Verwaltung nicht am Ende besser als das neue war. Die
Gesetzgebung popularisiren mag uicht immer sie verbessern, sie ehrlicher und wirk¬
samer machen heißen. Aber daß die verrotteten Wahlflcckcn dem Stoße vou
1843 nicht widerstanden haben würden, ist wohl mit Bestimmtheit zu behaupten.
Die Veränderung im Wahlsystem war unumgänglich geworden, nud der Gedanke
eines Rückschritts in dieser Richtung ist geradezu lächerlich.

Sodann unterscheiden sich die Emancipation der Katholiken und die Parla-
mcntsreform von einer Veränderung der wirtschaftlichen Politik in andrer Be¬
ziehung. Die wahren Wirkungen jener beiden Maßregeln werden erst nach einer
sehr langen Reihe von Jahren, vielleicht von Generationen, zu Tage treten. Die
wahren Folgen der Einführung der Freihandelspolitik müssen viel früher sichtbar
werden. Sie können sich bereits nach wenigen Jahrzehnten deutlich zeigen. Viel
ist bereits Wissen geworden, was 1846 nur Vermuthung war. Ein vergleichs¬
weise nicht oder wenig unterrichteter Mann ist heutzutage in manchen Rücksichten
klüger als der klügste derer, die 1846 die Angelegenheiten erörterten und be¬
schlossen. Später wird noch viel mehr dem Gebiete der Vermuthung entrückt und
Gegenstand sichern Wissens geworden sein. Und warum sollen wir annehmen, daß
die HaudelSgcsetzgcbung, welche vom Anbeginn unsrer Geschichte verschiedenartig
und schwankend gewesen ist, auf einmal feststehend und wie stereotypirt sei" wird?
Nein, wie sie sich in der Vergangenheit immer verändert hat, so wird sie auch in
Zukunft sich wieder ändern, vielleicht nach bitteren Erfahrungen. Falsch wäre es,
zu sagen, daß die Rückkehr zum Schutzsystem in England wahrscheinlich sei; denn
sie ist sicher. Wann sie sich vollziehen wird, wie viel Zeit verstreichen und wie
viel Schaden und Unfug noch vorkommen muß, bevor das Volk nicht bloß fühlt,
sondern sieht und begreift, daß es getäuscht worden ist, fragt sich. Gewiß ist, daß
nicht bloß eine Klasse, sondern die ganze englische Nation über kurz oder lang
eine Aenderung fordern und darauf bestehen wird.*) Kommt sie, so kommt sie
naturgemäß, unwiderstehlich und ohne Gefahr. Was für Gefahr man in der Zwischen¬
zeit laufen wird, ist eine andre Frage."

Wir nannten die hier geprüfte und nichtig befundene Weissagung kühn. Wir
hätten sie auch dreist nennen können, und das bringt uns ans einen Charakter¬
zug der Freihändler, der auch in andern Beziehungen, ja in ihrem ganzen Auf¬
treten sich sehr wenig angenehm bemerkbar macht. Wir meinen das starke Selbst¬
gefühl, das neunmalkluge Wesen, die apodiktische Redeweise, die an Unfehlbarkeit
grenzende Sicherheit, die bis zum Frevel gesteigerte, den ausgebildetsten Professoren¬
dünkel noch überbietende Einbildung, immer und allein das Richtige zu wissen und



*) Wie weit man in dieser Erkenntniß bis jeht schon gekommen ist, wurde in Ur. 3
dieser Aussiipe gezeigt.
Zur Lhcirakteristik des Manchesterthums.

zurück. Man kaun darüber streiten, ob wir uns damit praktisch eine bessere Re¬
gierung gesichert haben, ob das alte Haus der Gemeinen als Werkzeug einer
guten und sparsamen Verwaltung nicht am Ende besser als das neue war. Die
Gesetzgebung popularisiren mag uicht immer sie verbessern, sie ehrlicher und wirk¬
samer machen heißen. Aber daß die verrotteten Wahlflcckcn dem Stoße vou
1843 nicht widerstanden haben würden, ist wohl mit Bestimmtheit zu behaupten.
Die Veränderung im Wahlsystem war unumgänglich geworden, nud der Gedanke
eines Rückschritts in dieser Richtung ist geradezu lächerlich.

Sodann unterscheiden sich die Emancipation der Katholiken und die Parla-
mcntsreform von einer Veränderung der wirtschaftlichen Politik in andrer Be¬
ziehung. Die wahren Wirkungen jener beiden Maßregeln werden erst nach einer
sehr langen Reihe von Jahren, vielleicht von Generationen, zu Tage treten. Die
wahren Folgen der Einführung der Freihandelspolitik müssen viel früher sichtbar
werden. Sie können sich bereits nach wenigen Jahrzehnten deutlich zeigen. Viel
ist bereits Wissen geworden, was 1846 nur Vermuthung war. Ein vergleichs¬
weise nicht oder wenig unterrichteter Mann ist heutzutage in manchen Rücksichten
klüger als der klügste derer, die 1846 die Angelegenheiten erörterten und be¬
schlossen. Später wird noch viel mehr dem Gebiete der Vermuthung entrückt und
Gegenstand sichern Wissens geworden sein. Und warum sollen wir annehmen, daß
die HaudelSgcsetzgcbung, welche vom Anbeginn unsrer Geschichte verschiedenartig
und schwankend gewesen ist, auf einmal feststehend und wie stereotypirt sei» wird?
Nein, wie sie sich in der Vergangenheit immer verändert hat, so wird sie auch in
Zukunft sich wieder ändern, vielleicht nach bitteren Erfahrungen. Falsch wäre es,
zu sagen, daß die Rückkehr zum Schutzsystem in England wahrscheinlich sei; denn
sie ist sicher. Wann sie sich vollziehen wird, wie viel Zeit verstreichen und wie
viel Schaden und Unfug noch vorkommen muß, bevor das Volk nicht bloß fühlt,
sondern sieht und begreift, daß es getäuscht worden ist, fragt sich. Gewiß ist, daß
nicht bloß eine Klasse, sondern die ganze englische Nation über kurz oder lang
eine Aenderung fordern und darauf bestehen wird.*) Kommt sie, so kommt sie
naturgemäß, unwiderstehlich und ohne Gefahr. Was für Gefahr man in der Zwischen¬
zeit laufen wird, ist eine andre Frage."

Wir nannten die hier geprüfte und nichtig befundene Weissagung kühn. Wir
hätten sie auch dreist nennen können, und das bringt uns ans einen Charakter¬
zug der Freihändler, der auch in andern Beziehungen, ja in ihrem ganzen Auf¬
treten sich sehr wenig angenehm bemerkbar macht. Wir meinen das starke Selbst¬
gefühl, das neunmalkluge Wesen, die apodiktische Redeweise, die an Unfehlbarkeit
grenzende Sicherheit, die bis zum Frevel gesteigerte, den ausgebildetsten Professoren¬
dünkel noch überbietende Einbildung, immer und allein das Richtige zu wissen und



*) Wie weit man in dieser Erkenntniß bis jeht schon gekommen ist, wurde in Ur. 3
dieser Aussiipe gezeigt.
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[0472] Zur Lhcirakteristik des Manchesterthums. zurück. Man kaun darüber streiten, ob wir uns damit praktisch eine bessere Re¬ gierung gesichert haben, ob das alte Haus der Gemeinen als Werkzeug einer guten und sparsamen Verwaltung nicht am Ende besser als das neue war. Die Gesetzgebung popularisiren mag uicht immer sie verbessern, sie ehrlicher und wirk¬ samer machen heißen. Aber daß die verrotteten Wahlflcckcn dem Stoße vou 1843 nicht widerstanden haben würden, ist wohl mit Bestimmtheit zu behaupten. Die Veränderung im Wahlsystem war unumgänglich geworden, nud der Gedanke eines Rückschritts in dieser Richtung ist geradezu lächerlich. Sodann unterscheiden sich die Emancipation der Katholiken und die Parla- mcntsreform von einer Veränderung der wirtschaftlichen Politik in andrer Be¬ ziehung. Die wahren Wirkungen jener beiden Maßregeln werden erst nach einer sehr langen Reihe von Jahren, vielleicht von Generationen, zu Tage treten. Die wahren Folgen der Einführung der Freihandelspolitik müssen viel früher sichtbar werden. Sie können sich bereits nach wenigen Jahrzehnten deutlich zeigen. Viel ist bereits Wissen geworden, was 1846 nur Vermuthung war. Ein vergleichs¬ weise nicht oder wenig unterrichteter Mann ist heutzutage in manchen Rücksichten klüger als der klügste derer, die 1846 die Angelegenheiten erörterten und be¬ schlossen. Später wird noch viel mehr dem Gebiete der Vermuthung entrückt und Gegenstand sichern Wissens geworden sein. Und warum sollen wir annehmen, daß die HaudelSgcsetzgcbung, welche vom Anbeginn unsrer Geschichte verschiedenartig und schwankend gewesen ist, auf einmal feststehend und wie stereotypirt sei» wird? Nein, wie sie sich in der Vergangenheit immer verändert hat, so wird sie auch in Zukunft sich wieder ändern, vielleicht nach bitteren Erfahrungen. Falsch wäre es, zu sagen, daß die Rückkehr zum Schutzsystem in England wahrscheinlich sei; denn sie ist sicher. Wann sie sich vollziehen wird, wie viel Zeit verstreichen und wie viel Schaden und Unfug noch vorkommen muß, bevor das Volk nicht bloß fühlt, sondern sieht und begreift, daß es getäuscht worden ist, fragt sich. Gewiß ist, daß nicht bloß eine Klasse, sondern die ganze englische Nation über kurz oder lang eine Aenderung fordern und darauf bestehen wird.*) Kommt sie, so kommt sie naturgemäß, unwiderstehlich und ohne Gefahr. Was für Gefahr man in der Zwischen¬ zeit laufen wird, ist eine andre Frage." Wir nannten die hier geprüfte und nichtig befundene Weissagung kühn. Wir hätten sie auch dreist nennen können, und das bringt uns ans einen Charakter¬ zug der Freihändler, der auch in andern Beziehungen, ja in ihrem ganzen Auf¬ treten sich sehr wenig angenehm bemerkbar macht. Wir meinen das starke Selbst¬ gefühl, das neunmalkluge Wesen, die apodiktische Redeweise, die an Unfehlbarkeit grenzende Sicherheit, die bis zum Frevel gesteigerte, den ausgebildetsten Professoren¬ dünkel noch überbietende Einbildung, immer und allein das Richtige zu wissen und *) Wie weit man in dieser Erkenntniß bis jeht schon gekommen ist, wurde in Ur. 3 dieser Aussiipe gezeigt.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 40, 1881, Drittes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341833_157968/472>, abgerufen am 01.09.2024.